«Das ist muuht.«»Lahmer Witz. «Mignon kam wieder darauf zurück, daß sie wissen wollte, wer lesbisch war.»Wirklich, sag's mir, ja?«
«Mignon, das ist vertraulich. Die Betreffende hat vielleicht Angst. Ich kann ein Vertrauen nicht verletzen.«
«Du hast keine Angst«, sagte Mignon, als sie die weißen Schachteln in einem Pappkarton zum Auto trugen.
«Ich hab es noch niemandem erzählt außer dir. Ich hab's dir eigentlich nicht erzählt, du hast es rausgekriegt. Und ich hab Angst. Ich denke bloß nicht zu viel darüber nach, das ist alles.«
«Ist dir wirklich bange?«Mignon konnte sich nicht vorstellen, daß ihrer großen schönen Schwester richtig bange war.
«Natürlich.«
Mignon wurde ernst.»Ich will nicht, daß du mich außen vor läßt.«
Vic öffnete die hintere Tür, Mignon stellte den Pappkarton auf den Boden des Autos, dann nahm Vic sie in die Arme.»Du bist meine Schwester, ich laß dich nicht außen vor.«
«Ich will nicht, daß sich was ändert. Daß du in eine andere Welt ziehst und ich nicht.«
«Schätzchen, dazu wird es nicht kommen. Ich bin schließlich nicht auf einem anderen Planeten. «Dann hielt sie Mignon die Beifahrertür auf.»Ich weiß nicht, was wird, aber das weiß keiner. was morgen wird, meine ich.«
«Meinst du, es gibt Beratungsbücher, was man macht, wenn man eine lesbische Schwester hat?«
Vic schüttelte den Kopf, schloß die Tür, ging um das Auto herum auf ihre Seite und stieg ein.»Nein. Weißt du, was ich meine?«
«Was?«
«Die vielen Bücher, wie man dies in den Griff kriegt und jenes versteht — alles Quatsch. Es gibt keine Regeln. Überleg doch mal. Die Regeln, nach denen zu leben uns beigebracht wird, haben sich lauter tote Menschen ausgedacht. Menschen, die wir nie kennen werden und die uns nicht kennen. Wie Amerika. Alles von weißen besitzenden Männern festgelegt. Ich sage nicht, daß das alles schlecht ist, ich sage bloß, daß keiner an uns gedacht hat.«
«Frauen?«»Auch. Aber am meisten wundert mich, warum alle gewillt sind, toten Menschen zu glauben.«
Mignon dachte auf der Heimfahrt ausgiebig darüber nach.»Was ist mit dem Wissen der Jahrhunderte?«
«Okay, es gibt Wissen, es gibt Inhalte, die weitergegeben werden müssen, aber ich stehe auf dem Standpunkt, sofern ich einen habe«, sie lachte,»daß jeder Einzelne alles nachprüfen muß. Man kann nicht einfach etwas glauben, nur weil jemand einem sagt, daß man es glauben muß. Verdammt, was wissen die denn? Es ist nicht ihr Leben.«
«Ja.«
«Was ja?«
«Ich verstehe deinen Standpunkt. Verstehst du meinen?«
«Der wäre?«
«Ich will nicht aus deinem Leben ausgeschlossen sein.«
«Wirst du nicht.«
Vic dachte eine Weile nach, während sie an Boonie Ashleys Laden vorbeifuhren.»Wenn man bedenkt, was für eine Jammergestalt das Tier namens Mensch schon seit so langer Zeit ist, dann ist es ein Wunder, daß überhaupt jemand Kinder kriegt.«
«Alles Kacke, Kotze, Kokolores. «Mignon rümpfte angewidert die Nase.»Man sollte meinen, wenn Gott so schlau wäre, hätte er 'ne bessere Lösung rausgerückt.«
«Männer denken nicht an solche Sachen. «Vic lachte.»Vielleicht ist Gott ja doch ein Mann.«
«Deswegen beten die Menschen zur Jungfrau Maria. «Mignon verschränkte die Arme.
«Und guck, wie weit sie es gebracht hat. Marias Barbecue.«
35
In Williamsburg brannten in allen Fenstern Kerzen, Girlanden schmückten die Hörner des viel fotografierten Ochsen im historischen Viertel, über den Türen hingen Mistelzweige, in den großen Schaufenstern der Geschäfte standen Weihnachtsbäume. Das Trampeln der Touristenfüße verkündete den Einwohnern, daß ihre Kassen klingeln würden. Trotz des unablässigen Verkehrsstroms lächelten Ladenbesitzer und Kunden und gaben ihr Bestes.
