Выбрать главу

Das war zuviel für den Geduldsfaden des alten Häuptlings. Während der letzten zehn Minuten hatte es ihm schon gewaltig in den Fingern gejuckt, und bei dem Gedanken, es dem Masai Lygonani zu geben, war ihm buchstäblich das Wasser im Munde zusammengelaufen. Und jetzt das - da war das Maß voll. Er legte seine große Hand auf die Schulter des Elmorans und drehte den Masai so zu sich herum, daß sie sich Auge in Auge gegenüberstanden. Dann schob er sein wutverzerrtes Gesicht ganz nahe an die höhnisch grinsende, bösartige federumrahmte Fratze des Masai und knurrte leise:

»Siehst du mich?«

»Ja, Bursche, ich sehe dich.«

»Und siehst du das hier?« Bei diesen Worten hielt er ihm Inkosi-kaas ganz dicht vor das Gesicht.

»Ja, Bursche, auch dein Spielzeug sehe ich; und was ist damit?«

»Du räudiger Hund von einem Masai, du jämmerlicher, prahlerischer Windbeutel, du elende Memme, die sich an kleinen Kindern vergreift, mit diesem >Spielzeug< werde ich dir deine Gliedmaßen der Reihe nach abhacken. Sei froh, daß du als Bote hier bist, sonst würde ich hier, auf der Stelle, deine stinkenden Glieder über das Gras verstreuen.«

Der Masai schüttelte seinen großen Speer und lachte laut und ausgiebig. »Ich wünschte, wir könnten uns Mann gegen Mann gegenüberstehen. Dann würden wir ja sehen.« Dann wandte er sich ab und ging, immer noch lachend, auf die Tür zu.

»Du wirst mir noch früh genug Mann gegen Mann gegenüberstehen, hab keine Angst«, erwiderte Ums-lopogaas, immer noch in demselben drohenden Tonfall. »Du wirst mir Auge in Auge gegenüberstehen, mir, Umslopogaas, vom Blute des Chaka, aus dem Volke der Amazulu, Hauptmann im Regiment der Nkomabakosi! Du wirst mir gegenüberstehen wie schon so viele vor dir, und du wirst dich Inkosi-kaas beugen, wie ebenfalls schon viele vor dir. Ja, lache nur weiter! In der übernächsten Nacht werden die Schakale lachen, wenn sie dir mit ihren Zähnen das Fleisch von den Rippen reißen!«

Als der Lygonani fort war, hatte einer von uns die Idee, den Korb zu öffnen, den er als Beweis dafür mitgebracht hatte, daß Flossie sich in seiner Hand befand. Als wir den Deckel hoben, fanden wir ein wunderschönes, vollständiges Exemplar der Goyalilie, die ich ja schon ausführlich beschrieben habe. Sie war voll aufgeblüht und gänzlich unversehrt. Darunter lag eine Botschaft in Flossies kindlicher Handschrift. Sie war mit Bleistift auf einen Fetzen fettiges Papier geschrieben, in das der Proviant eingepackt gewesen war:

Liebste Eltern! lautete die Anrede. Die Masai haben uns gefangen, als wir mit der Lilie auf dem Heimweg waren. Ich versuchte ihnen zu entkommen, aber es ist mir nicht gelungen. Sie haben Tom umgebracht; der andere Mann ist fortgelaufen. Dem Kindermädchen und mir haben sie nichts getan, aber sie sagen, sie wollen uns gegen einen von Mr. Quatermains Begleitern eintauschen. Das will ich auf keinen Fall! Laßt nicht zu, daß irgend jemand sein Leben für meines opfert. Versucht, sie während der Nacht anzugreifen. Sie wollen drei der Ochsen, die sie gestohlen haben, schlachten und damit ein Festmahl abhalten. Ich habe ja meine Pistole, und wenn bis zum Morgengrauen keine Hilfe gekommen ist, werde ich mich erschießen. Sie sollen mich nicht töten! Wenn ich sterben sollte, dann vergeßt mich nie, liebste Eltern. Ich habe schreckliche Angst, aber ich vertraue auf Gott. Ich wage nicht, noch mehr zu schreiben, weil sie anfangen, es zu merken. Lebt wohl.

Flossie

Quer über die Rückseite war gekritzelt: Liebe Grüße an Mr. Quatermain. Sie werden den Korb zu euch bringen, und er wird die Lilie bekommen.

Als ich diese Zeilen las, die jenes kleine, tapfere Mädchen in einer Lage geschrieben hatte, die schrecklich und aussichtslos genug gewesen wäre, selbst einen starken Mann in tiefste Verzweiflung sinken zu lassen, da traten mir Tränen in die Augen, und in meinem Innersten schwor ich, sie nicht dem Tode auszuliefern, wenn mein Leben doch reichen sollte, sie zu retten.

Unmittelbar nachdem wir die Nachricht gelesen hatten, begannen wir eifrig und leidenschaftlich, ja heftig, über die Situation zu diskutieren. Wieder sagte ich, daß ich gehen würde, und wieder lehnte Mak-kenzie es strikt ab, und Curtis und Good legten als die wahrhaft treuen Männer, die sie sind, feierlich das Versprechen ab, mitzugehen, wenn ich wirklich gehen sollte, und Seite an Seite mit mir zu sterben.

