Als Zarathustra diess einmal seinen Jüngern erzählte, fragten sie:»Und was, oh Zarathustra, ist die Moral deiner Geschichte?«Zarathustra antwortete darauf also:
Den Vernichter der Moral heissen mich die Guten und Gerechten: meine Geschichte ist unmoralisch.
So ihr aber einen Feind habt, so vergeltet ihm nicht Böses mit Gutem: denn das würde beschämen. Sondern beweist, dass er euch etwas Gutes angethan hat.
Und lieber zürnt noch, als dass ihr beschämt! Und wenn euch geflucht wird, so gefällt es mir nicht, dass ihr dann segnen wollt. Lieber ein Wenig mitfluchen!
Und geschah euch ein grosses Unrecht, so thut mir geschwind fünf kleine dazu! Grässlich ist Der anzusehn, den allein das Unrecht drückt.
Wusstet ihr diess schon? Getheiltes Unrecht ist halbes Recht. Und Der soll das Unrecht auf sich nehmen, der es tragen kann!
Eine kleine Rache ist menschlicher, als gar keine Rache. Und wenn die Strafe nicht auch ein Recht und eine Ehre ist für den übertretenden, so mag ich auch euer Strafen nicht.
Vornehmer ist's, sich Unrecht zu geben als Recht zu behalten, sonderlich wenn man Recht hat. Nur muss man reich genug dazu sein.
Ich mag eure kalte Gerechtigkeit nicht; und aus dem Auge eurer Richter blickt mir immer der Henker und sein kaltes Eisen.
Sagt, wo findet sich die Gerechtigkeit, welche Liebe mit sehenden Augen ist?
So erfindet mir doch die Liebe, welche nicht nur alle Strafe, sondern auch alle Schuld trägt!
So erfindet mir doch die Gerechtigkeit, die Jeden freispricht, ausgenommen den Richtenden!
Wollt ihr auch diess noch hören? An Dem, der von Grund aus gerecht sein will, wird auch noch die Lüge zur Menschen-Freundlichkeit.
Aber wie wollte ich gerecht sein von Grund aus! Wie kann ich Jedem das Seine geben! Diess sei mir genug: ich gebe Jedem das Meine.
Endlich, meine Brüder, hütet euch Unrecht zu thun allen Einsiedlern! Wie könnte ein Einsiedler vergessen! Wie könnte er vergelten!
Wie ein tiefer Brunnen ist ein Einsiedler. Leicht ist es, einen Stein hineinzuwerfen; sank er aber bis zum Grunde, sagt, wer will ihn wieder hinausbringen?
Hütet euch, den Einsiedler zu beleidigen! Thatet ihr's aber, nun, so tödtet ihn auch noch!
Also sprach Zarathustra.
Von Kind und Ehe
Ich habe eine Frage für dich allein, mein Bruder: wie ein Senkblei werfe ich diese Frage in deine Seele, dass ich wisse, wie tief sie sei.
Du bist jung und wünschest dir Kind und Ehe. Aber ich frage dich: bist du ein Mensch, der ein Kind sich wünschen darf?
Bist du der Siegreiche, der Selbstbezwinger, der Gebieter der Sinne, der Herr deiner Tugenden? Also frage ich dich.
Oder redet aus deinem Wunsche das Thier und die Nothdurft? Oder Vereinsamung? Oder Unfriede mit dir?
Ich will, dass dein Sieg und deine Freiheit sich nach einem Kinde sehne. Lebendige Denkmale sollst du bauen deinem Siege und deiner Befreiung.
über dich sollst du hinausbauen. Aber erst musst du mir selber gebaut sein, rechtwinklig an Leib und Seele.
Nicht nur fort sollst du dich pflanzen, sondern hinauf! Dazu helfe dir der Garten der Ehe!
Einen höheren Leib sollst du schaffen, eine erste Bewegung, ein aus sich rollendes Rad, — einen Schaffenden sollst du schaffen.
Ehe: so heisse ich den Willen zu Zweien, das Eine zu schaffen, das mehr ist, als die es schufen. Ehrfurcht vor einander nenne ich Ehe als vor den Wollenden eines solchen Willens.
