»Woher weißt du, daß ich toll bin?« fragte Alice.
»Du mußt es sein,« sagte die Katze, »sonst wärest du nicht hergekommen.«
Alice fand durchaus nicht, daß das ein Beweis sei; sie fragte jedoch weiter: »Und woher weißt du, daß du toll bist?«
»Zu allererst,« sagte die Katze, »ein Hund ist nicht toll. Das giebst du zu?«
»Zugestanden!« sagte Alice.
»Nun, gut,« fuhr die Katze fort, »nicht wahr ein Hund knurrt, wenn er böse ist, und wedelt mit dem Schwanze, wenn er sich freut. Ich hingegen knurre, wenn ich mich freue, und wedle mit dem Schwanze, wenn ich ärgerlich bin. Daher bin ich toll.«
»Ich nenne es spinnen, nicht knurren,« sagte Alice.
»Nenne es, wie du willst,« sagte die Katze. »Spielst du heut Croquet mit der Königin?«
»Ich möchte es sehr gern,« sagte Alice, »Aber ich bin noch nicht eingeladen worden.«
»Du wirst mich dort sehen,« sagte die Katze und verschwand.
Alice wunderte sich nicht sehr darüber; sie war so daran gewöhnt, daß sonderbare Dinge geschahen. Während sie noch nach der Stelle hinsah, wo die Katze gesessen hatte, erschien sie plötzlich wieder.
»Übrigens, was ist aus dem Jungen geworden?« sagte die Katze. »Ich hätte beinah vergessen zu fragen.«
»Er ist ein Ferkel geworden,« antwortete Alice sehr ruhig, gerade wie wenn die Katze auf gewöhnliche Weise zurückgekommen wäre.
»Das dachte ich wohl,« sagte die Katze und verschwand wieder.
Alice wartete noch etwas, halb und halb erwartend, sie wieder erscheinen zu sehen; aber sie kam nicht, und ein Paar Minuten nachher ging sie in der Richtung fort, wo der Faselhase wohnen sollte. »Hutmacher habe ich schon gesehen,« sprach sie zu sich, »der Faselhase wird viel interessanter sein.« Wie sie so sprach, blickte sie auf, und da saß die Katze wieder auf einem Baumzweige. »Sagtest du Ferkel oder Fächer?« fragte sie. »Ich sagte Ferkel,« antwortete Alice, »und es wäre mir sehr lieb, wenn du nicht immer so schnell erscheinen und verschwinden wolltest: du machst Einen ganz schwindlig.«
»Schon gut,« sagte die Katze, und diesmal verschwand sie ganz langsam, wobei sie mit der Schwanzspitze anfing und mit dem Grinsen aufhörte, das noch einige Zeit sichtbar blieb, nachdem das Übrige verschwunden war.
»Oho, ich habe oft eine Katze ohne Grinsen gesehen,« dachte Alice, »Aber ein Grinsen ohne Katze! so etwas Merkwürdiges habe ich in meinem Leben noch nicht gesehen!«
Sie brauchte nicht weit zu gehen, so erblickte sie das Haus des Faselhasen; sie dachte, es müsse das rechte Haus sein, weil die Schornsteine wie Ohren geformt waren, und das Dach war mit Pelz bedeckt. Es war ein so großes Haus, daß, ehe sie sich näher heran wagte, sie ein wenig von dem Stück Pilz in ihrer linken Hand abknabberte, und sich bis auf zwei Fuß hoch brachte: trotzdem näherte sie sich etwas furchtsam, für sich sprechend: »Wenn er nur nicht ganz rasend ist! Wäre ich doch lieber zu dem Hutmacher gegangen!«
Siebentes Kapitel.
Die tolle Theegesellschaft.
Vor dem Hause stand ein gedeckter Theetisch, an welchem der Faselhase und der Hutmacher saßen; ein Murmelthier saß zwischen ihnen, fest eingeschlafen, und die beiden Andern benutzen es als Kissen, um ihre Ellbogen darauf zu stützen, und redeten über seinem Kopfe mit einander. »Sehr unbequem für das Murmelthier,« dachte Alice; »nun, da es schläft, wird es sich wohl nichts daraus machen.«
Der Tisch war groß, aber die Drei saßen dicht zusammengedrängt an einer Ecke: »Kein Platz! Kein Platz!« riefen sie aus, sobald sie Alice kommen sahen. »Über und über genug Platz!« sagte Alice unwillig und setzt sich in einen großen Armstuhl am Ende des Tisches.
»Ist dir etwas Wein gefällig?« nöthigte sie der Faselhase.
