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Plötzlich stockte mir der Atem, und das Herz schien stehenzubleiben. War es nur eine Einbildung, oder bewegten wir uns tatsächlich von der Stelle? Ich wandte den Blick, um nach dem anderen Kanu zu schauen, das längs dem unseren liegen mußte. Ich konnte es nicht sehen; statt dessen sah ich eine dürre, krallenartige Hand, die sich langsam über den Rand des kleinen Bootes schob. Es mußte ein Alptraum sein! Im selben Moment tauchte ein dunkles, diabolisch verzerrtes Gesicht aus dem Wasser auf. Das Kanu wippte mit einem kurzen Ruck auf die Seite, ein Messer blitzte auf, und dann zerriß ein grauenhafter Schrei die Luft. Es war der Wakwafi, der neben mir lag (derselbe arme Kerl, dessen Ausdünstungen mich so gestört hatten). Etwas Warmes spritzte mir ins Gesicht. Im Bruchteil einer Sekunde brach der Bann, der mich gelähmt hatte; ich wußte jetzt nur zu gut, daß es kein Alptraum war, sondern daß die Masai uns vom Wasser her angriffen. Ich griff nach der erstbesten Waffe, die mir in die Hand geriet. Es war Umslopo-gaas' Streitaxt. Ich holte aus und hieb sie mit aller Kraft in die Richtung, aus der das Aufblitzen des Messers gekommen war. Die Schneide traf den Arm eines Mannes genau an der Stelle, an der der Arm auf dem dicken hölzernen Bootsrand auflag. Krachend durchschlug sie den Arm und fuhr in das Holz. Der Hieb hatte den Arm ein Stück oberhalb des Handgelenkes vom Körper abgetrennt! Der Mann gab nicht den geringsten Laut von sich. Wie ein Gespenst war er aus dem Dunkel aufgetaucht, und wie ein Gespenst verschwand er wieder. Zurück ließ er eine blutige Hand, die noch immer ein großes Messer umklammert hielt, oder besser ein kurzes Schwert, das tief im Herzen unseres armen Dieners steckte.

Augenblicklich entstand ein völliger Wirrwarr, und ich glaubte zu sehen - ob zu Recht oder zu Unrecht, weiß ich nicht -, wie mehrere Köpfe sich auf das rechtsseitige Ufer zubewegten, auf das auch wir jetzt rasch zutrieben; sie hatten unser Ankerseil mit einem Messer durchtrennt. Kaum hatte ich das erkannt, als ich auch schon durchschaute, was sie damit bezweckten: das Boot sollte ans rechte Ufer treiben (denn genau dorthin zog uns die Strömung). Dort stand dann sicherlich schon eine Gruppe Masai bereit, die nur darauf warteten, uns ihre schaufelförmigen Speerspitzen in den Leib zu bohren. Ich nahm eines der Paddel, gab Umslopogaas das andere (der überlebende Askari war zu verängstigt und verstört, um in diesem Augenblick von irgendeinem Nutzen zu sein), und gemeinsam ruderten wir aus Leibeskräften zur Mitte des Stroms hin, und keine Sekunde zu früh! Schon im allernächsten Moment wären wir auf Grund gelaufen, und das hätte unser Ende bedeutet.

Sobald wir auf sicherer Distanz waren, machten wir uns daran, das Boot wieder stromaufwärts zu paddeln, zu der Stelle, an der das andere Kanu vertäut lag. Das war in der Dunkelheit ein verdammt schwieriges und gefährliches Stück Arbeit. Als einzi-gen Orientierungspunkt hatten wir die hallenden Rufe von Goods Stentorstimme, die er in kurzen Abständen wie ein Nebelhorn erschallen ließ, um uns die Richtung zu weisen. Aber schließlich schlossen wir zu dem anderen Kanu auf. Erleichtert stellten wir fest, daß die anderen überhaupt nicht behelligt worden waren. Mit Sicherheit hatte der Mann, dem ich den Arm abgehackt hatte, und der unser Tau durchgeschnitten hatte, auch das Tau des anderen Kanus durchschneiden sollen, aber davon hatte ihn wohl der unwiderstehliche Drang abgehalten, einen von uns zu ermorden, als sich ihm die Chance dazu bot. Dieser Tatsache, die einen von uns das Leben und ihn seine Hand gekostet hatte, verdankten wir alle zweifelsohne die Rettung vor einem Massaker. Wäre nicht diese grausige Hand über dem Bootsrand aufgetaucht - ein Anblick, den ich bis zur Stunde meines Todes nie wieder vergessen werde -, dann wäre das Kanu, noch bevor ich die Lage erkannt hätte, unweigerlich an Land getrieben, und diese Geschichte wäre niemals geschrieben worden.

