Der große Mann lächelte. »Du irrst, Macumazahn«, antwortete er. »Zu meiner Zeit schmiedete ich Ränke und machte viele Pläne, aber nicht Ehrgeiz war es, der mich zur Strecke brachte, sondern - Schande über mich, daß ich das bekennen muß - das Antlitz einer schönen Frau. Laß es nun geschehen sein. Wir werden also wieder die alten Zeiten erleben, Macuma-zahn, da wir zusammen große Kämpfe durchstanden und in Zululand jagten. Ja, ich werde mit euch kommen. Leben oder Tod, was macht es schon, solange die Axt ihr Ziel erreicht und schnell und hart trifft. Ich werde alt, ich werde alt, und ich habe noch nicht genug gekämpft! Und doch bin ich ein Krieger unter Kriegern; seht meine Narben!« - bei diesen Worten zeigte er auf die zahllosen Narben, Stichwunden und Schnitte, mit denen sein Oberkörper und seine Arme und Beine übersät waren. »Seht das Loch in meinem Kopf; das Gehirn spritzte mir dort heraus; dennoch tötete ich den, dem ich diesen Hieb zu verdanken hatte, und lebe noch immer. Weißt du, wie viele Männer ich in fairem Zweikampf tötete, Macumazahn? Schau, diese Axt kann dir erzählen, wie viele es waren.« Er deutete auf die lange Reihe von Kerben, die er in den hörnernen Griff seiner Waffe geschnitzt hatte. »Zähle sie, Macumazahn - hundertdrei - und ich habe nur die gezählt, die ich aufgeschlitzt habe[5].«
»Schweig nun«, entgegnete ich, da ich bemerkte, daß der Blutrausch ihn allmählich wieder überkam. »Schweig! Zu Recht nennt man dich den >Schlächter<. Wir wollen nicht von deinen Bluttaten hören. Bedenket wenn du uns wirklich begleiten willst; wir kämpfen nur zur Selbstverteidigung! Nun hör, wir brauchen Begleiter. Diese Männer hier ...« - ich zeigte auf die Wakwafi, die sich während unseres >indaba< (Gesprächs) ein wenig zurückgezogen hatten - »sagen, sie wollen nicht mitkommen.«
»Wollen nicht mitkommen!« schrie Umslopogaas voller Entrüstung. »Wo ist der Hund, der da sagt, er wolle nicht mitkommen, wenn mein Vater es befiehlt? Du da ...« - und mit einem Riesensatz sprang er auf den Wakwafi zu, mit dem ich zuerst gesprochen hatte, packte ihn am Arm und zerrte ihn zu uns. - »Du Hund!« rief er und schüttelte den erschrockenen Mann durch wie ein Lumpenbündel. »Sagtest du, du wollest nicht mit meinem Vater gehen? Sag das noch einmal, und ich erwürge dich« - seine langen Finger legten sich um die Gurgel des armen Kerls, »dich und die anderen, mit denen du zusammen bist. Hast du vergessen, wie ich es mit deinem Bruder machte?«
»Ja, ja, wir werden mit dem weißen Mann gehen«, brachte der Mann keuchend hervor.
»Weißer Mann!« ereiferte sich Umslopogaas in gespieltem Zorn, den jedoch die leiseste Provokation sehr schnell in echten verwandeln konnte. »Von wem sprichst du, frecher Hund?«
»Wir werden mit dem großen Häuptling mitgehen.«
»So!« sagte Umslopogaas, nun wieder in ruhigem Ton. Er löste seinen Griff so plötzlich, daß der Mann strauchelte und hintenüberfiel. »Ich dachte mir doch, daß ihr mitkommen würdet.«
»Dieser Umslopogaas scheint eine eigentümliche Überlegenheit über seine Gefährten zu haben«, bemerkte Good später gedankenverloren.
2
Die schwarze Hand
Alsbald verließen wir Lamu, und zehn Tage später befanden wir uns an einem Ort namens Charra, am Ufer des Tanaflusses. In der Zwischenzeit hatten wir schon so manches Abenteuer mitgemacht, worüber ich jedoch hier nicht im einzelnen berichten will. Unter anderem besuchten wir eine verfallene Stadt, von denen es an dieser Küste eine ganze Reihe gibt. Sie müssen einstmals, nach ihrer Ausdehnung und den zahlreichen Überresten von Moscheen und steinernen Gebäuden zu urteilen, stark bevölkert gewesen sein. Diese verfallenen Städte sind sehr alt. Sie müssen -wie ich glaube - zu den Zeiten des Alten Testaments Stätten von großem Reichtum und enormer Macht gewesen sein. Sie waren wohl Stützpunkte des Handelsverkehrs mit Indien und anderen überseeischen Gebieten. Doch nun ist ihr Ruhm längst Geschichte -die Jagd auf schwarze Sklaven hat ihrer Blütezeit ein Ende gesetzt -, und wo einst reiche Kaufleute aus allen Teilen der damals zivilisierten Welt sich niedergelassen und ihre Waren auf den menschengefüllten Marktplätzen feilgeboten hatten, da hielt jetzt der Löwe des Nachts Hof; und wo einst das Stimmengewirr der Sklaven und der laute Ruf der Händler und Käufer erscholl, da hallt nun sein schreckliches Gebrüll in den ausgestorbenen und hohlen Gassen wider. In einer solchen Stadt entdeckten wir auf einer Anhöhe unter einem Haufen von Dreck, überwuchert mit Ranken, zwei der schönsten steinernen Torwege, die ich je gesehen hatte. Die Reliefs auf ihnen waren exzellent, und ich bedaure nur, daß wir keine Möglichkeit hatten, sie mitzunehmen. Zweifelsohne waren sie einst die Eingänge zu einem Palast gewesen, von dem jedoch nicht eine Spur mehr zu sehen war, obwohl es wahrscheinlich ist, daß seine Ruinen unter dem Hügel verborgen sind.
