Endlich, nach einer wahren Ewigkeit, glitt die Dämmerung über das Wasser, eingehüllt in geisterhaft anmutende Dunstschleier, und mit dem Heraufkommen des Tageslichts hörte der Regen auf. Und dann ging die wunderbare, herrliche Sonne auf, die den Schleier des Dunstes zerriß und die kalte Luft schnell aufwärmte. Benommen und aufs äußerste erschöpft rappelten wir uns auf und kamen taumelnd auf unseren Füßen zu stehen. Dankbar gaben wir uns den erquickenden Strahlen der Sonne hin. Ich kann sehr gut nachempfinden, warum primitive Völker zu Sonnenanbetern werden, insbesondere dann, wenn sie durch ihre Lebensumstände häufig der Kälte ausgeliefert sind.
Eine halbe Stunde später machten wir schon wieder schnelle Fahrt mit Hilfe eines frischen Windes. Unsere Lebensgeister waren mit dem Sonnenschein zurückgekehrt, und wir lachten schon wieder über die Schwierigkeiten und Gefahren, die uns tags zuvor noch beinahe zermalmt hätten.
Gutgelaunt fuhren wir weiter bis gegen elf Uhr. Als wir gerade wie gewohnt eine Pause einlegen wollten, um uns auszuruhen und uns etwas zum Essen zu schießen, sahen wir von weitem hinter einer scharfen Biegung des Flusses ein äußerst solide wirkendes Haus im europäischen Baustil. Rings um das Haus, das wunderschön auf einem Hügel gelegen war, zog sich eine Veranda. Das Ganze war umgeben von einer hohen Steinmauer mit einem Graben am Außenrand.
Direkt dem Haus gegenüber stand eine riesige, das Haus in Schatten tauchende Kiefer, deren Wipfel wir schon seit zwei Tagen durch das Fernglas gesehen hatten, ohne jedoch zu wissen, daß es sich um den Orientierungspunkt der Missionsstation handelte. Ich war der erste, der das Haus erblickte, und unwillkürlich stieß ich einen lauten Jubelschrei aus, in den die anderen, eingeschlossen die Eingeborenen, freudig einfielen. Jetzt war natürlich kein Gedanke mehr an Rast. Mit neuen Kräften paddelten wir weiter, denn wir hatten, obwohl das Haus ganz nahe zu sein schien, noch ein ordentliches Stück Weg vor uns. Gegen ein Uhr endlich befanden wir uns am Anfang der Flußbiegung, in der das Haus lag. Wir steuerten das Ufer an, kletterten aus den Kanus, und just in dem Moment, als wir die Boote auf den Strand zogen, erblickten wir drei Gestalten, in ordentlich aussehende englische Kleider gehüllt, die eilig den Hügel heruntergelaufen kamen, um uns zu begrüßen. Noch ein paar Schritte durch das Gehölz, und dann standen sie vor uns.
»Ein Gentleman, eine Lady und ein Mädchen«, rief Good nach einem prüfenden Blick durch sein Monokel aus, »in zivilisierten Kleidern kommen durch einen zivilisierten Garten, um uns hier, an einem solchen Orte, zu begrüßen! Hol mich der Teufel, wenn das nicht das Komischste ist, was wir je erlebt haben!«
Good hatte recht: Die Szene wirkte in der Tat sehr komisch - mehr wie eine Szene aus einem Traum oder einer italienischen Oper als der Wirklichkeit. Dieses Gefühl der Unwirklichkeit wurde auch keineswegs dadurch in Mitleidenschaft gezogen, daß wir in gutem, breitem Schottisch angesprochen wurden, welches ich jedoch leider hier nicht reproduzieren kann.
»Willkommen, meine Herren«, begrüßte uns Mr. Mackenzie, ein grauhaariger, etwas eckig erscheinender Mann mit roten Wangen und einem freundlichen Gesicht; »ich hoffe, es geht Ihnen allen gut. Meine Eingeborenen berichteten mir vor einer Stunde, sie hätten zwei Kanus mit weißen Männern erspäht, die den Fluß heraufkämen. Und da wollten wir Sie gleich hier in Empfang nehmen.«
»Ich darf Ihnen sagen, daß wir uns sehr freuen, einmal wieder einen Europäer hier zu sehen«, ergänzte die Lady, eine bezaubernde, sehr gut aussehende Frau.
Wir nahmen unsere Hüte ab und stellten uns vor.
»Sicherlich sind Sie alle fürchterlich müde und hungrig, meine Herren«, sagte Mrs. Mackenzie. »Also treten Sie ein; wir freuen uns wirklich, endlich wieder einmal Weiße bei uns zu Gast zu haben. Der letzte Weiße, der hierher kam, war Alphonse - Sie werden Alphonse gleich sehen -, und das ist nun schon ein Jahr her.«
Mittlerweile waren wir den Hügel hinaufgegangen, dessen unterer Teil mit Quittenzäunen und hie und da mit rohen Steinwällen in Kaffirgärten aufgeteilt war, in denen gerade Mais, Kürbis, Kartoffeln usw. zur Reife gelangt waren. In den Ecken dieser Gärten standen in kleinen Gruppen ordentliche, gepflegte, pilzförmige Hütten. Dann wohnten Mr. Mackenzies Eingeborene, deren Frauen und Kinder nun aus den Hütten gelaufen kamen, um uns, während wir den Hügel hinaufstiegen, zu begrüßen. Mitten durch die Gärten schlängelte sich der Pfad, der zum Haus führte. Er war auf beiden Seiten von einer Reihe von Orangenbäumen gesäumt, die - obwohl erst vor zehn Jahren angepflanzt - in dem milden Klima des Hochlands unterhalb des Mount Kenia, dessen Fuß ungefähr 5000 Fuß über dem Meeresspiegel liegt, schon zu einer imposanten Größe herangewachsen waren, und die nun mit goldenen Früchten beladen waren. Nach einem beschwerlichen Anstieg von ungefähr einer Viertelmeile - der Hügel war ziemlich steil - kamen wir an einen wunderschönen Quittenzaun, der ebenfalls mit Früchten bedeckt war und der, wie Mr. Mackenzie uns erzählte, ein Grundstück von ungefähr vier Morgen Land umschloß, auf dem sein privater Garten, sein Haus, die Kirche und diverse Nebengebäude standen. Die Fläche nahm die ganze Kuppe des Hügels in Anspruch. Und was für ein Garten es war! Der Anblick eines schönen Gartens hatte schon immer mein Herz höher schlagen lassen, und ich hätte vor Freude die Arme in die Luft werfen können, als ich den von Mr. Mackenzie erblickte. Reihe an Reihe standen da alle bekannten Sorten von europäischen Obstbäumen, alle gepfropft; auf der Kuppe dieses Hügels herrschte ein so mildes Klima, daß beinahe alle in England üblichen Gemüsearten, Bäume und Blumen üppig gediehen, sogar mehrere Arten des Apfels, der normalerweise in einem zu heißen Klima holzig wird und sich hartnäckig weigert, zu einer halbwegs eßbaren Frucht heranzureifen. Außerdem wuchsen in seinem Garten Erdbeeren, Tomaten (welch wunderbare Tomaten!), Melonen, Gurken; kurz, jede Art von Gemüse und Obst.