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»Und wie viel Schüler wart ihr denn in einer Klasse ?« sagte Alice, die schnell auf einen andern Gegenstand kommen wollte.

»Zehn den ersten Tag,« sagte die falsche Schildkröte, »neun den nächsten, und so fort.«

»Was für eine merkwürdige Einrichtung!« rief Alice aus.

»Das ist der Grund, warum man Lehrer hält, weil sie die Klasse von Tag zu Tag leeren.«

Dies war ein ganz neuer Gedanke für Alice, welchen sie gründlich überlegte, ehe sie wieder eine Bemerkung machte. »Den elften Tag müssen dann Alle frei gehabt haben?«

»Natürlich!« sagte die falsche Schildkröte.

»Und wie wurde es den zwölften Tag gemacht?« fuhr Alice eifrig fort.

»Das ist genug von Stunden,« unterbrach der Greif sehr bestimmt: »erzähle ihr jetzt etwas von den Spielen.«

Zehntes Kapitel.

 Das Hummerballet.

Die falsche Schildkröte seufzte tief auf und wischte sich mit dem Rücken ihrer Pfote die Augen. Sie sah Alice an und versuchte zu sprechen, aber ein bis zwei Minuten lang erstickte lautes Schluchzen ihre Stimme. »Sieht aus, als ob sie einen Knochen in der Kehle hätt',« sagte der Greif und machte sich daran, sie zu schütteln und auf den Rücken zu klopfen. Endlich erhielt die falsche Schildkröte den Gebrauch ihrer Stimme wieder, und während Thränen ihre Wangen herabflossen, erzählte sie weiter.

»Vielleicht hast du nicht viel unter dem Wasser gelebt -« (»Nein,« sagte Alice) - »und vielleicht hast du nie die Bekanntschaft eines Hummers gemacht -« (Alice wollte eben sagen: »ich kostete einmal,« aber sie hielt schnell ein und sagte: »Nein, niemals«) - »du kannst dir also nicht vorstellen, wie reizend ein Hummerballet ist.«

»Nein, in der That nicht,« sagte Alice, »was für eine Art Tanz ist es?«

»Nun,« sagte der Greif, »erst stellt man sich in eine Reihe am Strand auf -«

»In zwei Reihen!« rief die falsche Schildkröte. »Seehunde, Schildkröten, Lachse, und so weiter; dann, wenn alle Seesterne aus dem Wege geräumt sind -«

»Was gewöhnlich einige Zeit dauert,« unterbrach der Greif.

»- geht man zwei Mal vorwärts -«

»Jeder einen Hummer zum Tanze führend!« rief der Greif.

»Natürlich,« sagte die falsche Schildkröte: »zwei Mal vorwärts, wieder paarweis gestellt -«

»- wechselt die Hummer, und geht in derselben Ordnung zurück,« fuhr der Greif fort.

»Dann, mußt du wissen,« fiel die falsche Schildkröte ein, »wirft man die -«

»Die Hummer!« schrie der Greif mit einem Luftsprunge. »- so weit in's Meer, als man kann -« »Schwimmt ihnen nach!« kreischte der Greif. »Schlägt einen Purzelbaum im Wasser!« rief die falsche Schildkröte indem sie unbändig umhersprang.

»Wechselt die Hummer wieder!« heulte der Greif mit erhobener Stimme.

»Zurück an's Land, und - das ist die ganze erste Figur,« sagte die falsche Schildkröte, indem ihre Stimme plötzlich sank; und beide Thiere, die bis dahin wie toll umhergesprungen waren, setzten sich sehr betrübt und still nieder und sahen Alice an.

»Es muß ein sehr hübscher Tanz sein,« sagte Alice ängstlich.

»Möchtest du eine kleine Probe sehen?« fragte die falsche Schildkröte.

»Sehr gern,« sagte Alice.