3

Die Missionsstation

Wir befestigten das verbliebene Ende unseres Taus an dem anderen Kanu und warteten im Sitzen auf das Herannahen der Morgendämmerung. Immer wieder beglückwünschten wir uns zu unserer glücklichen Rettung, die wir wirklich mehr der Gunst der Vorsehung zu verdanken hatten als unserer eigenen Vorsicht oder Tapferkeit. Endlich graute der Morgen; selten hatte mich der Anblick des Lichts mit größerer Dankbarkeit erfüllt, obwohl es - zumindest, was mein Kanu betraf - einen gespenstischen Anblick enthüllte. Am Boden des kleinen Bootes lag zusammengekrümmt der unglückliche Askari; das kurze Schwert steckte in seiner Brust, und die abgehackte Hand hielt noch immer den Griff umklammert. Ich konnte diesen Anblick nicht länger ertragen. Wir zogen also so schnell wie möglich den Stein hoch, der dem anderen Kanu als Anker gedient hatte, banden ihn an dem Ermordeten fest und kippten ihn über Bord. Er sank sofort auf den Grund. Das letzte, was wir von ihm sahen, waren ein paar Luftblasen! O weh! Wenn eines Tages unsere letzte Stunde gekommen ist, dann werden die meisten von uns, so wie er, nichts weiter als ein paar Blasen zurücklassen, die Zeugnis von unserem vergangenen Dasein ablegen; und diese Blasen werden schnell zerplatzen. Die Hand seines Mörders warfen wir in den Strom, wo sie langsam unterging. Das Schwert, dessen elfenbeinerner Griff mit Einlegearbeiten aus Gold verziert war (offenbar arabischer Herkunft), behielt ich für mich, um es als Jagdmesser zu benutzen. Es sollte sich noch als sehr nützlich erweisen.

Nachdem ein Mann in mein Kanu umgestiegen war, machten wir uns erneut auf den Weg. Die Stimmung war sehr niedergeschlagen, und die nahe Zukunft schien uns alles andere als rosig. Wir waren alle von der Hoffnung beseelt, noch vor Einbruch der Nacht die >Highlands< zu erreichen, Mackenzies Missionsstation. Zu allem Überfluß fing es kaum eine Stunde nach Sonnenaufgang in Strömen zu regnen an. Wir waren sofort bis auf die Haut durchnäßt. Alle paar Minuten mußten wir Wasser aus unseren Kanus schöpfen. Und da der Regen den Wind niederschlug, konnten wir auch mit unseren Segeln nichts mehr anfangen und mußten, so gut es eben ging, zusehen, wie wir mit unseren Paddeln vorankamen.

Um elf Uhr machten wir an einer offenen Stelle des linken Flußufers halt. Da der Regen ein wenig nachgelassen hatte, gelang es uns, ein Feuer anzuzünden und ein paar Fische, die wir schnell gefangen hatten, zu rösten. Wir wagten nicht, vom Ufer wegzugehen, um nach Wild zu suchen. Um zwei Uhr brachen wir wieder auf und nahmen ein paar geröstete Fische als Vorrat mit. Kurze Zeit später wurde der Regen heftiger als je zuvor. Darüberhinaus wurde es immer schwieriger, die Boote auf dem Fluß zu manövrieren, da inzwischen zahlreiche Felsen aufgetaucht waren, die aus dem Wasser ragten; dazu liefen wir ständig Gefahr, in einer der Untiefen auf Grund zu laufen. Die durch den heftigen Regen reißend gewordene Strömung tat ein übriges, ein Vorankommen fast unmöglich zu machen. Es war uns sehr bald klar, daß wir das gastliche Haus des Reverend Mackenzie auf keinen Fall mehr vor Einbruch der Nacht erreichen würden - eine Aussicht, die alles andere als geeignet war, unsere Stimmung zu heben. Obwohl wir uns bis zur Erschöpfung verausgabten - mehr als eine Meile pro Stunde konnten wir beim besten Willen nicht schaffen. Wir rechneten damit, um fünf Uhr nachmittags (um diese Zeit würden wir alle völlig ermattet sein) noch immer ungefähr zehn Meilen unterhalb der Missionsstation zu sein. Wir mußten uns also wohl oder übel daran machen, die bestmögliche Lösung für das Übernachtungsproblem zu suchen. Nach unseren jüngsten Erlebnissen wagten wir nicht mehr, an Land zu gehen, insbesondere, da die Ufer des Tana an dieser Stelle mit dichtem Buschwerk bewachsen waren, welches eine vorzügliche Deckung für mindestens fünftausend Masai bot.