Fort! Verschüttet und verweht! Der Weg, den alles dereinst gehen muß. Wie die vornehmen Herren und Damen, die einst in ihren Mauern lebten, so hatten auch diese Städte ihre Blüte erlebt, und nun sind sie verfallen wie Babylon und Ninive, und wie es auch London und Paris einst sein werden. Nichts auf der Welt ist für immer von Bestand. Das ist ein unauslöschliches Gesetz. Männer und Frauen, Königreiche und stolze Städte, Herrschaftshäuser, Fürstentümer und Weltreiche, Berge, Flüsse und unendlich tiefe Seen, Welten, ja Universen, sie alle haben ihre Blütezeit, und sie alle müssen einst untergehen. In einem Ort wie diesem, verfallen, ausgestorben und vergessen, da kann ein religiöser Mensch ein Symbol des universellen Schicksals erkennen. Denn in diesem unseren System, da ist kein Platz für Stillstand - nichts und niemand kann auf dem Wege verweilen und den Gang der Dinge aufhalten; weder die Aufwärtsbewegung der Dinge, zum Leben hin, noch den Fall der Dinge, abwärts, zum Tode hin. Die Fügung, dieser gestrenge Herr, sie bewegt uns und alle Dinge weiter, unaufhaltsam weiter, bergan und bergab und geradeaus; es gibt keine Rast für die müden Beine, bis uns zu guter Letzt der Schlund verschluckt und wir von den Gestaden des Vergänglichen hinabgerissen werden in die unendliche See des Ewigen.
In Charra kam es zwischen uns und dem Anführer der Träger, die wir bis dorthin gemietet hatten, zu einem heftigen Streit. Er wollte uns einen erheblichen Extralohn abpressen. Im Verlaufe dieses Streites drohte er uns damit, uns die Masai - später mehr von ihnen - auf den Hals zu hetzen. In derselben Nacht lief er gemeinsam mit allen Trägern, die wir gemietet hatten, davon und nahm den größten Teil der Waren mit, die wir in seine Obhut gegeben hatten. Zu unserem Glück hatten sie jedoch unsere Gewehre, die Munition und unsere persönliche Habe an Ort und Stelle gelassen; nicht aus Freundlichkeit, sondern einfach weil sich die Waffen in der Obhut der fünf Wakwafi befunden hatten. Nach diesem Zwischenfall war es klar für uns, daß wir von Karawanen und Trägern ein für allemal genug hatten. Es gab auch in der Tat wirklich nicht mehr viel, was noch den Aufwand einer Karawane gerechtfertigt hätte. Wie sollte es nun weitergehen?
Es war Good, der schließlich auf die Lösung des Problems kam. »Hier ist doch Wasser«, sagte er und deutete auf den Tanafluß, »und erst gestern noch sah ich eine Gruppe von Eingeborenen, die mit Kanus Flußpferde jagte. Wenn ich richtig verstanden habe, dann liegt Mr. Mackenzies Missionsstation doch am Ufer des Tana. Warum nehmen wir nicht einfach Kanus und paddeln flußaufwärts bis zu der Station?«
Es braucht wohl nicht sonderlich erwähnt zu werden, daß dieser brillante Vorschlag mit großem Beifall aufgenommen wurde. Ich machte mich unverzüglich auf den Weg, passende Kanus von den in der Umgebung lebenden Eingeborenen zu kaufen. Innerhalb von drei Tagen gelang es mir, zwei große Kanus zu erwerben; beide waren aus je einem einzigen Stamm leichten Holzes gefertigt, den man ausgehöhlt hatte, und jedes der beiden Kanus vermochte sechs Personen mitsamt Gepäck zu tragen. Die beiden Boote kosteten uns nahezu unsere gesamte restliche Habe, bestehend aus Tuchen und diversen anderen Waren.
5
Anspielung auf den Brauch der Zulu, den Bauch eines getöteten Feindes zu öffnen. Es herrscht bei ihnen der Aberglaube, daß, falls sie das nicht tun, und der Körper des Getöteten anschwillt, der Körper desjenigen, der ihn getötet hat, ebenfalls anschwillt. -