Ich war ein Ochse, aber der Zweck des Abends war erreicht. Am andern Ende des Saales stand, von Ninos fürstlichen Eltern und Iljas verdeckt, der Außenminister Assadullah. Ich durchquerte den Saal.
»Was sagte der Alte?« fragte Assadullah hastig.
»Er sagte, daß ich ein Ochse sei, aber daß die Anerkennung unserer Selbständigkeit durch England bevorsteht.«
Mirza Assadullah seufzte erleichtert.
»Sie sind gar kein Ochse, Ali Khan.«
»Danke, Herr Minister, aber ich glaube, ich bin es doch.«
Er schüttelte mir die Hand und verabschiedete sich von den Gästen. Als er am Ausgange Nino die Hand küßte, hörte ich, wie sie ihm mit geheimnisvollem Lächeln etwas zuflüsterte. Er nickte verständnisvoll.
Die Gäste gingen um Mitternacht, und im Saal roch es nach Tabak und Alkohol. Erschöpft und erleichtert stiegen wir die Treppen hinauf in unser Schlafzimmer und wurden plötzlich von einer seltsamen Ausgelassenheit ergriffen. Nino schmiß ihre Abendschuhe in die Ecke, sprang auf das Bett und ließ sich stehend von den Federn emporschnellen. Sie rümpfte die Nase, schob die Unterlippe nach vorne und glich einem kleinen, verspielten Affen. Sie blies die Wangen auf, stieß die beiden Zeigefinger gegen die gespannte Haut, die Luft riß ihre Lippen auf, und es klang wie ein Schuß.
»Wie gefall ich dir als Vaterlandsretterin?« rief sie. Dann sprang sie vom Bett herab, lief zum Spiegel und sah sich bewundernd an:
»Nino Hanum Schirwanschir, die aserbaidschanische Jeanne d’Arc. Fasziniert Majorsgattinnen und gibt vor, nie einen Eunuchen gesehen zu haben.«
Sie lachte und klatschte in ihre kleinen Hände. Sie trug ein helles Abendkleid mit tief ausgeschnittenem Rücken. Längliche Ohrringe hingen von ihren zarten Ohrläppchen herab. Die Perlenreihe um ihren Hals schimmerte blaß im Lampenlicht. Ihre Arme waren schlank und mädchenhaft, und die dunklen Haare fielen tief in den Nacken. Sie stand vor dem Spiegel und war hinreißend in ihrer neuartigen Schönheit.
Ich trat auf sie zu und sah eine europäische Prinzessin mit frohen und hochgemuten Augen. Ich umarmte sie und hatte das Gefühl, es zum erstenmal im Leben zu tun. Sie hatte eine weiche und duftende Haut, und die Zähne blitzten hinter ihren Lippen wie weiße Steinchen. Wir setzten uns zum erstenmal auf den Rand eines Bettes. Ich hielt eine europäische Frau in den Armen. Ihre langen, feinen und gebogenen Wimpern berührten meine Wange, sie zwinkerte zärtlich, und es war schön wie nie zuvor. Ich faßte sie beim Kinn und hob ihren Kopf. Ich sah das weiche Oval, feuchte, dürstende Lippen und sehnsüchtige Augen hinter halbgeschlossenen georgischen Wimpern. Ich streichelte ihren Nacken, und ihr kleines Haupt fiel kraftlos in meine Hände. Ihr Gesicht war voll Sehnsucht und Hingabe. Ich vergaß ihr Abendkleid und das europäische Bett mit aufgeschlagenen Decken und kühlen Laken. Ich sah sie im Aul, in Daghestan, halbbekleidet, auf der schmalen Matte des Lehmfußbodens. Meine Hände umklammerten ihre Schultern, und plötzlich lagen wir in unsern Kleidern auf dem blassen Teppich aus Kerman, zu Füßen des stolzen europäischen Prunkbettes. Ich sah Ninos Gesicht über dem zarten Teppich und wie sich ihre Augenbrauen in schmerzlicher Lust zusammenzogen. Ich hörte ihren Atem, fühlte die harten Rundungen ihrer schmalen Schenkel und vergaß den alten Engländer, die jungen Offiziere und die Zukunft unserer Republik.
Später lagen wir still nebeneinander und blickten in den großen Saal über unserem Kopf.