»Jedenfalls«, sagte ich schließlich, »müssen wir unbedingt noch vor der Morgendämmerung etwas unternehmen.«

»Dann laßt uns unsere Chance wahrnehmen und sie mit allen verfügbaren Leuten angreifen!« schlug Sir Henry vor.

»Ja, das ist gut!« knurrte Umslopogaas auf Zulu. »Du hast gesprochen wie ein Mann, Incubu. Wovor sollen wir uns fürchten? Zweihundertfünfzig Masai, fürwahr! Wie viele sind wir? Der Häuptling dort« - er deutete auf Mr. Mackenzie - »hat zwanzig Mann. Du, Macumazahn, hast fünf Männer, und dazu kommen fünf weiße Männer. Das sind insgesamt dreißig Mann - wahrlich genug. Höre, Macumazahn, der du schlau und erfahren im Kriege bist. Was sagt das Mädchen? Diese Männer essen und feiern; so soll es denn ihr Totenmahl sein! Was sagte der Hund, den ich beim Morgengrauen in Stücke zu hauen gedenke? Daß er keinen Angriff befürchte, weil wir so wenige seien. Kennst du den alten Kraal, in dem die Masai ihr Lager aufgeschlagen haben? Ich habe ihn heute morgen gesehen; er sieht so aus«; er beschrieb mit dem Finger ein Oval auf dem Fußboden. »Hier ist der große Eingang. Er ist angefüllt mit Dornengestrüpp und öffnet sich zu einer steilen Anhöhe hin. Nun, Incubu, du und ich, wir werden ihn mit Äxten gegen hundert Mann halten, die versuchen, auszubrechen! Nun seht; so soll die Schlacht gehen: Wenn das Licht auf den Hörnern der Ochsen zu schimmern beginnt - nicht vorher, sonst ist es zu dunkel, und nicht später, sonst wachen sie auf und erblicken uns -, soll Bougwan mit zehn Männern um den Kraal herumkriechen bis zu der Stelle am anderen Ende des Kraals, wo der schmale Eingang ist. Dort töten sie lautlos den Wachtposten, so daß er keinen Laut von sich gibt, und halten sich bereit. Dann kriechen Incubu, ich und einer der Askari - der mit der breiten Brust, er ist ein tapferer Mann - zu dem breiten Eingang, der mit Dornenbüschen gefüllt ist, und töten auch dort den Wachtposten, und dann beziehen wir, mit Streitäxten bewaffnet, unsere Stellung - jeder an einer Seite des Pfades, der zum Eingang führt, und der dritte ein paar Schritte vom Eingang entfernt, um die zu töten, die es schaffen, an den beiden am Tor vorbeizukommen. An der Stelle wird der größte Ansturm kommen. Es bleiben sechzehn Mann übrig. Laßt uns diese Männer in zwei Gruppen aufteilen. Mit einer davon sollst du gehen, Macumazahn, und mit einer der >Betmann< (Mr. Mackenzie). Sie sollen, mit Gewehren bewaffnet, auf die Seiten des Kraals gehen; eine Gruppe zur Rechten und eine zur Linken. Und wenn du, Macumazahn, wie ein Ochse brüllst, dann sollen alle aus ihren Gewehren das Feuer auf die schlafenden Masai eröffnen; sie müssen dabei aufpassen, daß sie nicht das kleine Mädchen treffen. Dann soll Bougwan am anderen Ende des Kraals seinen Kriegsschrei ausstoßen, über die Mauer springen und mit seinen zehn Männern die Masai zum Zweikampf stellen. Und es wird so sein, daß die Soldaten, benommen von der Speise und dem Schlaf, verwirrt vom Feuer der Gewehre, vom Fallen der Männer und von den Speeren Bougwans, aufspringen und wie gehetztes Wild auf den dornenbewehrten Eingang zustürzen. Und dann werden von beiden Seiten die Kugeln in sie hineinfahren, und am Eingang stehen Incubu und ich und warten auf jene, die den Feuerhagel überstanden haben und zum Eingang gelangt sind. Das ist mein Plan, Macumazahn; wenn du einen besseren hast, dann nenne ihn!«

Als er mit der Darlegung seines Plans fertig war, erklärte ich den anderen die Einzelheiten desselben, die sie nicht ganz verstanden hatten. Und einhellig und vorbehaltlos teilten sie meine Bewunderung für diesen klugen, wohldurchdachten Plan, den der alte Zulu da ausgeheckt hatte. Auf seine Art war Umslopogaas sicherlich der vortrefflichste General, den ich je kennengelernt habe. Nach einer kurzen Debatte entschlossen wir uns, den Plan, so wie er stand, zu akzeptieren, da er unter diesen Umständen das einzig Mögliche war und - angesichts der Tatsache, daß wir eigentlich auf verlorenem Posten standen - wenigstens ein Fünkchen Hoffnung auf Erfolg in uns weckte. Eine Hoffnung, die uns in Anbetracht der gewaltigen Übermacht und der Grausamkeit unserer Widersacher ohnehin nur theoretisch zu sein schien.

полную версию книги