Ich ging nach Hause. Ninos Finger waren mit Lehm und Farbe bedeckt. Sie stand auf der Leiter und hämmerte an einem Nagel herum, der ein Ölgemälde tragen sollte. Sie wäre sehr verwundert gewesen, wenn ich ihr gesagt hätte, daß sie damit dem Vaterlande einen Dienst erwies. Ich sagte es nicht, sondern küßte ihre schmutzigen Finger und genehmigte einen Eisschrank, geeignet zur Aufbewahrung ausländischer Weine.
28. Kapitel
»Haben Sie eine Tante?« — »Nein, ich habe keine Tante, aber mein Diener hat sich das rechte Bein gebrochen?«
»Lieben Sie das Reisen?« — »Ja, ich liebe das Reisen, aber ich pflege abends nur Obst zu essen.«
Die Übungssätze der Grammatik waren von boshaftester Torheit. Nino klappte das Buch zu.
»Ich glaube, wir können genug Englisch, um den Kampf zu bestehen, aber hast du schon einmal Whisky versucht?«
»Nino«, rief ich entsetzt, »du sprichst wie der Verfasser der Grammatik.«
»Leichtverständliche Verblödung, Ali Khan, hervorgerufen durch mißverstandenen Dienst am Vaterlande. Wer kommt heute abend?«
Ihre Stimme klang gespielt gleichgültig.
Ich zählte die Namen der englischen Beamten und Offiziere auf, die unser Haus heute beehren sollten. Nino blickte mit stillem Stolz vor sich hin. Sie wußte wohclass="underline" kein Minister von Aserbaidschan und kein General besaß, was ihr Mann besaß — eine gepflegte Frau mit westlichen Manieren, englischen Sprachkenntnissen und fürstlichen Eltern. Sie zupfte an ihrem Abendkleid und blickte prüfend in den Spiegel.
»Ich habe den Whisky versucht«, sagte sie düster, »er schmeckt bitter und außerordentlich widerwärtig. Deshalb wohl mischt man ihn mit Sodawasser.«
Ich legte meine Hand um ihre Schulter, und ihre Augen blickten mich dankbar an.
»Wir führen ein seltsames Leben, Ali Khan. Einmal sperrst du mich in den Harem ein, und dann wieder diene ich als Zeuge des kulturellen Fortschritts unseres Landes.«
Wir gingen hinunter zum Empfangsraum. Diener mit vorher wohleinstudierten Mienen drückten sich an den Wänden herum und von den Wänden herab hingen Landschaften und Tierbilder. Weiche Klubsessel standen in den Ecken, und Blumen bedeckten die Tische. Nino vergrub ihr Gesicht in weiche Rosenblätter.
»Weißt du noch, Ali Khan? Einst diente ich dir, indem ich Wasser aus dem Tal zum Aul trug.«
»Welcher Dienst gefällt dir mehr?«
Ninos Augen wurden verträumt, und sie antwortete nicht. An der Tür klingelte es, und ihre Lippen zuckten aufgeregt. Es waren aber nur die fürstlichen Eltern. Und Iljas Beg in voller Gala. Er ging prüfend durch die Säle und nickte begeistert.
»Ich sollte auch heiraten, Ali Khan«, sagte er gewichtig, »hat Nino Kusinen?«
Wir standen an der Tür, Nino und ich, und drückten kräftige, englische Hände. Die Offiziere waren hochgewachsen und hatten rötliche Gesichter. Die Damen trugen Handschuhe, hatten blaue Augen und lächelten gnädig und neugierig. Vielleicht erwarteten sie, von Eunuchen bewirtet und von Bauchtänzerinnen unterhalten zu werden. Statt dessen erschienen wohlerzogene Diener, die Speisen wurden von links serviert, und an den Wänden hingen grüne Wiesen und Rennpferde. Ninos Atem stockte, als ein junger Leutnant sich ein volles Glas Whisky einschenken ließ und es leerte, ohne das dargebotene Sodawasser zu beachten. Fetzen von Gesprächen schwebten durch den Raum und waren von der gleichen boshaften Torheit wie die Sprüche der Grammatik.
»Sind Sie schon lange verheiratet, Frau Schirwanschir?« — »Beinahe zwei Jahre.«
»Ja, die Hochzeitsreise machten wir nach Persien.« — »Mein Mann reitet gern.« — »Nein, Polo spielt er nicht.«
»Gefällt Ihnen unsere Stadt?« — »Es freut mich sehr.« — »Aber um Gottes willen!! Wir sind doch keine Wilden! Es gibt schon lange keine Vielweiberei in Aserbaidschan. Von Eunuchen habe ich nur in Romanen gelesen.«
Nino blickte zu mir hinüber, und ihre rosigen Nasenflügel zitterten von unterdrücktem Lachen. Eine Majorsgattin hatte sich bei ihr sogar erkundigt, ob sie schon je in der Oper gewesen sei.
