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Bahram Khan berührte meine Schulter.

»Ali Khan, du scheinst zu träumen? Hast du dir meine Worte überlegt, willst du das Haus des neuen Iran bauen?«

»Vetter Bahram Khan«, sagte ich, »ich beneide dich: denn nur ein Vertriebener weiß, was Heimat ist. Ich kann das Land Iran nicht aufbauen. Mein Dolch ist an den Mauersteinen Bakus geschliffen.«

Er sah mich traurig an.

»Madjnun«, sagte er auf arabisch, und das bedeutete Verliebter und Wahnsinniger zugleich.

Er war meines Blutes und hatte mein Geheimnis erraten. Ich erhob mich. Im großen Saal verbeugten sich die Würdenträger vor dem aufbrechenden Prinzen. Ich sah seine magere Hand mit langen, dürren Fingern und rot gefärbten Nägeln. Nein, nicht dazu war ich da, um die Verse Firdausis, die Liebesseufzer des Haris und die Weisheitssprüche Saadis in einem prunkvollen Museumsgebäude aufzubahren.

Ich ging in den Saal und neigte mich über die Hand des Prinzen. Seine Augen waren traurig und abwesend, von der Ahnung eines drohenden Verhängnisses erfüllt. Dann fuhr ich nach Schimran und dachte im Wagen an den Platz mit den verrosteten Kanonen, an die müden Augen des Prinzen, an Ninos demütige Stille und an das Rätsel des Unterganges, aus dem es kein Entrinnen gab.

25. Kapitel

Die Farben der Landkarte waren grell und verworren. Die Namen der Orte, Gebirge und Flüsse gingen ineinander über und waren unleserlich. Die Karte lag auf dem Diwan ausgebreitet, und ich saß davor mit bunten Fähnchen in der Hand. Neben mir hatte ich eine Zeitung liegen, in deren Spalten die Namen der Orte, Gebirge und Flüsse ebenso verdruckt waren wie auf der bunten Karte. Ich beugte mich über beide und versuchte fleißig, die Fehler der Zeitung mit der Unleserlichkeit der Landkarte in Einklang zu bringen. Ich steckte ein grünes Fähnchen in einen kleinen Kreis. Neben dem Kreis stand gedruckt »Elisabethpol (Gandscha)«. Die letzten fünf Buchstaben verdeckten bereits die Berge von Sanguldak. Nach Mitteilung der Zeitung hatte der Rechtsanwalt Feth Ali Khan von Choja in Gandscha die freie Republik Aserbaidschan ausgerufen. Die Reihe der grünen Fähnchen östlich von Gandscha stellte die Armee dar, die Enver zur Befreiung unseres Landes entsandt hatte. Rechts näherten sich die Regimenter Nuri Paschas der Stadt Agdasch. Links besetzte Mursal Pascha die Täler von Elissu. In der Mitte kämpften die Bataillone der Freiwilligen. Die Karte war jetzt klar und übersichtlich. Langsam schloß sich der türkische Ring um das russische Baku. Noch einige Verschiebungen der grünen Fähnchen, und die roten Fahnen des Feindes würden sich im wirren Haufen auf dem großen Klecks mit der Aufschrift Baku zusammendrängen.

Jahja Kuli, der Eunuch, stand hinter meinem Rücken und verfolgte angestrengt das seltsame Spiel, das ich trieb. Das Verpflanzen der Fähnchen auf dem bunten Papier mochte ihm wie dunkle Beschwörungskünste eines mächtigen Zauberers erscheinen. Vielleicht verwechselte er die Ursache mit der Wirkung und dachte, daß ich lediglich die grünen Fähnchen in dem roten Fleck Baku aufzustellen brauchte, um mit Hilfe übersinnlicher Kräfte meine Stadt den Händen der Ungläubigen zu entreißen. Er wollte mich nicht bei diesem geheimnisvollen Werk stören und erstattete lediglich mit monotoner, ernster Stimme seinen pflichtgemäßen Bericht:

