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»Ich würde in Paris genau so unglücklich sein, wie du in Persien warst. Ich würde mich dort einer fremden Willkür ausgeliefert fühlen. Denke an den Harem in Schimran. Ich würde Europa so wenig ertragen können, wie du Asien ertrugst. Bleiben wir in Baku, wo Asien und Europa unmerklich ineinander übergehen. Ich kann nicht nach Paris gehen, es gibt dort keine Moscheen, keine alte Mauer und keinen Seyd Mustafa. Ich muß mich von Zeit zu Zeit an der Seele Asiens laben, um die vielen Fremden zu ertragen, die zu uns kommen. In Paris würde ich dich hassen, wie du mich nach dem Fest des Moharrems gehaßt hast. Nicht sofort, aber irgendwann, nach einem Karneval oder nach einem Ball würde ich dich plötzlich zu hassen beginnen wegen der fremden Welt, in die du mich zwingen willst. Deshalb bleibe ich hier, was immer auch geschehe. Ich bin in diesem Lande geboren und will hier sterben.«

Sie schwieg die ganze Zeit, und als ich endete, beugte sie sich zu mir, und ihre Hand streichelte meine Haare.

»Verzeih deiner Nino, Ali Khan. Ich war sehr dumm. Ich weiß nicht, warum ich dachte, du könntest dich eher wandeln als ich. Wir bleiben hier und sprechen nicht mehr von Paris. Du behältst die asiatische Stadt und ich das europäische Haus.«

Sie küßte mich zärtlich, und ihre Augen leuchteten.

»Nino, ist es sehr schwer, meine Frau zu sein?«

»Nein, Ali Khan, wenn man klug ist, gar nicht. Aber man muß klug sein.«

Ihre Finger glitten über mein Gesicht. Sie war eine starke Frau, meine Nino. Ich wußte, daß ich den schönsten Traum ihres Lebens zerstört hatte.

Ich nahm sie auf die Knie.

»Nino, wenn das Kind da ist, fahren wir nach Paris, nach London, Berlin oder Rom. Wir haben noch eine Hochzeitsreise nachzuholen. Wir bleiben, wo es dir gefällt, einen ganzen langen Sommer. Und wir fahren in jedem Jahr wieder nach Europa, denn ich bin kein Tyrann. Aber leben will ich in dem Lande, zu dem ich gehöre, denn ich bin ein Kind unserer Wüste, unseres Sandes, unserer Sonne.«

»Ja«, sagte sie, »sogar ein sehr gutes Kind, und wir wollen Europa vergessen. Aber das Kind, das ich von dir trage, soll weder ein Kind der Wüste noch ein Kind des Sandes werden, sondern einfach das Kind von Ali und Nino. Abgemacht?«

»Abgemacht«, sagte ich und wußte, daß ich damit einwilligte, der Vater eines Europäers zu werden.

29. Kapitel

»Du warst eine sehr schwere Geburt, Ali Khan, und damals riefen wir noch keine europäischen Ärzte zu unsern Frauen.« Mein Vater saß vor mir auf dem Dache unseres Hauses und sprach mit leiser, wehmütiger Stimme:

»Als die Geburtswehen zu stark wurden, gaben wir deiner Mutter gestoßenen Türkisen- und Diamantenstaub. Aber es half nicht viel. Die Nabelschnur legten wir an die östliche Wand des Zimmers neben Schwert und Koran, damit du fromm und tapfer werdest. Dann trugst du sie als Amulett um den Hals und warst immer gesund. Als du drei Jahre alte wurdest, hast du die Nabelschnur verloren und begannst daraufhin zu kränkeln. Wir versuchten zuerst, die Krankheit abzulenken, und stellten Wein und Süßigkeiten in dein Zimmer. Wir ließen einen gefärbten Hahn durch das Zimmer laufen, aber auch dann ließ die Krankheit nicht nach. Da kam ein weiser Mann aus den Bergen und brachte eine Kuh. Wir schlachteten die Kuh, und der weise Mann schnitt ihr den Bauch auf und nahm die Eingeweide heraus. Er steckte dich in den Bauch der Kuh. Als er dich nach drei Stunden herausnahm, war deine Haut ganz rot. Von da ab warst du gesund.«

Aus dem Hause drang ein dumpfer, langer Schrei. Ich saß aufrecht und regungslos, und alles in mir war Gehör. Der Schrei wiederholte sich, gedehnt und klagend.

»Jetzt verflucht sie dich«, sagte der Vater ruhig, »jede Frau verflucht ihren Mann in den Stunden des Gebärens. In früheren Zeiten mußte die Frau nach der Geburt einen Hammel schlachten und mit seinem Blute die Lagerstätten des Mannes und des Kindes bespritzen, um das Unheil abzuleiten, das sie während ihrer Wehen über die beiden heraufbeschworen hatte.«

»Wie lange kann es dauern, Vater?«

»Fünf Stunden, sechs Stunden, vielleicht zehn Stunden. Sie hat schmale Hüften.«

Er verstummte. Vielleicht dachte er an die eigene Frau, die meine Mutter war und im Wochenbett starb. Plötzlich erhob er sich.