»Ja«, hatte sie sanft geantwortet, »und lesen und schreiben kann ich auch.«
Die Majorsgattin war geschlagen, und Nino reichte ihr eine Sandwichplatte.
Junge Engländer, Beamte und Offiziere, verbeugten sich vor Nino, und ihre Hände berührten Ninos zarte Finger, und ihre Blicke streiften Ninos nackten Rücken.
Ich sah weg. In der Ecke stand Assadullah und rauchte seelenruhig ein Zigarre. Er selbst würde nie und nimmer seine Frau den Blicken so vieler fremder Menschen preisgeben. Aber Nino war eine Georgierin, eine Christin, und schien dazu bestimmt, ihre Hände, ihre Augen, ihren Rücken fremden Blicken auszuliefern.
Wut und Scham überfielen mich. Bruchstücke von Gesprächen streiften mein Ohr und klangen schamlos und gemein. Ich senkte die Augen, Nino stand am anderen Ende des Saales, von Fremden umringt.
»Danke«, sagte sie plötzlich heiser, »danke, Sie sind sehr liebenswürdig.«
Ich hob den Kopf und sah ihr tief errötetes und erschrockenes Gesicht. Sie ging durch den Saal und blieb vor mir stehen. Ihre Hand berührte meinen Ärmel, als suche sie Zuflucht.
»Ali Khan«, sagte sie leise, »es geht dir jetzt wie mir, als ich deine Tanten und Kusinen in Teheran besuchte. Was soll ich mit so vielen Männern? Ich will mich nicht so anschauen lassen.«
Dann wandte sie sich ab und ergriff die Hand der Frau Majorin. Ich hörte sie sprechen:
»Sie müssen wirklich einmal unser einheimisches Theater besuchen. Shakespeare wird gerade ins Aserbaidschanische übersetzt. Nächste Woche ist die Uraufführung von Hamlet.«
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und dachte an die strengen Gesetze der Gastfreundschaft. Ein alter Spruch lautete:
»Wenn ein Gast in dein Zimmer tritt und den abgeschnittenen Kopf deines einzigen Sohnes in der Hand trägt, so mußt du ihn auch dann empfangen, bewirten und als Gast ehren.«
Ein weises Gesetz. Aber es war manchmal sehr schwer, ihm zu folgen.
Ich schenkte Whisky und Cognac in zahlreiche Gläser ein. Die Offiziere rauchten Zigarren, aber niemand legte die Füße auf den Tisch, obwohl ich es bestimmt erwartet hatte.
»Sie haben eine reizende Frau und ein reizendes Heim, Ali Khan«, setzte ein junger Offizier meine Qual fort.
Wahrscheinlich wäre er sehr verwundert, wenn er erfahren hätte, daß nur politische Rücksichten ihn vor einer Ohrfeige retteten. Ein ungläubiger Hund wagte es, öffentlich die Schönheit meiner Frau zu rühmen! Meine Hand zitterte, als ich ihm den Cognac einschenkte, und einige Tropfen flossen über.
Ein älterer Beamter mit weißem Schnurrbart und weißem Smokinghemd saß in der Ecke. Ich reichte ihm Gebäck. Er hatte längliche, gelbe Zähne und kurze Finger.
»Sie führen ein sehr europäisches Haus, Ali Khan«, sagte er in reinstem Persisch.
»Ich lebe so, wie es bei uns im Lande üblich ist.«
Er sah mich forschend an.
»Zwischen Persien und Aserbaidschan scheint ein gewaltiger kultureller Unterschied zu sein.«
»O ja. Wir sind um Jahrhunderte voraus. Sie müssen bedenken, daß wir eine gewaltige Industrie und ein Eisenbahnnetz besitzen. Leider hat die russische Regierung unsere kulturelle Entwicklung unterdrückt. Wir haben zu wenig Ärzte und Lehrer. Wie ich höre, beabsichtigt die Regierung, eine Reihe begabter, junger Leute nach Europa zu schicken, damit sie dort das nachholen, was sie unter dem Joche Rußlands versäumt haben.«
So sprach ich eine Weile und wollte ihm dann Whisky einschenken, aber er trank nicht.
»Ich war zwanzig Jahre lang Konsul in Persien«, sagte er, »es ist schmerzlich zu sehen, wie die alten gediegenen Formen der orientalischen Kultur verfallen, wie die heutigen Orientalen unserer Zivilisation nachrennen und die Sitten ihrer Ahnen verachten. Aber vielleicht haben sie recht. Der Stil ihres Lebens ist ja schließlich ihre Privatsache. Auf alle Fälle gebe ich zu, daß Ihr Land ebenso reif ist, selbständig zu sein wie etwa die Republiken Zentralamerikas. Ich glaube, daß unsere Regierung die staatliche Unabhängigkeit Aserbaidschans bald anerkennen wird.«