Ich bereitete mich innerlich schon wieder darauf vor, eine weitere Nacht in dem Kanu zu verbringen, als wir ein Stück stromaufwärts eine kleine, felsige Insel von ungefähr fünfzehn Yards im Quadrat erspähten, die fast in der Mitte des Flusses lag. Wir steuerten auf sie zu, zogen die Kanus ans Ufer, gingen an Land und versuchten es uns so bequem wie möglich zu machen, was unter den gegebenen Umständen nicht gerade leicht war. Das Wetter hatte sich um keinen Deut geändert, es war einfach abscheulich. Es goß wie aus Kübeln, und nach kurzer Zeit klapperten uns vor Kälte die Zähne. Ein Feuer anzuzünden war völlig unmöglich. Wenigstens ein Gutes hatte der Regen indessen: unsere Askari erklärten übereinstimmend, daß nichts auf der Welt die Masai dazu bringen konnte, uns bei diesem Wetter anzugreifen, da sie nichts so sehr haßten, wie im Nassen herumzulaufen, vielleicht - wie Good mutmaßte -weil sie den Gedanken an eine Wäsche nicht ausstehen können. Wir aßen etwas von dem faden, vom Regen durchweichten Fisch - mit Ausnahme von Umslopogaas, der, wie die meisten Zulus, keinen Fisch mag - und tranken einen Schluck Brandy, von dem wir glücklicherweise noch ein paar Flaschen hatten, und dann begann das, was mit einer einzigen Ausnahme - nämlich, als wir drei, Sir Henry, Good und ich, beinahe im Schnee des Sheba während unserer Reise nach Kukuanaland vor Kälte gestorben wären - die unangenehmste, qualvollste Nacht war, die ich je erlebt hatte. Sie schien endlos zu sein, und mehr als einmal hatte ich die Befürchtung zwei unserer As-kari würden vor Nässe und Kälte erfrieren. Und in der Tat; hätte ich ihnen nicht in regelmäßigen Abständen ein wenig von dem Brandy eingeflößt, dann wären sie mit Sicherheit gestorben; kein Afrikaner kann Kälte lange ertragen. Erst läßt sie ihn erstarren und lähmt ihn, dann bringt sie ihn um. Ich sah deutlich, daß selbst der alte Eisenfresser Umslopogaas fürchterlich unter ihr litt. Im seltsamen Gegensatz zu den Askari jedoch, die ohne Unterlaß stöhnten und ihr Los bejammerten, ertrug er die Kälte, ohne auch nur einen einzigen Laut der Klage von sich zu geben. Zu allem Überfluß vernahmen wir gegen ein Uhr nachts wieder das unheilvolle Geheul der Eule, so daß wir uns auf der Stelle genötigt sahen, uns auf einen erneuten Angriff vorzubereiten. Ich glaube nicht, daß wir, wenn sie es tatsächlich versucht hätten, noch echten Widerstand hätten leisten können. Aber entweder war die Eule dieses Mal echt, oder die Masai fühlten sich selbst zu elend, um noch an eine Offensive zu denken - die sie nur äußerst selten, wenn überhaupt, im Buschland unternehmen; jedenfalls war von ihnen weit und breit nichts zu sehen.