Auch Vic, die total erledigt war, gab ihr Bestes. Das Ausräumen ihres Apartments kostete nicht viel Zeit. Sie war nie über Küchentisch, Bett und Kommode hinausgekommen. Sie ließ das Bett da, brachte den Küchentisch zu Chris, verkaufte mit einem Anflug von Traurigkeit ihre Lehrbücher und bezahlte ihrem netten Vermieter eine zusätzliche Monatsmiete.
Charly, der von Energie übersprudelte, war so glücklich, wie sie ihn noch nie erlebt hatte. Sie dachte, ohne ihr Apartment gäbe es keine Möglichkeit mehr, mit ihm zu schlafen. Aber er wollte es woanders tun. Sie vertröstete ihn, wobei ihr schrecklich zumute war, und fuhr zu Jinx.
Jinx trank einen Schluck aus ihrem Kakaobecher.»Wer das Zeug erfunden hat, sollte zur Rechten Gottes sitzen. «Der Dampf, der von dem Getränk aufstieg, ließ sie blinzeln,»'tschuldigung, vor dir sollte ich lieber keine frommen Reden schwingen.«
«Heilige Maria, Mutter. «Vic blies in ihren Kakao.
«Du hast es ihm nicht gesagt.«
«Ach Jinx, er ist so glücklich, abgesehen davon, daß ich heute nicht mit ihm schlafen wollte. Bald ist Weihnachten. Ich fühl mich total beschissen.«
«Je länger du wartest, um so schlimmer wird es, sofern du es dir nicht anders überlegst. «Jinx trank ein Schlückchen von ihrem Kakao.
«Nein, aber schau, Freitag sind wir alle hier weg. Es kann warten. Ich weiß, du hältst mich für eine Pfeife, aber das bin ich nicht. «Sie seufzte.»Bloß, es ist schwerer als ich dachte. Ich liebe ihn wirklich.«
«Warum kannst du ihn nicht einfach heiraten und dir Chris als Geliebte halten? Er wird's nie erfahren. «Jinx' Augen blitzten diabolisch.
«Darauf würde sie sich nicht einlassen. Ich glaube nicht, daß ich es könnte. Ich könnte ihn nicht belügen.«
«Aber du belügst ihn jetzt. Unterlassung ist auch eine Art Lüge.«
«Verdammt, Jinx, bist du nun meine beste Freundin oder nicht? Du machst es mir kein bißchen leichter.«
«Ich bin deine beste Freundin, und du belügst ihn.«
Vic dampfte so sehr wie ihr Kakao; dann regte sie sich ab.»Können wir uns nicht auf einen Kompromiß einigen und sagen, ich entwöhne ihn nach und nach?«
«Meinst du nicht, daß er Bescheid weiß? Immerhin seid ihr alle drei zusammen ins Bett gegangen.«
«Wenn ein Mann guten Sex kriegt, würde es ihm nie in den Sinn kommen, daß du auch super Sex mit 'ner Frau hast.«
«Ich glaube trotzdem, daß er's weiß«, erklärte Jinx.
«Warum findet er sich dann damit ab?«
«Weil er dich liebt, Dummkopf. Und wie alle Liebenden muß er die Vorstellung verdrängen, daß er den geliebten Menschen verlieren könnte. Drum denkt er vielleicht, es ist bloß ein vorübergehender Fimmel.«
«Mom und Dad hab ich's auch noch nicht gesagt. Ich muß das nächste große emotionale Ereignis in Angriff nehmen. Alles Weitere folgt später. «Vic lächelte wehmütig.
«Ja, bleiben wir erst mal beim Nächstliegenden. «Jinx nahm einen großen Schluck.»Woher willst du wissen, daß du ihn nicht vermissen wirst, wenn er weg ist?«
«Ich werde ihn vermissen.«
«Auch Sex mit ihm?«
Vic drehte den Becher in ihren Händen.»Manchmal werde ich vielleicht an Sex mit ihm denken, aber was ich vermissen werde, ist er.«
«Woher weißt du, daß du nicht nebenbei den einen oder anderen Kerl aufgabeln wirst? Später, meine ich.«»Nein.«
«Okay. Versuchen wir 'ne andere Szenerie. Angenommen, aus einem unerklärlichen Grund«, Jinx hob die Hände, die Handflächen nach außen, eine beschwichtigende Geste,»macht ihr Schluß, du und Chris. Würdest du dann zu Charly zurückgehen?«
«Nein.«
«Zu einem anderen Mann?«
«Nein. Ich sage nicht, daß ich nicht mit einem anderen Mann ins Bett gehen würde. Schau, ich entdecke gerade, daß ich unglaublich sexgierig bin, aber ein Mann wäre nicht meine erste Wahl.«
«Dann würdest du dir eine andere Frau suchen?«
«Ja.«
Jinx trank ihren Becher leer und stellte ihn auf den Tisch.»Du wirst nicht weit suchen müssen. Sie werden dich immer finden.«