Diess sei der Sinn und die Wahrheit deiner Ehe. Aber Das, was die Viel-zu-Vielen Ehe nennen, diese überflüssigen, — ach, wie nenne ich das?
Ach, diese Armuth der Seele zu Zweien! Ach, dieser Schmutz der Seele zu Zweien! Ach diess erbärmliche Behagen zu Zweien!
Ehe nennen sie diess Alles; und sie sagen, ihre Ehen seien im Himmel geschlossen.
Nun, ich mag ihn nicht, diesen Himmel der überflüssigen! Nein, ich mag sie nicht, diese im himmlischen Netz verschlungenen Thiere!
Ferne bleibe mir auch der Gott, der heranhinkt, zu segnen, was er nicht zusammenfügte!
Lacht mir nicht über solche Ehen! Welches Kind hätte nicht Grund, über seine Eltern zu weinen?
Würdig schien mir dieser Mann und reif für den Sinn der Erde: aber als ich sein Weib sah, schien mir die Erde ein Haus für Unsinnige.
Ja, ich wollte, dass die Erde in Krämpfen bebte, wenn sich ein Heiliger und eine Gans mit einander paaren.
Dieser gieng wie ein Held auf Wahrheiten aus und endlich erbeutete er sich eine kleine geputzte Lüge. Seine Ehe nennt er's.
Jener war spröde im Verkehre und wählte wählerisch. Aber mit Einem Male verdarb er für alle Male seine Gesellschaft: seine Ehe nennt er's.
Jener suchte eine Magd mit den Tugenden eines Engels. Aber mit Einem Male wurde er die Magd eines Weibes, und nun thäte es Noth, dass er darüber noch zum Engel werde.
Sorgsam fand ich jetzt alle Käufer, und Alle haben listige Augen. Aber seine Frau kauft auch der Listigste noch im Sack.
Viele kurze Thorheiten — das heisst bei euch Liebe. Und eure Ehe macht vielen kurzer Thorheiten ein Ende, als Eine lange Dummheit.
Eure Liebe zum Weibe und des Weibes Liebe zum Manne: ach, möchte sie doch Mitleiden sein mit leidenden und verhüllten Göttern! Aber zumeist errathen zwei Thiere einander.
Aber auch noch eure beste Liebe ist nur ein verzücktes Gleichniss und eine schmerzhafte Gluth. Eine Fackel ist sie, die euch zu höheren Wegen leuchten soll.
über euch hinaus sollt ihr einst lieben! So lernt erst lieben! Und darum musstet ihr den bittern Kelch eurer Liebe trinken.
Bitterniss ist im Kelch auch der besten Liebe: so macht sie Sehnsucht zum übermenschen, so macht sie Durst dir, dem Schaffenden!
Durst dem Schaffenden, Pfeil und Sehnsucht zum übermenschen: sprich, mein Bruder, ist diess dein Wille zur Ehe?
Heilig heisst mir solch ein Wille und solche Ehe.
Also sprach Zarathustra.
Zweiter Theil
«— und erst, wenn ihr mich Alle verleugnet habt, will ich euch wiederkehren.
Wahrlich, mit andern Augen, meine Brüder, werde ich mir dann meine Verlorenen suchen; mit einer andern Liebe werde ich euch dann lieben».
Das Kind mit dem Spiegel
Hierauf gieng Zarathustra wieder zurück in das Gebirge und in die Einsamkeit seiner Höhle und entzog sich den Menschen: wartend gleich einem Säemann, der seinen Samen ausgeworfen hat. Seine Seele aber wurde voll von Ungeduld und Begierde nach Denen, welche er liebte: denn er hatte ihnen noch Viel zu geben. Diess nämlich ist das Schwerste, aus Liebe die offne Hand schliessen und als Schenkender die Scham bewahren.
Also vergiengen dem Einsamen Monde und Jahre; seine Weisheit aber wuchs und machte ihm Schmerzen durch ihre Fülle.
