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»Würde es dir denn nicht gefallen, etwas zu lernen?« wollte ich wissen.

»Ich lerne doch hier etwas! Vater unterrichtet mich in Latein, Französisch und Mathematik.«

»Und fürchtest du dich niemals unter all diesen wilden Männern?«

»Ob ich mich fürchte? O nein! Sie tun mir nie was Böses. Sie glauben, daß ich >Ngai< (von göttlicher Herkunft) bin, weil ich so weiß bin und blondes Haar habe. Und schauen Sie ...« - sie griff mit ihrer kleinen Hand in das Mieder ihres Kleides und zog einen doppelläufigen, vernickelten Derringer hervor -, »ich trage ihn immer geladen bei mir, und wenn jemand versuchen sollte, mir was anzutun, dann würde ich auf ihn schießen. Einmal habe ich einen Leoparden erschossen, der auf meinen Esel springen wollte, als ich gerade vorbeiritt. Ich war zu Tode erschrocken, aber ich schoß ihm ins Ohr, und er fiel tot um. Und jetzt habe ich sein Fell über meinem Bett hängen. Schauen Sie doch einmal!« fuhr sie mit veränderter Stimme fort, wobei sie mich am Arm faßte und mit dem Finger auf etwas weit Entferntes deutete. »Ich sagte Ihnen doch vorhin, daß ich Kameraden habe; dort hinten ist einer von ihnen.«

Ich folgte mit den Augen ihrem ausgestreckten Arm - und zum ersten Mal sah ich den majestätischen Gipfel des Mount Kenia. Bisher war der Berg die ganze Zeit über im Dunst verborgen gewesen, doch jetzt erstrahlte seine Schönheit unverhüllt aus vielen tausend Fuß Entfernung zu uns herüber, auch wenn der Fuß des Berges noch immer von Dunst umgeben war, so daß der stolze Gipfel, der fast zwanzigtausend Fuß in den Himmel ragt, sich wie eine Vision aus einem Märchen ausnahm, wie er dort zwischen Himmel und Erde schwebte, wie auf einem luftigen Wolkenbette. Die würdevolle Erhabenheit und die strahlende Schönheit dieses weißen Gipfels zu beschreiben vermag meine Feder nicht. Da stand er, aufrecht, erhaben und rein - eine gleißende weiße Pracht, deren spitze Krone gleichsam das Blau des Himmels zu durchbohren schien. Und wie ich so stand und gemeinsam mit dem kleinen Mädchen den Anblick jenes gewaltigen Berges in mich aufnahm, da fühlte ich, wie mein Herz gleichsam einen Sprung tat vor unbeschreiblicher Freude, und für einen Augenblick durchströmten meinen Geist große, wundervolle Gedanken, während die Strahlen der untergehenden Sonne den schneebedeckten Gipfel in Licht badeten. Mr. Mackenzies Eingeborene nennen den Berg den »Finger Gottes«, und für mich war er ein Zeichen des ewigen Friedens und der reinen, erhabenen Stille, die gewiß hoch über unserer fieberkranken Welt ruht. Irgendwo hatte ich einmal eine Zeile aus einem Gedicht gelesen:

»Schön ist, was ewige Freude gewährt.«

Diese Stelle fiel mir in diesem Moment ein, und zum erstenmal wurde mir vollkommen bewußt, was der Dichter damit aussagen wollte. Armselig wäre in der Tat der Mensch, der jenen mächtigen, schneebedeckten Gipfel - jenes alte weiße Grab der Jahrtausende -betrachten könnte, ohne dabei seine eigene, gänzliche Bedeutungslosigkeit zu spüren, und den nicht der Wunsch überkommen würde, Gott - oder wie immer auch er Ihn nennt - aus tiefstem Herzen zu lobpreisen. Solche hehren Momente sind wie Visionen des Geistes; weit reißen sie das Fenster der Kammer auf, welche unser eigenes kleines, selbstsüchtiges Ich ist. Sie lassen etwas von dem Atemhauch in uns herein, der in den wogenden Sphären wallt, und für einen Moment wird unsere Dunkelheit erhellt vom weit entfernten Schein jenes weißen Lichts, in dem der Thron des Herrn erstrahlt.

