Выбрать главу

Da hörte die Königin, ganz außer Athem, auf und sagte zu Alice: »Hast du die Falsche Schildkröte schon gesehen?«

»Nein,« sagte Alice. »Ich weiß nicht einmal, was eine Falsche Schildkröte ist.«

»Es ist das, woraus falsche Schildkrötensuppe gemacht wird,« sagte die Königin.

»Ich habe weder eine gesehen, noch von einer gehört,« sagte Alice.

»Komm schnell,« sagte die Königin, »sie soll dir ihre Geschichte erzählen.«

Als sie mit einander fortgingen, hörte Alice den König leise zu der ganzen Versammlung sagen: »Ihr seid Alle begnadigt!« »Ach, das ist ein Glück!« sagte sie für sich, denn sie war über die vielen Enthauptungen, welche die Königin angeordnet hatte, ganz außer sich gewesen.

Sie kamen bald zu einem Greifen, der in der Sonne lag und schlief. (Wenn ihr nicht wißt, was ein Greif ist, seht euch das Bild an.) »Auf, du Faulpelz,« sagte die Königin, »und bringe dies kleine Fräulein zu der falschen Schildkröte, sie möchte gern ihre Geschichte hören. Ich muß zurück und nach einigen Hinrichtungen sehen, die ich angeordnet habe;« damit ging sie fort und ließ Alice mit dem Greifen allein. Der Anblick des Thieres gefiel Alice nicht recht; aber im Ganzen genommen, dachte sie, würde es eben so sicher sein, bei ihm zu bleiben, als dieser grausamen Königin zu folgen, sie wartete also.

Der Greif richtete sich auf und rieb sich die Augen: darauf sah er der Königin nach, bis sie verschwunden war; dann schüttelte er sich. »Ein köstlicher Spaß!« sagte der Greif, halb zu sich selbst, halb zu Alice.

»Was ist ein Spaß?« frage Alice.

»Sie,« sagte der Greif. »Es ist Alles ihre Einbildung, das: Niemand wird niemals nicht hingerichtet. Komm schnell.«

»Jeder sagt hier, komm schnell,« dachte Alice, indem sie ihm langsam nachging, »so viel bin ich in meinem Leben nicht hin und her kommandirt worden, nein, in meinem ganzen Leben nicht!«

Sie brauchten nicht weit zu gehen, als sie schon die falsche Schildkröte in der Entfernung sahen, wie sie einsam und traurig auf einem Felsenriffe saß; und als sie näher kamen, hörte Alice sie seufzen, als ob ihr das Herz brechen wollte. Sie bedauerte sie herzlich. »Was für einen Kummer hat sie ?« fragte sie den Greifen, und der Greif antwortete, fast in denselben Worten wie zuvor: »Es ist Alles ihre Einbildung, das; sie hat keinen Kummer nicht. Komm schnell!«

Sie gingen also an die falsche Schildkröte heran, die sie mit thränenschweren Augen anblickte, aber nichts sagte.

»Die kleine Mamsell hier,« sprach der Greif, »sie sagt, sie möchte gern deine Geschichte wissen, sagt sie.«

»Ich will sie ihr erzählen,« sprach die falsche Schildkröte mit tiefer, hohler Stimme; »setzt euch beide her und sprecht kein Wort, bis ich fertig bin.«

Gut, sie setzten sich hin und Keiner sprach mehrere Minuten lang. Alice dachte bei sich: »Ich begreife nicht, wie sie je fertig werden kann, wenn sie nicht anfängt.« Aber sie wartete geduldig.

»Einst,« sagte die falsche Schildkröte endlich mit einem tiefen Seufzer, »war ich eine wirkliche Schildkröte.«

Auf diese Worte folgte ein sehr langes Schweigen, nur hin und wieder unterbrochen durch den Ausruf des Greifen »Hjckrrh!« und durch das heftige Schluchzen der falschen Schildkröte.

 Alice wäre beinah aufgestanden und hätte gesagt: »Danke sehr für die interessante Geschichte!« aber sie konnte nicht umhin zu denken, daß doch noch etwas kommen müsse; daher blieb sie sitzen und sagte nichts.

»Als wir klein waren,« sprach die falsche Schildkröte endlich weiter, und zwar ruhiger, obgleich sie noch hin und wieder schluchzte, »gingen wir zur Schule in der See. Die Lehrerin war eine alte Schildkröte - wir nannten sie Mamsell Schalthier -«

»Warum nanntet ihr sie Mamsell Schalthier?« fragte Alice.

