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Andrej verscheuchte den Gedanken. Er war melancholisch. Und er war ganz eindeutig nicht in der Verfassung, über so etwas nachzudenken. Außerdem war es mehr als ungewiß, ob er und Frederic mehr als ein paar Tage zusammenblieben.

Sie hatten noch eine Stunde, bis die Sonne aufging, aber Andrej spürte, daß er ohnehin keinen Schlaf mehr finden würde. Er stand auf, ging ein paar Schritte und zog schließlich sein Schwert. Um auf andere Gedanken zu kommen, aber auch, um der Kälte zu trotzen, entfernte er sich etwas von dem Schlafenden und absolvierte ein paar Schwertübungen.

Am Anfang war er nicht gut, er spürte es selbst; seine Bewegungen waren steif und ungelenk. Es war Wochen her, daß er das letzte Mal mit der Waffe geübt hatte, aber er hatte das Gefühl, als seien es schon Monate. Er brauchte lange, bis er spürte, wie seine gewohnte Geschmeidigkeit zurückkehrte, und noch länger, bis sich die noch viel wichtigere innere Ruhe und Ausgeglichenheit einstellte.

Er übte eine halbe Stunde, dann war er vollkommen außer Atem und am ganzen Leib in Schweiß gebadet, trotzdem aber wieder von einer Stärke und Kraft erfüllt, die er viel zu lange nicht mehr gespürt hatte.

Als er sein Schwert einsteckte und sich herumdrehte, hatte Frederic sich aufgesetzt und sah ihn an. Andrej wußte den Ausdruck auf seinem Gesicht nicht zu deuten, aber er war nicht ganz sicher, ob er ihm gefiel.

»Wie lange siehst du mir schon zu?«

»So habe ich noch nie jemanden kämpfen sehen«, sagte Frederic beinahe andächtig.

»Ich hab' es von jemandem gelernt«, antwortete Andrej, »der in dieser Kunst in einer sehr fernen Stadt unterwiesen wurde.«

»In Rom?« fragte Frederic. »Oder in Venedig?«

»Oh nein«, antwortete Andrej. »Er erlernte es in einem Land, das viel weiter entfernt ist.«

»Weiter als Rom?« Frederic klang zweifelnd.

»Vielleicht wirst du es eines Tages einmal kennenlernen«, sagte Andrej achselzuckend. Dann machte er eine Handbewegung, mit der er das Thema abschloß. »Wenn du ohnehin schon wach bist, können wir auch weiterreiten.«

Frederic nickte, stand aber trotzdem nicht auf, sondern zog fröstelnd die dünne Decke, in die er sich zum Schlafen gewickelt hatte, enger um seinen Körper.

»Bringst du mir bei, so zu kämpfen?« fragte er.

Andrej sah ihn eine Sekunde lang schweigend an. »Wozu?« fragte er dann.

Frederic suchte nach einer Antwort, aber Andrej schnitt ihm mit einem Kopfschütteln das Wort ab, ging zu ihm und ließ sich neben den Jungen ins nasse Gras sinken.

»Dein Bruder und dein Vater - konnten sie mit dem Schwert umgehen?«

»Derek hat in einer großen Schlacht gekämpft«, sagte Frederic stolz. »Und mein Vater sogar in dreien. Er hat eine Menge Türken erschlagen.«

»Und darauf bist du stolz«, vermutete Andrej.

»Natürlich«, antwortete Frederic.

Andrej schwieg ein paar Sekunden. »Diese ... Feinde, die dein Vater und dein Bruder erschlagen habe«, fuhr er leise fort, »was meinst du - ob sie Familien hatten ? Frauen und vielleicht Söhne ... wie dich?«

Frederic sah ihn argwöhnisch an und sagte nichts.

»Wie hättest du dich gefühlt, wäre dein Vater von einer dieser Schlachten nicht mehr nach Hause gekommen?«

»Ich wäre zornig gewesen«, antwortete Frederic.

»Nur zornig? Nicht auch traurig und voller Kummer?«

»Natürlich!« antwortete Frederic. »Aber ...«

»Also, dann verrate mir, was gut daran ist, seine Feinde zu erschlagen«, fiel ihm Andrej ins Wort.

Für einen Moment starrte ihn Frederic einfach nur verwirrt an, aber dann machte sich jene Art von Trotz auf seinem Gesicht breit, zu dem nur Kinder imstande sind und gegen den zu argumentieren vollkommen sinnlos ist.

