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»Du hättest mich verprügeln sollen, Ali Khan«, sagte sie artig.

»Ich konnte nicht, ich habe den ganzen Tag mich selbst geprügelt, und meine Kraft war zu Ende.«

Sie legte die Salbe weg, und der Eunuch brachte Tee. Sie trank ihn hastig und blickte verlegen in den Garten. Plötzlich sah sie mir fest in die Augen und sagte:

»Es hat keinen Zweck, Ali Khan. Ich hasse dich und werde dich hassen, solange wir in Persien bleiben. Ich kann es nicht ändern.«

Wir erhoben uns, gingen in den Garten und saßen schweigend am Springbrunnen. Der Pfau stolzierte an uns vorbei, und die Kutsche meines Vaters fuhr lärmend über den Hof des Männerhauses. Plötzlich bog Nino den Kopf zur Seite und sagte schüchtern:

»Ich kann auch mit einem verhaßten Mann würfeln.«

Ich holte das Nardybrett, und wir würfelten trübsinnig und verwirrt… Dann legten wir uns flach auf den Boden, beugten uns über das Bassin und betrachteten unsere Spiegelbilder. Nino steckte ihre Hand in das klare Wasser und unsere Gesichter verzerrten sich in den kleinen Wellen.

»Sei nicht traurig, Ali Khan. Ich hasse nicht dich. Ich hasse das fremde Land und die fremden Menschen. Es wird vergehen, sobald wir zu Hause sind und sobald…«

Sie legte ihr Gesicht auf die Wasserfläche, verharrte so eine Weile, hob dann den Kopf und Tropfen rannen von ihrer Wange und ihrem Kinn herab.

»Es wird doch ein Knabe sein — aber noch sind es sieben Monate bis dahin«, schloß sie dann und sah etwas stolz und überlegen drein.

Ich trocknete ihr Gesicht und küßte die kühlen Wangen. Und sie lächelte.

Unser Schicksal hing jetzt von den Regimentern ab, die über die sonnendurchglühte Ebene Aserbaidschans marschierten, zu der alten Stadt Baku, die von Bohrtürmen umlagert und vom Feinde besetzt war.

In der Ferne ertönte wiederum die Trommel des heiligen Hussein. Ich ergriff Ninos Hand, führte sie rasch ins Haus und schloß die Fenster. Ich holte das Grammophon und die stärksten Nadeln. Dann legte ich eine Platte auf, und eine tiefe Baßstimme brüllte ohrenbetäubend die Arie vom Gold aus Gounods »Faust«. Es war die lauteste Platte, die es geben konnte, und während Nino sich ängstlich an mich klammerte, übertönte der gewaltige Baß des Mephisto die dumpfen Schläge der Trommel und den uralten Ruf:

»Schah-sse… Wah-sse.«

27. Kapitel

An den ersten Tagen des persischen Herbstes besetzte die Enver-Armee Baku. Die Nachricht lief durch Basare, Teestuben und Ministerien. Die letzten Verteidiger der Stadt, ausgehungert und von den Ihren abgesprengt, landeten in den Häfen Persiens und Turkestans. Sie erzählten von der roten Fahne mit dem weißen Halbmond, die siegreich über der alten Zitadelle flatterte. Arslan Aga veröffentlichte in Teheraner Zeitungen phantastische Schilderungen vom Einzug der Türken, und Onkel Assad es Saltaneh verbot die Zeitungen, denn er haßte die Türken und glaubte, den Engländern damit einen Gefallen zu tun. Mein Vater fuhr zum Premierminister, und dieser erlaubte nach einigem Zögern die Wiederaufnahme der Schiffsverbindung zwischen Baku und Persien. Wir reisten nach Enseli, und der Dampfer »Nassreddin« nahm die Schar der Vertriebenen auf, die in die befreite Heimat zurückkehrten.

In Baku standen am Pier rüstige Soldaten mit hohen Fellmützen. Iljas Beg salutierte mit dem Degen, und der türkische Oberst hielt eine Ansprache, in der er sich bemühte, das weiche Stambul-Türkisch den rohen Klängen unseres heimatlichen Dialektes anzupassen. Wir zogen in unser verwüstetes, ausgeraubtes Haus, und für Tage und Wochen verwandelte sich Nino in eine Hausfrau. Sie verhandelte mit den Zimmerleuten, durchstöberte Möbelgeschäfte und rechnete mit sorgenvollem Gesicht die Längen und Breiten unserer Zimmer aus. Sie führte geheimnisvolle Unterredungen mit Architekten, und eines Tages füllte sich das Haus mit dem Lärm der Arbeiter und dem Geruch von Farbe, Holz und Mörtel.

Inmitten dieses häuslichen Durcheinanders stand Nino, strahlend und ihrer Verantwortung bewußt, denn sie hatte freie Hand bei der Auswahl der Möbel, Stilarten und Tapeten gehabt.

