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»So ist es, Jahja Kuli.«

»Und kannst du nicht gleich die grünen Fähnchen dahin stellen, wo sie hingehören?«

»Das kann ich nicht, Jahja Kuli, meine Kraft reicht nicht aus.«

Er sah mich voller Sorge an.

»Du solltest Gott bitten, daß er dir die Kraft dazu gebe. Nächste Woche beginnt das Fest des Monats Moharrem. Wenn du im Moharrem Gott anflehst, wird er dir die Kraft verleihen.«

Ich faltete die Karte zusammen und war müde, verwirrt und traurig zugleich. Es wurde auf die Dauer unbehaglich, dem Plappern des Eunuchen zuzuhören. Nino war nicht zu Hause. Ihre Eltern waren nach Teheran gekommen, und Nino verbrachte lange Stunden in der kleinen Villa, in der die fürstliche Familie Wohnung genommen hatte. Heimlich traf sie sich dort mit andern Europäern, ich wußte davon und schwieg, denn sie tat mir sehr leid. Der Eunuch stand regungslos, meine Befehle abwartend. Ich dachte an Seyd Mustafa. Mein Freund war für kurze Zeit aus Mesched nach Teheran gekommen. Ich sah ihn selten, denn er verbrachte seine Tage in Moscheen, an Heiligengräbern und mit weisen Gesprächen mit zerlumpten Derwischen.

»Jahja Kuli«, sagte ich endlich, »fahr zu Seyd Mustafa. Er wohnt an der Moschee Sepahselar. Bitte ihn, mir die Ehre seines Besuches zu erweisen.«

Der Eunuch ging. Ich blieb allein. Meine Kraft reichte in der Tat nicht aus, um die grünen Fähnchen nach Baku zu versetzen. Irgendwo in den Steppen meiner Heimat kämpften die Bataillone der Türken. Darunter die Truppen der Freiwilligen mit der neuen Fahne Aserbaidschans. Ich kannte die Fahne, ich kannte die Zahl der Truppen und die Kämpfe, in denen sie fochten. In den Reihen der Freiwilligen kämpfte Iljas Beg. Ich sehnte mich nach dem Schlachtfeld mit dem morgendlichen Hauch des frischen Taus. Der Weg zur Front war mir verschlossen. Englische und russische Formationen bewachten die Grenzen. Die breite Brücke über den Araxes, die Iran mit dem Schauplatz des Krieges verband, war jetzt mit Stacheldraht, Maschinengewehren und Soldaten abgesperrt. Wie eine Schnecke in ihr Haus, so verkroch sich das Land Iran in seine wohlbehütete Ruhe. Kein Mensch, keine Maus, keine Fliege durfte in das verpestete Gebiet gelangen, in dem gekämpft, geschossen und wenig gedichtet wurde. Dagegen waren viele Flüchtlinge aus Baku gekommen: darunter Arslan Aga, das schwatzhafte Kind mit unruhigen Gebärden. Er lief durch die Teestuben und schrieb Artikel, in denen er die Siege der Türken mit den Feldzügen Alexanders verglich. Ein Artikel wurde verboten, denn der Zensor witterte in der Verherrlichung Alexanders einen geheimen Ausfall gegen Persien, das einst von Alexander besiegt wurde. Seitdem bezeichnete sich Arslan Aga als Märtyrer seiner Gesinnung. Er besuchte mich und erzählte mir sehr genau von den Heldentaten, die ich bei der Verteidigung Bakus vollbracht haben sollte. In seiner Phantasie waren Legionen von Feinden an meinem Maschinengewehr vorbeimarschiert, in der ausschließlichen Absicht, von mir erschossen zu werden. Er selbst hatte die Zeit der Kämpfe im Keller einer Druckerei verbracht, beim Abfassen patriotischer Aufrufe, die nirgends verkündet wurden. Er las sie mir vor und bat mich, ihm die Gefühle mitzuteilen, die ein Held beim Nahkampf verspürt. Ich stopfte ihm den Mund mit Süßigkeiten und führte ihn hinaus. Er hinterließ den Geruch der Druckerschwärze und ein dickes, unbeschriebenes Heft, in dem ich die Gefühle des Helden im Nahkampf niederlegen sollte. Ich blickte auf die weißen Bogen, dachte an Ninos traurige und abwesende Blicke, dachte an mein verworrenes Leben und ergriff die Feder. Nein, nicht um die Gefühle des Helden im Nahkampf niederzuschreiben, sondern um den Weg aufzuzeichnen, der uns, Nino und mich, in die duftenden Gärten von Schimran geführt und das Lächeln aus ihren Augen gebannt hatte.

Ich saß und schrieb mit der geschlitzten, persischen Bambusfeder. Ich ordnete die losen Notizen, die ich noch in der Schule begonnen hatte, und die Vergangenheit erstand vor mir. Bis Seyd Mustafa ins Zimmer trat und sein pockennarbiges Gesicht an meine Schulter drückte.