»Das Kleid ist hin«, stellte Nino fest, und es klang wie das Geständnis eines großen Glücks. Dann saßen wir auf dem Teppich, Nino wiegte ihren Kopf in meinem Schoß und überlegte: »Was würde die Frau Majorin dazu sagen?! Sie würde sagen: Weiß denn Ali Khan nicht, wozu die Betten da sind?« Sie erhob sich endgültig und stieß mit ihrem kleinen Fuß an mein Knie: »Würde sich der Herr Attache entschließen, sich zu entkleiden und, den allgemeinen Gepflogenheiten der diplomatischen Welt folgend, seinen Platz im Ehebett einnehmen? Wo gibt es Attaches, die sich auf dem Teppich herumwälzen?«
Ich erhob mich, brummend und schlaftrunken, warf die Kleider ab und lag zwischen zwei Laken neben Nino. So schliefen wir ein.
Tage und Wochen vergingen, Gäste kamen, tranken Whisky und lobten unser Heim. Ninos georgische Gastfreundschaft entfaltete sich in ihrer ganzen heitern Geselligkeit. Sie tanzte mit jungen Leutnants und sprach mit älteren Hauptleuten über Gicht. Sie erzählte den englischen Damen Geschichten aus der Zeit der Königin Tamar und ließ sie in dem Glauben, daß die große Königin auch über Aserbaidschan geherrscht habe. Ich saß im Ministerium, allein in einem großen Zimmer, schrieb Entwürfe für diplomatische Noten, las die Berichte unserer Auslandsvertreter und blickte aufs Meer hinaus. Nino holte mich ab und war fraulich und heiter, voll gedankenloser Anmut. Sie schloß eine überraschende Freundschaft mit dem Außenminister Assadullah. Sie bewirtete ihn, wenn er zu uns kam, erteilte ihm weise Ratschläge gesellschaftlicher Art, und manchmal traf ich die beiden, geheimnisvoll flüsternd, in entfernten Ecken unseres Hauses.
»Was willst du von Mirza?« fragte ich, und sie lächelte und erklärte, es sei ihr Ehrgeiz, der erste weibliche Chef des Protokolls zu werden.
Auf meinem Schreibtisch stapelten sich Briefe, Berichte und Memoranden. Der Bau des neuen Staates war in vollem Gange, und es war schön, die Briefbogen und Aktenstücke zu entfalten, die unser neues Wappen am Kopfe führten.
Es war kurz vor Mittag, als mir der Kurier die Zeitungen brachte. Ich entfaltete unser Regierungsblatt und sah auf der dritten Seite fett gedruckt meinen Namen prangen. Darunter stand geschrieben:
»Ali Khan Schirwanschir, Attaché im Außenministerium, wird in gleicher Eigenschaft unserer Gesandtschaft in Paris zugeteilt.«
Es folgte ein längerer Aufsatz, der meine hervorragenden Eigenschaften rühmte und der unverkennbar die Feder Arslan Agas verriet.
Ich sprang auf und rannte durch die Zimmerflucht zum Kabinett des Ministers. Ich riß die Türe auf.
»Mirza Assadullah«, rief ich, »was soll das?«
»Ah«, lächelte er, »eine Überraschung für Sie, mein Freund. Ich habe es Ihrer Frau versprochen. Nino und Sie werden in Paris am richtigen Platz sein.«
Ich warf die Zeitung in die Ecke, und wilde Wut packte mich.
»Mirza«, rief ich, »es besteht kein Gesetz, das mich zwingen könnte, für Jahre meine Heimat zu verlassen.«
Er sah mich verwundert an.
»Was wollen Sie, Ali Khan? Diese Auslandsposten sind die begehrtesten in unserm Dienst. Sie eignen sich dazu ganz ausgezeichnet.«
»Ich will aber nicht nach Paris, und ich verlasse den Dienst, falls Sie mich dazu zwingen wollen. Ich hasse die fremde Welt, die fremden Straßen, Menschen und Sitten. Aber Sie werden das nie verstehen, Mirza!«
»Nein«, sagte er höflich, »aber wenn Sie darauf bestehen, können Sie auch hierbleiben.«
Ich eilte nach Hause. Ich lief die Treppe hinauf und war ganz außer Atem.
»Nino«, sagte ich, »ich kann nicht, ich kann es einfach nicht.«
Sie wurde sehr blaß, und ihre Hände zitterten.
»Warum nicht, Ali Khan?«
»Nino, versteh mich recht. Ich liebe das flache Dach über meinem Kopf, die Wüste und das Meer. Ich liebe diese Stadt, die alte Mauer und die Moscheen in den engen Gassen, und ich werde ersticken außerhalb des Orients wie ein Fisch außerhalb des Wassers.«
Sie schloß für einen Augenblick die Augen.
»Schade«, sagte sie tonlos, und mein Herz schmerzte beim Klang dieses Wortes. Ich setzte mich hin und nahm ihre Hand.