Abends berichtete sie beschämt und glückselig:

»Zürne nicht deiner Nino, Ali Khan. Ich habe Betten bestellt, richtige Betten statt Diwans. Die Tapeten werden hell sein, und die Teppiche werden den Boden bedecken. Das Kinderzimmer wird weiß gestrichen. Es soll alles ganz anders werden als im persischen Harem.«

Sie umschlang meinen Hals und rieb ihr Gesicht an meiner Wange, denn sie hatte ein schlechtes Gewissen. Dann drehte sie den Kopf zur Seite, die schmale Zunge glitt über ihre Lippen und versuchte angestrengt die Nasenspitze zu erreichen. So tat sie immer vor schweren Lebensaufgaben, Prüfungen, Ärztebesuchen oder Beerdigungen. Ich dachte an das Fest des Jünglings Hussein und ließ sie gewähren, obwohl es ein schmerzlicher Gedanke war, die Teppiche mit Füßen treten zu müssen und an europäischen Tischen zu sitzen. Mir verblieb nur das flache Dach mit dem Blick auf die Wüste. Einen Umbau des Daches hatte Nino nicht vorgeschlagen.

Kalk, Staub und Lärm erfüllten das Haus. Ich saß auf dem Dach mit meinem Vater, hielt den Kopf zur Seite geneigt, ließ genau wie Nino die Zunge um die Lippen gleiten und hatte schuldbewußte Augen. In den Blicken des Vaters lag Spott.

»Nichts zu machen, Ali Khan. Haushalt ist der Bereich der Frau. Nino hat sich in Persien gut gehalten, obwohl es ihr nicht leichtfiel. Jetzt bist du an der Reihe. Vergiß nicht, was ich dir gesagt habe: Baku ist Europa geworden. Für immer! Das kühle Dunkel der verschlossenen Zimmer und die roten Teppiche an der Wand gehören nach Persien.«

»Und du, Vater?«

»Auch ich gehöre nach Persien, und ich fahre hin, so bald ich dein Kind gesehen habe. Ich werde in Schimran in unserem Hause wohnen und warten, bis auch dort weiße Tapeten und Betten eingeführt werden.«

»Ich muß hierbleiben, Vater.«

Er nickte ernst.

»Ich weiß. Du liebst diese Stadt, und Nino liebt Europa. Mich aber stört die neue Fahne, der Lärm des neuen Staates und der Geruch der Gottlosigkeit, der über unserer Stadt hängt.«

Er blickte ruhig vor sich hin und glich plötzlich seinem Bruder Assad es Saltaneh.

»Ich bin ein alter Mann, Ali Khan. Das Neue ist mir zuwider. Du mußt hierbleiben. Du bist jung und mutig, und das Land Aserbaidschan wird dich brauchen.«

In der Dämmerung wanderte ich durch die Straßen meiner Stadt. Türkische Patrouillen standen an den Ecken, hart und stramm, mit gedankenlosen Blicken. Ich sprach mit den Offizieren, und sie erzählten von den Moscheen Stambuls und den Sommerabenden von Tatlysu. Am alten Gouverneursgebäude flatterte die Fahne des neuen Staates, und in der Schule war das Parlament untergebracht. Die alte Stadt schien in ein maskenballartiges Leben getaucht. Der Rechtsanwalt Feth Ali Khan war Premierminister und erließ Gesetze, Verordnungen und Befehle. Mirza Assadullah, der Bruder jenes Assadullah, der alle Russen in der Stadt umbringen wollte, war Außenminister und schloß Verträge mit den Nachbarländern ab. Das ungewohnte Gefühl der staatlichen Selbständigkeit riß mich mit, und ich liebte plötzlich die neuen Wappen, Uniformen, Ämter und Gesetze. Zum erstenmal war ich wirklich zu Hause in meinem eigenen Land. Die Russen schlichen schüchtern an mir vorbei, und meine ehemaligen ‘Schullehrer grüßten mich ehrerbietig.

Abends wurden im Klub einheimische Weisen gespielt, man durfte die Mützen aufbehalten, und Iljas Beg und ich bewirteten die türkischen Offiziere, die von der Front kamen und zur Front zogen. Sie erzählten von der Belagerung Bagdads und von dem Feldzug durch die Sinaiwüste. Sie kannten die Sanddünen Tripolitaniens, die kotigen Wege Galiziens und die Schneestürme in den armenischen Bergen. Sie tranken Sekt, ungeachtet der Gebote des Propheten, und sprachen von Enver und dem kommenden Reiche Turan, in dem alle Menschen türkischen Blutes vereint sein sollten. Ich hing an ihrem Munde voller Staunen und Hingabe, denn das Ganze war unwirklich und schattenhaft, wie ein schöner, unvergeßlicher Traum. Am Tage ertönte in den Straßen der Stadt Militärmusik. Der Pascha, hoch zu Roß, mit sternbedeckter Brust, ritt die Front ab und grüßte die neue Fahne. Stolz und Dankbarkeit erfüllten uns, wir vergaßen alle Unterschiede zwischen Sunniten und Schiiten und wären bereit gewesen, die sehnige Hand des Paschas zu küssen und für den osmanischen Kalifen zu sterben. Nur Seyd Mustafa stand abseits, und in seinem Gesicht lagen Haß und Verachtung. Zwischen den Sternen und Halbmonden, die die Brust des Paschas bedeckten, entdeckte er ein bulgarisches Militärkreuz und grollte dem Symbol des fremden Glaubens an der Brust eines Muslims.