»Seyd«, sagte ich, »mein Leben ist in Unordnung geraten. Der Weg zur Front ist abgeschnitten, Nino lacht nicht mehr, und ich vergieße Tinte anstatt Blut. Was soll ich tun, Seyd Mustafa?«

Mein Freund sah mich ruhig und durchdringend an. Er trug schwarze Gewänder, und sein Gesicht war abgemagert. Sein hagerer Körper schien unter der Last eines Geheimnisses gebückt. Er setzte sich hin und sprach:

»Mit den Händen kannst du nichts erreichen, Ali Khan. Aber ein Mensch besitzt mehr als bloß Hände. Siehe mein Gewand, und du wirst wissen, was ich meine. In der Welt des Unsichtbaren liegt die Macht über die Menschen. Streife das Geheimnis, und du wirst der Macht teilhaftig.«

»Ich verstehe dich nicht, Seyd. Meine Seele schmerzt, und ich suche einen Weg aus der Finsternis.«

»Du bist dem Irdischen zugewandt, Ali Khan, und vergißt den Unsichtbaren, der das Irdische lenkt. Im Jahre 680 der Flucht fiel bei Kerbela, von Feinden des Glaubens verfolgt, Hussein, der Enkel des Propheten. Er war der Erlöser und der Geheimnisreiche. Mit seinem Blute zeichnete der Allmächtige die sinkende und aufgehende Sonne. Zwölf Imame herrschten über die Gemeinschaft der Schia, über uns Schiiten: der erste war Hussein, und der letzte ist der Imam des letzten Tages, der Unsichtbare, der heute noch insgeheim das Volk der Schia führt. Überall in seinem Wirken sichtbar und dennoch ungreifbar ist der verborgene Imam. Ich sehe ihn im Aufgang der Sonne, im Wunder der Saat, im Sturm des Meeres. Ich höre seine Stimme im Knattern des Maschinengewehrs, im Seufzer einer Frau und im Wehen des Windes. Und der Unsichtbare gebietet: Trauer sei das Los der Schia, Trauer um das Blut Husseins, das im Sande der Wüste bei Kerbela vergossen wird. Ein Monat des Jahres ist der Trauer geweiht. Der Monat Moharrem. Wer ein Leid hat, weine im Monat der Trauer. Am zehnten Tage des Moharrem erfüllt sich das Los der Schia; denn dies ist der Todestag des Märtyrers… Das Leid, das der Jüngling Hussein auf sich nahm, dieses Leid muß auf die Schultern der Frommen gelegt werden. Wer einen Teil dieses Leides auf sich nimmt, wird eines Teiles der Gnade teilhaftig. Deshalb kasteit sich der Fromme im Monat Moharrem, und im Schmerz der Selbstkasteiung offenbart sich dem Verwirrten der Weg der Gnade und die Lust der Erlösung. Dieses ist das Geheimnis des Moharrem.«

»Seyd«, sagte ich müde und gereizt, »ich fragte dich, wie ich die Freude in mein Haus zurückrufen soll, denn dumpfe Angst erfüllt mich, und du erzählst mir Weisheiten aus der Unterrichtsstunde für Religion. Soll ich durch die Moscheen laufen und mit eisernen Ketten meinen Rücken schlagen? Ich bin fromm und erfülle die Gebote der Lehre. Ich glaube an das Geheimnis des Unsichtbaren, aber ich glaube nicht, daß der Weg zu meinem Glück über das Mysterium des heiligen Hussein führt.«

»Ich glaube es, Ali Khan. Du fragtest mich nach dem Weg, und ich nenne ihn dir. Ich weiß keinen andern. Iljas Beg vergießt sein Blut an der Front bei Gandscha. Du kannst nicht nach Gandscha. Deshalb weihe dein Blut dem Unsichtbaren, der es am zehnten Tage des Moharrem von dir fordert. Sage nicht, daß das heilige Opfer sinnlos ist — nichts ist sinnlos in der Welt des Leides. Kämpfe im Moharrem für die Heimat, wie Iljas bei Gandscha.«

Ich schwieg. In den Hof fuhr die Kutsche mit den geschliffenen Glasfenstern und Ninos Gesicht wurde hinter den Scheiben undeutlich sichtbar. Die Tür zum Haremsgarten öffnete sich, und Seyd Mustafa hatte es plötzlich sehr eilig.

»Komm morgen zu mir in die Moschee Sepahselar. Dann können wir weitersprechen.«

26. Kapitel

Wir lagen auf dem Diwan und hatten das mit Perlmutter verzierte Nardybrett mit den Elfenbeinsteinen zwischen uns. Ich hatte Nino das persische Würfelspiel gelehrt, und seitdem würfelten wir um Tomane, Ohrringe, Küsse und Namen unserer künftigen Kinder. Nino verspielte, zahlte ihre Schulden und würfelte weiter. Ihre Augen leuchteten vor Spannung, und ihre Finger berührten die Elfenbeinsteine, als wären sie kostbare Kleinodien.