»Gieb deine Aussage,« sagte der König.
»Ne!« antwortete die Köchin.
Der König sah ängstlich das weiße Kaninchen an, welches leise sprach: »Eure Mäjestät müssen diesen Zeugen einem Kreuzverhör unterwerfen.«
»Wohl, wenn ich muß, muß ich,« sagte der König trübsinnig, und nachdem er die Arme gekreuzt und die Augenbrauen so fest zusammengezogen hatte, daß seine Augen kaum mehr zu sehen waren, sagte er mit tiefer Stimme: »Wovon macht man kleine Kuchen?«
»Pfeffer, hauptsächlich,« sagte die Köchin.
»Syrup,« sagte eine schläfrige Stimme hinter ihr.
»Nehmt dieses Murmelthier fest!« heulte die Königin. »Köpft dieses Murmelthier! Schafft dieses Murmelthier aus dem Saale! Unterdrückt es! Kneift es! Brennt ihm den Bart ab!«
Einige Minuten lang war das ganze Gericht in Bewegung, um das Murmelthier fortzuschaffen; und als endlich Alles wieder zur Ruhe gekommen war, war die Köchin verschwunden.
»Schadet nichts!« sagte der König und sah aus, als falle ihm ein Stein vom Herzen. »Ruft den nächsten Zeugen.« Und zu der Königin gewandt, füge er leise hinzu: »Wirklich, meine Liebe, du mußt das nächste Kreuzverhör übernehmen, meine Arme sind schon ganz lahm.«
Alice beobachtete das weiße Kaninchen, das die Liste durchsuchte, da sie sehr neugierig war, wer wohl der nächste Zeuge sein möchte, - »denn sie haben noch nicht viel Beweise,« sagte sie für sich. Denkt euch ihre Überraschung, als das weiße Kaninchen mit seiner höchsten Kopfstimme vorlas: »Alice!«
Zwölftes Kapitel.
Alice ist die Klügste.
»Hier!« rief Alice, in der augenblicklichen Erregung ganz vergessend, wie sehr sie die letzten Minuten gewachsen war; sie sprang in solcher Eile auf, daß sie mit ihrem Rock das Pult vor sich umstieß, so daß alle Geschworne auf die Köpfe der darunter sitzenden Versammlung fielen. Da lagen sie unbehülflich umher und erinnerten sie sehr an ein Glas mit Goldfischen, das sie die Woche vorher aus Versehen umgestoßen hatte.
»Oh, ich bitte um Verzeihung,« rief sie mit sehr bestürztem Tone, und fing an, sie so schnell wie möglich aufzunehmen; denn der Unfall mit den Goldfischen lag ihr noch im Sinne, und sie hatte eine unbestimmte Art Vorstellung, als ob sie gleich gesammelt und wieder in ihr Pult gethan werden müßten, sonst würden sie sterben.
»Das Verhör kann nicht fortgesetzt werden,« sagte der König sehr ernst, »bis alle Geschworne wieder an ihrem rechten Platze sind - alle,« wiederholte er mit großem Nachdrucke, und sah dabei Alice fest an.
Alice sah sich nach dem Pulte um und bemerkte, daß sie in der Eile die Eidechse kopfunten hineingestellt hatte, und das arme kleine Ding bewegte den Schwanz trübselig hin und her, da es sich übrigens nicht rühren konnte. Sie zog es schnell wieder heraus und stellte es richtig hinein. »Es hat zwar nichts zu bedeuten,« sagte sie für sich, »ich glaube, es würde für das Verhör ganz eben so nützlich sein kopfoben wie kopfunten.«
Sobald sich die Geschwornen etwas von dem Schreck erholt hatten, umgeworfen worden zu sein, und nachdem ihre Tafeln und Tafelsteine gefunden und ihnen zurückgegeben worden waren, machten sie sich eifrig daran, die Geschichte ihres Unfalles aufzuschreiben, alle außer der Eidechse, welche zu angegriffen war, um etwas zu thun; sie saß nur mit offnem Maule da und starrte die Saaldecke an.
»Was weißt du von dieser Angelegenheit?« fragte der König Alice.
»Nichts!« sagte Alice.
»Durchaus nichts?« drang der König in sie.
»Durchaus nichts!« sagte Alice.