O ja, schöne Dinge sind in der Tat ein ewiger Quell der Freude, und ich kann gut verstehen, was die kleine Flossie damit meinte, als sie vom Mount Kenia als ihrem Kameraden sprach. Ebenso wie Umslopogaas, der wilde, alte Zulu, als ich ihm den Gipfel zeigte, der da in weiter Ferne leuchtete, als er sagte: »Ein Mann könnte ihn tausend Jahre betrachten, ohne daß sein Durst, ihn zu sehen, gestillt wäre.« Er gab jedoch sogleich dieser seiner poetischen Empfindung eine etwas andere Einfärbung, als er in einer Art Singsang, und mit einem Anflug jener seltsam anmutenden Imagination, die für ihn so bemerkenswert war, hinzufügte, er wünschte, wenn er einst tot wäre, daß sein Geist für immer auf dem schneebedeckten Gipfel sitzen solle und mit dem unheimlichen Heulen des Wirbelwindes oder auf einem Blitzstrahl hinabfahren möge und »töten, töten, töten«.

»Wen willst du denn dann noch töten, du alter Bluthund?« wollte ich wissen.

Diese Frage verwirrte ihn, aber nach einem Augenblick des Nachdenkens antwortete er: »Die anderen Schatten.«

»Du würdest also sogar nach deinem Tode noch fortfahren zu morden?«

»Ich morde nicht«, erwiderte er hitzig; »ich töte in fairem Zweikampf. Ein Mann ist dazu geboren, zu töten. Wer nicht tötet, wenn das Blut in ihm kocht, ist eine Frau und kein Mann. Die, die nicht töten, sind Sklaven. Ich sage, ich töte in fairem Kampfe. Und wenn ich einmal im >Reich der Schatten< bin, wie ihr Weißen es nennt, dann hoffe ich, auch dort in fairem Kampfe töten zu können. Möge mein Schatten verflucht sein und bis ins Mark verdorren, wenn er anfängt, hinterrücks zu morden wie ein Buschmann mit seinen giftigen Pfeilen!« Mit diesen Worten schritt er stolz und würdevoll davon und ließ mich betreten zurück.

Jetzt kehrten auch die Späher, die unser Gastgeber am frühen Morgen ausgeschickt hatte, um nach den Masai Ausschau zu halten, zurück und berichteten, sie hätten die ganze Umgebung in einem Umkreis von fünfzehn Meilen durchkämmt, ohne auch nur einen einzigen Elmoran gesehen zu haben. Sie glaubten, diese wilden Gesellen hätten die Verfolgung aufgegeben und wären wieder dahin zurückgekehrt, woher sie gekommen waren. Mr. Mackenzie seufzte erleichtert, als er das hörte, und auch wir waren beruhigt, denn von den Masai hatten wir wirklich einstweilen genug. Es herrschte bei allen die Auffassung vor, die Masai hätten eine weitere Verfolgung als aussichtslos angesehen, als sie feststellen mußten, daß wir die Missionsstation, deren Wehrhaftigkeit sie offensichtlich kannten, erreicht hatten. Wie irrig diese Auffassung war, sollte sich bald herausstellen. Nachdem die Späher wieder gegangen waren und auch Flossie und Mrs. Mackenzie sich zur Nachtruhe begeben hatten, kam Alphonse, der kleine Franzose, zu uns, und Sir Henry, der sehr gut Französisch spricht, bat ihn, zu erzählen, was ihn nach Zentralafrika verschlagen hatte. Er tat es auch, aber in einem so herrlichen Kauderwelsch, daß es mir schwerfällt, es hier wiederzugeben.

»Mein Großvater«, begann er, »war Soldat der Garde und diente unter Napoleon. Er war bei dem Rückzug aus Moskau dabei und lebte zehn Tage von seine eigene Gamaschen und ein Paar, das er hatte gestohlen von eine Kamerad. Er war immer betrun-ken - er starb betrunken, und ich kann mich erinnern, daß isch 'abe gespielt Trommel auf seinem Sarg. Mein Vater ... «

An dieser Stelle machten wir den Vorschlag, er solle doch die Geschichte seiner Vorfahren nicht in allzu epischer Breite vortragen und lieber etwas schneller auf seine eigene Geschichte zu sprechen kommen.

»Bien, messieurs!« sagte der drollige kleine Mann und machte eine höfliche Verbeugung. »Isch wollte nur demonstrieren, daß das militärische Prinzip nischt vererbbar ist. Meine Großvater war ein großartige Mann, eine Fresser von Feuer und Gamaschen, mehr als sechs Fuß groß, breite Proportion. Sein Erkennungszeichen war sein Moustache. Isch 'abe geerbt den Moustache und - und sonst nichts.