»Sie schalt hier oder sie schalt da alle Tage, darum,« sagte die falsche Schildkröte ärgerlich; »du bist wirklich sehr dumm.«

»Du solltest dich schämen, eine so dumme Frage zu thun,« setzte der Greif hinzu, und dann saßen beide und sahen schweigend die arme Alice an, die in die Erde hätte sinken mögen. Endlich sagte der Greif zu der falschen Schildkröte: »Fahr' zu, alte Kutsche! Laß uns nicht den ganzen Tag warten!« Und sie fuhr in folgenden Worten fort:

»Ja, wir gingen zur Schule, in der See, ob ihr es glaubt oder nicht -«

»Ich habe nicht gesagt, daß ich es nicht glaubte,« unterbrach sie Alice.

»Ja, das hast du,« sagte die falsche Schildkröte.

»Halt den Mund!« fügte der Greif hinzu, ehe Alice antworten konnte. Die falsche Schildkröte fuhr fort.

»Wir gingen in die allerbeste Schule; wir hatten vier und zwanzig Stunden regelmäßig jeden Tag.«

»Das haben wir auf dem Lande auch,« sagte Alice, »darauf brauchst du dir nicht so viel einbilden.«

»Habt ihr auch Privatstunden außerdem?« fragte die falsche Schildkröte etwas kleinlaut.

»Ja,« sagte Alice, »Französisch und Klavier.«

»Und Wäsche ?« sagte die falsche Schildkröte.

»Ich dächte gar!« sagte Alice entrüstet.

»Ah! dann gehst du in keine wirklich gute Schule,« sagte die falsche Schildkröte sehr beruhigt. »In unserer Schule stand immer am Ende der Rechnung, >Französisch, Klavierspielen, Wäsche - extra.<«

»Das könnt ihr nicht sehr nöthig gehabt haben,« sagte Alice, »wenn ihr auf dem Grund des Meeres wohntet.«

»Ich konnte keine Privatstunden bezahlen,« sagte die falsche Schildkröte mit einem Seufzer. »Ich nahm nur den regelmäßigen Unterricht.«

»Und was war das?« fragte Alice.

»Legen und Treiben, natürlich, zu allererst,« erwiederte die falsche Schildkröte; »Und dann die vier Abtheilungen vom Rechnen: Zusehen, Abziehen, Vervielfraßen und Stehlen.«

»Ich habe nie von Vervielfraßen gehört,« warf Alice ein. »Was ist das ?«

Der Greif erhob beide Klauen voller Verwunderung. »Nie von Vervielfraßen gehört« rief er aus. »Du weißt, was Verhungern ist? vermuthe ich.«

»Ja,« sagte Alice unsicher, »es heißt - nichts - essen - und davon - sterben.«

»Nun,« fuhr der Greif fort, »wenn du nicht verstehst, was Vervielfraßen ist, dann bist du ein Pinsel.«

Alice hatte allen Muth verloren, sich weiter danach zu erkundigen, und wandte sich daher an die falsche Schildkröte mit der Frage: »Was hattet ihr sonst noch zu lernen?«

»Nun, erstens Gewichte,« erwiederte die falsche Schildkröte, indem sie die Gegenstände an den Pfoten aufzählte, »Gewichte, alte und neue, mit Seeographie; dann Springen - der Springelehrer war ein alter Stockfisch, der ein Mal wöchentlich zu kommen pflegte, er lehrte uns Pfoten Reiben und Unarten, meerschwim-mig Springen, Schillern und Imponiren.«

»Wie war denn das ?« fragte Alice.

»Ich kann es dir nicht selbst zeigen,« sagte die falsche Schildkröte, »ich bin zu steif. Und der Greif hat es nicht gelernt.«

»Hatte keine Zeit,« sagte der Greif; »ich hatte aber Stunden bei dem Lehrer der alten Sprachen. Das war ein alter Barsch, ja, das war er.«

»Bei dem bin ich nicht gewesen,« sagte die falsche Schildkröte mit einem Seufzer, »er lehrte Zebräisch und Greifisch, sagten sie immer.«

»Das that er auch, das that er auch, und besonders Laßsein,« sagte der Greif, indem er ebenfalls seufzte, worauf beide Thiere sich das Gesicht mit den Pfoten bedeckten.