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Arslan Aga, der diese Nachricht brachte, stand vor mir und blickte auf die Waffen, die ich zu verteilen hatte.

»Ich will mitkämpfen, Ali Khan.«

»Du?! Du tintenbeflecktes Ferkelchen?«

»Ich bin kein Ferkelchen, Ali Khan. Ich liebe mein Land wie jeder andere. Mein Vater ist nach Tiflis geflohen. Gib mir Waffen.«

Sein Gesicht war ernst, und seine Augen zuckten.

Ich gab ihm Waffen, und er marschierte in der Kolonne, die ich zum Ausfall über die Brücke führte. Russische Soldaten besetzten die Straßen jenseits der Brücke. Wir stießen im Nahkampf aufeinander, im Staube der Mittagssonne. Ich sah breite Fratzen und blinkende, dreikantige Bajonette. Wilde Wut erfaßte mich.

»Irali — vorwärts!« rief jemand, und wir senkten die Bajonette. Blut und Schweiß vermengten sich. Ich hob den Gewehrkolben, ein Schuß streifte meine Schulter. Der Schädel des Russen platzte unter dem Schlag des Kolbens. Graues Gehirn ergoß sich über den Staub der Straße. Ich stürzte mit gezücktem Dolch über einen Feind und sah im Fallen, wie Arslan Aga seinen Dolch in das Auge eines russischen Soldaten stieß.

Von weitem ertönte der metallische Klang der Trompete. Wir lagen hinter einer Straßenecke und schossen blindlings auf die armenischen Häuser. Nachts krochen wir über die Brücke zurück, und Iljas Beg, mit Patronengurten behängt, saß auf der Brücke und stellte die Maschinengewehre auf. Wir gingen in den Moscheehof, und beim Scheine der Sterne erzählte mir Iljas, wie er als kleines Kind einmal im Meer badete und, vom Wirbel ergriffen, beinahe ertrunken wäre. Dann löffelten wir die Suppe, aßen Pfirsiche, und Arslan Aga kauerte vor uns und hatte blutende Lücken in den Zähnen. Nachts kroch er zu mir herüber und zitterte am ganzen Körper.

»Ich fürchte mich, Ali Khan, ich bin so feige.«

»Dann lege die Waffen weg und fliehe über die Felder zum Pulafluß, nach Georgien.«

»Ich kann nicht, ich will kämpfen, denn ich liebe mein Land wie jeder andere, auch wenn ich eine feige Seele bin.«

Ich schwieg, und wieder graute der Morgen. In der Ferne donnerten die Geschütze, und Iljas Beg stand mit dem Feldstecher am Gebetturm neben dem Prinzen aus dem kaiserlichen Hause der Kadscharen. Die Trompete blies klagend und lockend, vom Minarett flatterte die Fahne, und jemand stimmte das Lied vom Reiche Turan an.

»Ich habe Verschiedenes gehört«, sagte ein Mann, mit träumerischen Augen und todgeweihtem Gesicht. »In Persien ist ein Mann erstanden, Reza ist sein Name, er führt Soldaten an und jagt die Feinde vor sich her. Kemal sitzt in Ankara. Um ihn ist ein Heer versammelt. Wir kämpfen nicht vergebens. Fünfundzwanzigtausend Mann marschieren uns zu Hilfe.«

»Nein«, sagte ich, »nicht fünfundzwanzigtausend, zweihundertfünfzig Millionen marschieren. Muslims der ganzen Welt. Aber Gott allein weiß, ob sie rechtzeitig ankommen werden.«

Ich ging zur Brücke. Ich saß hinter dem Maschinengewehr, und die Patronengurte glitten durch meine Finger, als wären sie Rosenkränze. Neben mir, meinem Nachbar die Patronengurte reichend, saß Arslan Aga. Sein Gesicht war blaß, und er lächelte. An der russischen Linie zeigte sich Bewegung, mein Maschinengewehr hämmerte wie rasend los. Drüben blies die Trompete zur Attacke. Irgendwo hinter den armenischen Häusern ertönten die Klänge des Budjonny-Marsches. Ich blickte hinab und sah das trockene, rissige Flußbett. Russen liefen über den Platz, knieten nieder, zielten, schossen, und ihre Kugeln streiften die Brücke. Ich antwortete mit wildem Feuer. Die Russen sanken zu Boden wie Marionetten, und hinter ihnen entstanden immer neue Reihen, die der Brücke entgegenliefen und in den Staub des Flußufers niederstürzten. Ihrer waren Tausende, und das dünne Kläffen des einsamen Maschinengewehrs klang kraftlos auf der Brücke von Gandscha.

Arslan Aga schrie auf, hoch und klagend, wie ein kleines Kind. Ich schielte hinüber. Er lag auf der Brücke, und Blut floß aus seinem geöffneten Mund. Ich drückte am Knopf des Maschinengewehrs. Feuerregen überzog die Russen, und ihre Trompete blies zur Attacke.

Meine Mütze fiel in den Fluß, vielleicht durchschossen, vielleicht weggefegt vom Wind, der mir ins Gesicht schlug.

Ich riß den Kragen auf und entblößte auch die Brust; zwischen mir und dem Feind lag die Leiche Arslan Agas. Man konnte also feige sein und dennoch wie ein Held fürs Vaterland sterben.

Drüben blies die Trompete zum Rückzug, das Maschinengewehr verstummte, und ich saß schweißbedeckt und hungrig auf der Brücke und wartete auf Ablösung.

Sie kam; schwere, ungelenke Menschen schoben die Leiche Arslans schützend vor das Maschinengewehr. Ich ging zur Stadt.

Jetzt sitze ich hier, im Schatten der Moscheemauer, und löffle die Suppe. Drüben, am Eingang der Moschee, steht Prinz Mansur, und Iljas Beg beugt sich über die Landkarte. Große Müdigkeit überkommt mich. In einigen Stunden werde ich wieder auf der Brücke stehen, und die Republik Aserbaidschan hat nur noch wenige Tage zu leben.

Genug. Ich will schlafen, bis mich die Trompete zu dem Fluß ruft, an dessen Ufer mein Ahne Ibrahim Khan Schirwanschir sein Leben ließ für die Freiheit des Volkes.

Ali Khan Schirwanschir fiel um viertel nach fünf, an der Brücke von Gandscha, auf seinem Posten hinter dem Maschinengewehr. Seine Leiche stürzte in das trockene Flußbett. Nachts stieg ich hinab, um sie zu bergen. Sie war von acht Kugeln durchbohrt. In seiner Tasche fand ich dieses Heft. Wenn Gott erlaubt, überbringe ich es seiner Frau. Wir bestatteten ihn in der frühen Morgenstunde im Moscheehof kurz bevor die Russen zur letzten Attacke übergingen. Das Leben unserer Republik ist zu Ende wie das Leben Ali Khan Schirwanschirs.

Rittmeister Iljas Beg,

Sohn des Seinal Aga

aus dem Dorfe Binigady bei Baku.