Alice sah sich auf dem ganzen Tische um, aber es war nichts als Thee darauf. »Ich sehe keinen Wein,« bemerkte sie.
»Es ist keiner hier,« sagte der Faselhase.
»Dann war es gar nicht höflich von dir, mir welchen anzubieten,« sagte Alice ärgerlich.
»Es war gar nicht höflich von dir, dich ungebeten herzusetzen,« sagte der Faselhase.
»Ich wußte nicht, daß es dein Tisch ist; er ist für viel mehr als drei gedeckt.«
»Dein Haar muß verschnitten werden,« sagte der Hutmacher. Er hatte Alice eine Zeit lang mit großer Neugierde angesehen, und dies waren seine ersten Worte.
»Du solltest keine persönlichen Bemerkungen machen,« sagte Alice mit einer gewissen Strenge, »es ist sehr grob.«
Der Hutmacher riß die Augen weit auf, als er dies hörte; aber er sagte weiter nichts als: »Warum ist ein Rabe wie ein Reitersmann ?«
»Ei, jetzt wird es Spaß geben,« dachte Alice. »Ich bin so froh, daß sie anfangen Räthsel aufzugeben - Ich glaube, das kann ich rathen,« fuhr sie laut fort.
»Meinst du, daß du die Antwort dazu finden kannst ?« fragte der Faselhase.
»Ja, natürlich,« sagte Alice.
»Dann solltest du sagen, was du meinst,« sprach der Hase weiter.
»Das thue ich ja,« warf Alice schnell ein, »wenigstens - wenigstens meine ich, was ich sage - und das ist dasselbe.«
»Nicht im Geringsten dasselbe!« sagte der Hutmacher. »Wie, du könntest eben so gut behaupten, daß ich sehe, was ich esse« dasselbe ist wie »ich esse, was ich sehe.«
»Du könntest auch behaupten,« fügte der Faselhase hinzu, »ich mag, was ich kriege« sei dasselbe wie »ich kriege, was ich mag!«
»Du könntest eben so gut behaupten,« fiel das Murmelthier ein, das im Schlafe zu sprechen schien, »ich athme, wenn ich schlafe« sei dasselbe wie »ich schlafe, wenn ich athme!«
»Es ist dasselbe bei dir,« sagte der Hutmacher, und damit endigte die Unterhaltung, und die Gesellschaft saß einige Minuten schweigend, während Alice Alles durchdachte, was sie je von Raben und Reitersmännern gehört hatte, und das war nicht viel.
Der Hutmacher brach das Schweigen zuerst. »Den wievielsten haben wir heute?« sagte er, sich an Alice wendend; er hatte seine Uhr aus der Tasche genommen, sah sie unruhig an, schüttelte sie hin und her und hielt sie an's Ohr.
Alice besann sich ein wenig und sagte: »Den vierten.«
»Zwei Tage falsch!« seufzte der Hutmacher. »Ich sagte dir ja, daß Butter das Werk verderben würde,« setze er hinzu, indem er den Hasen ärgerlich ansah.
»Es war die beste Butter,« sagte der Faselhase demüthig.
»Ja, aber es muß etwas Krume mit hinein gerathen sein,« brummte der Hutmacher; »du hättest sie nicht mit dem Brodmesser hinein thun sollen.«
Der Faselhase nahm die Uhr und betrachtete sie trübselig; dann tunkte er sie in seine Tasse Thee und betrachtete sie wieder, aber es fiel ihm nichts Besseres ein, als seine erste Bemerkung: »Es war wirklich die beste Butter.«
Alice hatte ihm neugierig über die Schulter gesehen.
»Was für eine komische Uhr!« sagte sie. »Sie zeigt das Datum, und nicht wie viel Uhr es ist!«
»Warum sollte sie?« brummte der Hase; »zeigt deine Uhr, welches Jahr es ist?«
»Natürlich nicht,« antwortete Alice schnell, »weil es so lange hintereinander dasselbe Jahr bleibt.«
»Und so ist es gerade mit meiner,« sagte der Hutmacher.
Alice war ganz verwirrt. Die Erklärung des Hutmachers schien ihr gar keinen Sinn zu haben, und doch waren es deutlich gesprochne Worte. »Ich verstehe dich nicht ganz,« sagte sie, so höflich sie konnte.
»Das Murmelthier schläft schon wieder,« sagte der Hutmacher, und goß ihm etwas heißen Thee auf die Nase.
Das Murmelthier schüttelte ungeduldig den Kopf und sagte, ohne die Augen aufzuthun: »Freilich, freilich, das wollte ich eben auch bemerken.«