»O Khan, als ich ihr die Nägel mit roter Henna färben wollte, warf sie die Schale um und kratzte mich, obwohl ich das teuerste Henna genommen hatte, das nur aufzutreiben war. Frühmorgens führte ich sie zum Fenster, nahm ihren Kopf ganz zart in meine Hände und wollte, daß sie den Mund öffne. Es ist doch meine Pflicht, o Khan, ihre Zähne zu sehen. Sie riß sich aber los, hob ihre rechte Hand und schlug auf meine linke Wange. Es hat nicht sehr geschmerzt, war aber entehrend. Verzeih deinem Sklaven, Khan, aber ich traue mich nicht, die Haare von ihrem Körper zu entfernen. Sie ist eine seltsame Frau. Sie trägt keine Amulette und nimmt keine Mittel, um ihr Kind zu schützen. Zürne nicht mir, Khan, wenn es ein Mädchen wird, zürne Nino Hanum. Sie muß von einem bösen Geist besessen sein, denn sie zittert, wenn ich sie berühre. Ich kenne an der Moschee Abdul-Asim eine alte Frau. Sie versteht sich auf das Austreiben böser Geister. Vielleicht wäre es gut, sie hierher zu befehlen. Bedenke, Khan: sie wäscht ihr Gesicht mit eiskaltem Wasser, damit ihre Haut verderbe. Sie putzt ihre Zähne mit harten Bürsten, so daß das Zahnfleisch blutet, anstatt wie alle Leute sie mit dem rechten Zeigefinger zu putzen, der vorher in duftende Salbe getaucht ist. Nur ein böser Geist kann ihr solche Gedanken eingegeben haben.«

Ich hörte ihm kaum zu. Fast täglich erschien er in meinem Zimmer und erstattete seine einförmigen Berichte. Seine Augen waren von ehrlicher Sorge erfüllt, denn er war ein pflichtbewußter Mensch und fühlte sich für mein künftiges Kind verantwortlich. Nino führte mit ihm einen verspielten, aber zähen Kampf. Sie warf nach ihm mit Kissen, spazierte unverschleiert auf der Mauer des Hauses, warf seine Amulette aus dem Fenster und bedeckte die Wände ihrer Zimmer mit Photographien all ihrer georgischen Vettern. Er meldete mir das alles betrübt und erschrocken, und abends saß Nino vor mir auf dem Diwan und entwarf den Schlachtplan für den nächsten Tag.

»Was meinst du, Ali Khan«, sagte sie und rieb sich gedankenvoll das Kinn, »soll ich nachts einen dünnen Wasserschlauch auf sein Gesicht richten oder lieber am Tage eine Katze nach ihm werfen? Nein, ich weiß was anderes. Ich werde täglich an der Fontäne turnen, und er muß mitturnen, denn er wird zu fett. Oder noch besser: ich kitzle ihn einfach, bis er stirbt. Ich habe gehört, daß man vom Kitzeln sterben kann, und er ist wahnsinnig kitzlig.«

Sie brütete düstere Rachepläne, bis sie einschlief, und am nächsten Tag meldete der Eunuch entsetzt:

»Ali Khan, Nino Hanum steht am Bassin und macht mit Armen und Beinen sehr seltsame Bewegungen. Ich fürchte mich, Herr. Sie beugt ihren Körper nach vorne und nach hinten, als hätte sie gar keine Knochen. Vielleicht ehrt sie auf diese Weise eine unbekannte Gottheit. Sie will, daß ich ihre Bewegungen nachahme. Aber ich bin ein frommer Muslim, Khan, und werfe mich nur vor Allah in den Staub. Ich habe große Angst um ihre Knochen und um mein Seelenheil.«

Es hätte keinen Sinn, den Eunuchen hinauszuschmeißen. An seiner Stelle wäre ein anderer gekommen, denn ohne Eunuchen ist ein Haushalt undenkbar. Niemand anderer kann die Weiber beaufsichtigen, die im Haus beschäftigt sind, niemand anderer kann rechnen, das Geld aufbewahren und die Ausgaben prüfen. Einzig und allein der Eunuch, der Wunschlose und Unbestechliche.

Deshalb schwieg ich und blickte auf die grüne Linie der Fähnchen, die Baku umschloß… Der Eunuch hüstelte dienstbeflissen.

»Soll ich die alte Frau von der Moschee Abdul-Asim herbestellen?«

»Wozu, Jahja Kuli?«

»Um die bösen Geister aus Nino Hanums Leib auszutreiben.«

Ich seufzte, denn die weise Frau von der Moschee Abdul-Asim wird den Geistern Europas kaum gewachsen sein.

»Nicht nötig, Jahja Kuli. Ich verstehe mich selbst auf Geisterbeschwörungen. Ich werde gelegentlich alles ordnen. Doch jetzt ist meine Zauberkraft durch diese Fähnchen in Anspruch genommen.«

In den Augen des Eunuchen zeigte sich Furcht und Neugierde.

»Wenn die grünen Fähnchen die roten verdrängt haben, dann ist deine Heimat befreit? Nicht wahr, Khan?«