»Komm, laß uns die erste Figur versuchen!« sagte die falsche Schildkröte zum Greifen. »Wir können es ohne Hummer, glaube ich. Wer soll singen?«

»Oh, singe du!« sagte der Greif. »Ich habe die Worte vergessen.«

So fingen sie denn an, feierlich im Kreise um Alice zu tanzen; zuweilen traten sie ihr auf die Füße, wenn sie ihr zu nahe kamen; die falsche Schildkröte sang dazu, sehr langsam und traurig, Folgendes: -

Zu der Schnecke sprach ein Weißfisch: »Kannst du denn nicht schneller gehen? Siehst du denn nicht die Schildkröten und die Hummer alle stehen ? Hinter uns da kommt ein Meerschwein, und es tritt mir auf den Schwanz; Und sie warten an dem Strande, daß wir kommen zu dem Tanz. Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem Tanz? Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem Tanz?« »Nein, du kannst es nicht ermessen, wie so herrlich es wird sein, Nehmen sie uns mit den Hummern, werfen uns in's Meer hinein!« Doch die Schnecke thät nicht trauen. »Das gefällt mir doch nicht ganz! Viel zu weit, zu weit! ich danke - gehe nicht mit euch zum Tanz! Nein, ich kann, ich mag, ich will nicht, kann nicht kommen zu dem Tanz! Nein, ich kann, ich mag, ich will nicht, mag nicht kommen zu dem Tanz!« Und der Weißfisch sprach dagegen: »'s kommt ja nicht drauf an, wie weit! Ist doch wohl ein andres Ufer, drüben auf der andren Seit'! Und noch viele schöne Küsten giebt es außer Engelland's; Nur nicht blöde, liebe Schnecke, komm' geschwind mit mir zum Tanz! Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst du kommen zu dem Tanz? Willst du denn nicht, willst du denn nicht, willst nicht kommen zu dem Tanz?«

»Danke sehr, es ist sehr, sehr interessant, diesem Tanze zuzusehen,« sagte Alice, obgleich sie sich freute, daß er endlich vorüber war; »und das komische Lied von dem Weißfisch gefällt mir so!«

»Oh, was die Weißfische anbelangt,« sagte die falsche Schildkröte, »die - du hast sie doch gesehen ?«

»Ja,« sagte Alice, »ich habe sie oft gesehen, bei'm Mitt -« sie hielt schnell inne.

»Ich weiß nicht, wer Mitt sein mag,« sagte die falsche Schildkröte, »aber da du sie so oft gesehen hast, so weißt du natürlich, wie sie aussehen?«

»Ja ich glaube,« sagte Alice nachdenklich, »sie haben den Schwanz im Maule, - und sind ganz mit geriebener Semmel bestreut.«

»Die geriebene Semmel ist ein Irrthum,« sagte die falsche Schildkröte; »sie würde in der See bald abgespült werden. Aber den Schwanz haben sie im Maule, und der Grund ist« - hier gähnte die falsche Schildkröte und machte die Augen zu. - »Sage ihr Alles das von dem Grunde,« sprach sie zum Greifen.

»Der Grund ist,« sagte der Greif, »daß sie durchaus im Hummerballet mittanzen wollten. So wurden sie denn in die See hinein geworfen. So mußten sie denn sehr weit fallen. So kamen ihnen denn die Schwänze in die Mäuler. So konnten sie sie denn nicht wieder heraus bekommen. So ist es.«

»Danke dir,« sagte Alice, »es ist sehr interessant. Ich habe nie so viel vom Weißfisch zu hören bekommen.«

»Ich kann dir noch mehr über ihn sagen, wenn du willst,« sagte der Greif, »weißt du, warum er Weißfisch heißt?«

»Ich habe darüber noch nicht nachgedacht,« sagte Alice. »Warum?«

»Darum eben,« sagte der Greif mit tiefer, feierlicher Stimme, »weil man so wenig von ihm weiß. Nun aber mußt du uns auch etwas von deinen Abenteuern erzählen.«

»Ich könnte euch meine Erlebnisse von heute früh an erzählen,« sagte Alice verschämt, »aber bis gestern zurück zu gehen, wäre ganz unnütz, weil ich da jemand Anderes war.«

»Erkläre das deutlich,« sagte die falsche Schildkröte.

»Nein, die Erlebnisse erst,« sagte der Greif in ungeduldigem Tone, »Erklärungen nehmen so schrecklich viel Zeit fort.«

Alice fing also an, ihnen ihre Abenteuer von da an zu erzählen, wo sie das weiße Kaninchen zuerst gesehen hatte. Im Anfange war sie etwas ängstlich, die beiden Thiere kamen ihr so nah, eins auf jeder Seite, und sperrten Augen und Mund so weit auf; aber nach und nach wurde sie dreister. Ihre Zuhörer waren ganz ruhig, bis sie an die Stelle kam, wo sie der Raupe >Ihr seid alt, Vater Martin< hergesagt hatte, und wo lauter andere Worte gekommen waren, da holt die falsche Schildkröte tief Athem und sagte »das ist sehr merkwürdig.«