»Das ist sehr wichtig,« sagte der König, indem er sich an die Geschwornen wandte. Sie wollten dies eben auf ihre Tafeln schreiben, als das weiße Kaninchen ihn unterbrach. »Unwichtig, meinten Eure Majestät natürlich!« sagte es in sehr ehrfurchtsvollem Tone, wobei es ihn aber mit Stirnrunzeln und verdrießlichem Gesichte ansah.
»Unwichtig, natürlich, meinte ich,« bestätigte der König eilig, und fuhr mit halblauter Stimme für sich fort: »wichtig -unwichtig - unwichtig - wichtig -« als ob er versuchte, welches Wort am besten klänge.
Einige der Geschwornen schrieben auf »wichtig«, und einige »unwichtig.« Alice konnte dies sehen, da sie nahe genug war, um ihre Tafeln zu überblicken; »aber es kommt nicht das Geringste darauf an,« dachte sie bei sich.
In diesem Augenblick rief der König, der eifrig in seinem Notizbuche geschrieben hatte, plötzlich aus: »Still!« und las dann aus seinem Buche vor: »Zweiundvierzigstes Gesetz. Alle Personen, die mehr als eine Meile hoch sind, haben den Gerichtshof zu verlassen.«
Alle sahen Alice an.
»Ich bin keine Meile groß,« sagte Alice.
»Das bist du wohl,« sagte der König.
»Beinahe zwei Meilen groß,« fügte die Königin hinzu.
»Auf jeden Fall werde ich nicht fortgehen,« sagte Alice, »übrigens ist das kein regelmäßiges Gesetz; Sie haben es sich eben erst ausgedacht.«
»Es ist das älteste Gesetz in dem Buche,« sagte der König.
»Dann müßte es Nummer Eins sein,« sagte Alice.
Der König erbleichte und machte sein Notizbuch schnell zu. »Gebt euer Urtheil ab!« sagte er leise und mit zitternder Stimme zu den Geschwornen.
»Majestät halten zu Gnaden, es sind noch mehr Beweise aufzunehmen,« sagte das weiße Kaninchen, indem es eilig aufsprang; »dieses Papier ist soeben gefunden worden.«
»Was enthält es?« fragte die Königin.
»Ich habe es noch nicht geöffnet,« sagte das weiße Kaninchen, »aber es scheint ein Brief von dem Gefangenen an - an Jemand zu sein.«
»Ja, das wird es wohl sein,« sagte der König, »wenn es nicht an Niemand ist, was, wie bekannt nicht oft vorkommt.«
»An wen ist es adressirt?« fragte einer der Geschwornen.
»Es ist gar nicht adressirt,« sagte das weiße Kaninchen; »überhaupt steht auf der Außenseite gar nichts.« Es faltete bei diesen Worten das Papier auseinander und sprach weiter: »Es ist übrigens gar kein Brief, es sind Verse.«
»Sind sie in der Handschrift des Gefangenen?« fragte ein anderer Geschworner.
»Nein, das sind sie nicht,« sagte das weiße Kaninchen, »und das ist das Merkwürdigste dabei.« (Die Geschwornen sahen alle ganz verdutzt aus.)
»Er muß eines Andern Handschrift nachgeahmt haben,« sagte der König. (Die Gesichter der Geschwornen klärten sich auf.)
»Eure Majestät halten zu Gnaden,« sagte der Bube, »ich habe es nicht geschrieben, und Niemand kann beweisen, daß ich es geschrieben habe, es ist keine Unterschrift darunter.«
»Wenn du es nicht unterschrieben hast,« sagte der König, »so macht das die Sache nur schlimmer. Du mußt schlechte Absichten dabei gehabt haben, sonst hättest du wie ein ehrlicher Mann deinen Namen darunter gesetzt.«
Hierauf folgte allgemeines Beifallklatschen; es war der erste wirklich kluge Ausspruch, den der König an dem Tage gethan hatte.
»Das beweist seine Schuld,« sagte die Königin.
»Es beweist durchaus gar nichts!« sagte Alice, »Ihr wißt ja noch nicht einmal, worüber die Verse sind!«
»Lies sie!« sagte der König.
Das weiße Kaninchen setzte seine Brille auf. »Wo befehlen Eure Majestät, daß ich anfangen soll?« fragte es.
»Fange beim Anfang an,« sagte der König ernsthaft, »und lies bis du an's Ende kommst, dann halte an.«
Dies waren die Verse, welche das weiße Kaninchen vorlas: -