»Komm«, sagte er, und wir gingen zu den beiden roten Gebetteppichen in der Mitte des Daches. Die oberen Enden der Teppiche waren gen Mekka gewandt, in Richtung der heiligen Kaaba. Wir zogen die Schuhe aus. Wir stellten uns auf die Teppiche und falteten die Hände, mit der rechten Handfläche den linken Handrücken bedeckend.

»Das ist alles, was wir tun können, aber das ist mehr als alle Weisheit der Ärzte.«

Er beugte sich vor und sprach die arabischen Worte des Gebetes:

»Bismi ilahi rrahmani rahim — Im Namen Gottes, des Allerbarmers, des Allbarmherzigen…«

Ich folgte ihm. Ich kniete auf dem Gebetteppich, und meine Stirn berührte den Boden.

»Alhamdu lillahi rabi-1-alamin, arrahmani rahim, maliki jaumi din — Gelobt sei Gott, der Herr der Welten, der Allerbarmer, der Allbarmherzige, der Herr des Jüngsten Gerichtes…«

Ich saß auf dem Teppich, und meine Hände verdeckten mein Gesicht. Ninos Schreie streiften mein Ohr, aber ich erfaßte sie nicht mehr. Meine Lippen formten von selbst die Sätze des Korans:

»Ijjaka na budu waijjaka nastain — Dich verehren wir, und dich flehen wir um Gnade an…«

Meine Hände lagen jetzt auf meinen Knien. Es war sehr still, und ich hörte das Flüstern meines Vaters:

»Ihdina sirata-lmustaqim sirata lladina anammta alaihim — Führ uns auf den rechten Weg, auf den Weg derer, denen du gnädig bist…«

Die roten Linien des Gebetteppichs verschwammen vor meinen Augen. Mein Gesicht lag auf dem Teppich.

»Gaira lmagdumi alaihim wala ddalin — Denen du nicht zürnest und die du nicht irreführst…«

So lagen wir im Staube, vor dem Antlitz des Herrn. Wieder und immer wieder sprachen wir die Worte des Gebetes, die Gott einst dem Propheten in Mekka in der fremden Zunge der arabischen Nomaden eingegeben hatte. Ninos Schreie verstummten. Ich saß mit gekreuzten Beinen auf dem Teppich, der Rosenkranz glitt durch meine Hände, und meine Lippen flüsterten die dreiunddreißig Namen des Herrn.

Jemand berührte meine Schulter. Ich hob den Kopf, sah ein lächelndes Gesicht und hörte unverständliche Worte. Ich erhob mich. Ich fühlte die Blicke des Vaters auf mir ruhen und stieg langsam die Treppe hinab.

Die Fenster in Ninos Zimmer waren verhängt. Ich näherte mich dem Bette. Ninos Augen waren voll Tränen. Ihre Wangen waren eingefallen. Sie lächelte still und sagte plötzlich auf tatarisch, in der einfachen Sprache unseres Volkes, die sie kaum beherrschte:

»Kis dir, Ali Khan, tschoch gusel bir kis. O kadar bahtiarim — Es ist ein Mädchen, Ali Khan, ein herrliches Mädchen, ich bin so glücklich.«

Ich ergriff ihre kalten Hände, und sie schloß die Augen.

»Laß sie nicht einschlafen, Ali Khan, sie muß noch eine Weile wach bleiben«, sagte jemand hinter meinem Rücken.

Ich streichelte ihre trockenen Lippen, und sie blickte zu mir auf, ruhig und ermattet. Eine Frau in weißer Schürze näherte sich dem Bett. Sie hielt mir ein Bündel hin, und ich sah ein kleines, runzliges Spielzeug, mit winzigen Fingerchen und großen, ausdruckslosen Augen. Das Spielzeug weinte mit verzogenem Gesicht.

»Wie schön sie ist«, sagte Nino verzückt und spreizte die Finger, die Bewegungen des Spielzeugs nachahmend. Ich hob die Hand und berührte furchtsam das Bündel, aber das Spielzeug schlief bereits mit ernstem und gerunzeltem Gesicht.

»Wir werden es Tamar nennen, zu Ehren des Lyzeums«, flüsterte Nino, und ich nickte, denn Tamar war ein schöner Name, gleich gebräuchlich bei Christen und Muslims.

Jemand führte mich aus dem Zimmer. Neugierige Blicke streiften mich, und mein Vater nahm mich an der Hand. Wir gingen in den Hof.