Eines Morgens aber wachte er schon vor der Morgenröthe auf, besann sich lange auf seinem Lager und sprach endlich zu seinem Herzen:
«Was erschrak ich doch so in meinem Traume, dass ich aufwachte? Trat nicht ein Kind zu mir, das einen Spiegel trug?
«Oh Zarathustra — sprach das Kind zu mir — schaue Dich an im Spiegel!»
Aber als ich in den Spiegel schaute, da schrie ich auf, und mein Herz war erschüttert: denn nicht mich sahe ich darin, sondern eines Teufels Fratze und Hohnlachen.
Wahrlich, allzugut verstehe ich des Traumes Zeichen und Mahnung: meine Lehre ist in Gefahr, Unkraut will Weizen heissen!
Meine Feinde sind mächtig worden und haben meiner Lehre Bildniss entstellt, also, dass meine Liebsten sich der Gaben schämen müssen, die ich ihnen gab.
Verloren giengen mir meine Freunde; die Stunde kam mir, meine Verlornen zu suchen!
Mit diesen Worten sprang Zarathustra auf, aber nicht wie ein Geängstigter, der nach Luft sucht, sondern eher wie ein Seher und Sänger, welchen der Geist anfällt. Verwundert sahen sein Adler und seine Schlange auf ihn hin: denn gleich dem Morgenrothe lag ein kommendes Glück auf seinem Antlitze.
Was geschah mir doch, meine Thiere? — sagte Zarathustra. Bin ich nicht verwandelt! Kam mir nicht die Seligkeit wie ein Sturmwind?
«Thöricht ist mein Glück und Thörichtes wird es reden: zu jung noch ist es — so habt Geduld mit ihm!
Verwundet bin ich von meinem Glücke: alle Leidenden sollen mir Arzte sein!
Zu meinen Freunden darf ich wieder hinab und auch zu meinen Feinden! Zarathustra darf wieder reden und schenken und Lieben das Liebste thun!
Meine ungeduldige Liebe fliesst über in Strömen, abwärts, nach Aufgang und Niedergang. Aus schweigsamem Gebirge und Gewittern des Schmerzes rauscht meine Seele in die Thäler.
Zu lange sehnte ich mich und schaute in die Ferne. Zu lange gehörte ich der Einsamkeit: so verlernte ich das Schweigen.
Mund bin ich worden ganz und gar, und Brausen eines Bachs aus hohen Felsen: hinab will ich meine Rede stürzen in die Thäler.
Und mag mein Strom der Liebe in Unwegsames stürzen! Wie sollte ein Strom nicht endlich den Weg zum Meere finden!
Wohl ist ein See in mir, ein einsiedlerischer, selbstgenugsamer; aber mein Strom der Liebe reisst ihn mit sich hinab — zum Meere!
Neue Wege gehe ich, eine neue Rede kommt mir; müde wurde ich, gleich allen Schaffenden, der alten Zungen. Nicht will mein Geist mehr auf abgelaufnen Sohlen wandeln.
Zu langsam läuft mir alles Reden: — in deinen Wagen springe ich, Sturm! Und auch dich will ich noch peitschen mit meiner Bosheit!
Wie ein Schrei und ein jauchzen will ich über weite Meere hinfahren, bis ich die glückseligen Inseln finde, wo meine Freunde weilen:
Und meine Feinde unter ihnen! Wie liebe ich nun jeden, zu dem ich nur reden darf! Auch meine Feinde gehören zu meiner Seligkeit.
Und wenn ich auf mein wildestes Pferd steigen will, so hilft mir mein Speer immer am besten hinauf: der ist meines Fusses allzeit bereiter Diener:
Der Speer, den ich gegen meine Feinde schleudere! Wie danke ich es meinen Feinden, dass ich endlich ihn schleudern darf!
Zu gross war die Spannung meiner Wolke: zwischen Gelächtern der Blitze will ich Hagelschauer in die Tiefe werfen.
Gewaltig wird sich da meine Brust heben, gewaltig wird sie ihren Sturm über die Berge hinblasen: so kommt ihr Erleichterung.