»Wenn es so ist, wie du sagst, wieso bist du dann ein so guter Schwertkämpfer?«

»Wer sagt dir, daß ich das bin?«

Frederic deutete mit einem Ausdruck von noch größerem Trotz in die Richtung, in der Andrej seine Schwertübungen absolviert hatte. »Du mußt ein großer Krieger sein.«

»Vielleicht bin ich das«, murmelte Andrej. »Aber das bedeutet nicht, daß ich Freude daran habe.« Er stand auf. »Ich sattle das Pferd. Geh zum Bach, und hol uns frisches Wasser. Danach reiten wir weiter.«

Frederic sah ihn noch einige Sekunden lang auf eine Art an, die Andrej beinahe erschreckte, und in seinen Augen glomm dabei etwas auf, das weit über kindlichen Trotz hinausging. Dann aber erhob er sich wortlos und ging, um Andrejs Befehl auszuführen.

3

Die Spuren wurden deutlicher. Offenbar waren die Männer, hinter denen sie her waren, nicht annähernd so schnell vorangekommen, wie Delãny vermutet hatte. Er nahm an, daß sie die Bande noch im Laufe des Tages einholen würden.

Und dann?

Andrej hatte es bisher vermieden, allzu genau über diese Frage nachzudenken. Natürlich würden sie versuchen, die Gefangenen zu befreien und die Mörder seines Sohnes Marius, Baraks und der anderen zu bestrafen, aber irgend etwas in Andrej war bisher davor zurückgeschreckt, über das Wie nachzudenken. Ginge es nach Frederic - und auch nach einer leisen, aber beständig flüsternden Stimme in ihm selbst -, dann würde er sie alle töten.

Was in der Praxis wohl kaum möglich sein würde. Frederic zufolge handelte es sich bei den Angreifern um gut zwanzig Mann, einen Trupp wahrscheinlich vor allem Kirchenmänner, die er mit etwas Glück und ein wenig Umsicht austricksen konnte, sofern ihm diese goldenen Ritter nicht in die Quere kamen. Wenn ihm das Glück hold war, mochte es ihm so vielleicht gelingen, die Gefangenen zu befreien, um mit ihnen gemeinsam den Rückweg nach Borsã anzutreten - aber dann? Wie sollte er diese Menschen beschützen, wenn die Ritter Jagd auf sie machten? Er würde unter den entführten Dorfbewohnern wohl kaum waffenfähige Männer finden, die ihn dabei unterstützen konnten, sondern vor allem Frauen, Kinder und Greise.

Als andere Möglichkeit bot sich an, zuerst die Ritter auszuschalten. Doch bei allem Vertrauen in seine Fähigkeiten: Eine überlegende Klinge treffsicher einsetzen zu können bedeutete nicht, es gleichzeitig mit mehreren kampferprobten Männern aufnehmen zu können. Wenn es ihm nicht irgendwie gelang, sie in eine Falle zu locken, mußte er am Ende auf der Strecke bleiben. Aber wem war damit geholfen?

Auch das hatte ihm Michail Nadasdy beigebracht: Niemals blind drauf loszuschlagen, sondern sich zuvor zu überlegen, wie er die Schwächen seiner Gegner zu seinem Vorteil nutzen konnte. Doch wenn er ganz ehrlich war: Nach dem, was Frederic erzählt hatte, vermochte er bei den Goldenen Rittern nicht auch nur eine Schwäche zu erkennen. Es blieb ihm also nichts anderes übrig, als abzuwarten, in der Hoffnung, ein Zufall könnte ihm einen Trumpf in die Hand spielen.

Gegen Mittag teilte sich die Spur. Andrej und Frederic hatten einen weiteren, in einer endlosen Kette flacher, mit spärlichem Grün bewachsener Hügel überquert. Vor ihnen fiel das Gelände steil ab und erweiterte sich am Fuße der Erhebung zu einem schmalen, aber sehr langgestreckten Tal, um auf der anderen Seite ebenso steil wieder anzusteigen. Obwohl der Boden sehr felsig war, war die Spur unübersehbar: Sie zog sich schnurgerade durch die Senke und die gegenüberliegende Böschung hinauf. Andrej schätzte, daß es drei oder vier Reiter gewesen sein mußten, die ungefähr in der Mitte des Tales im rechten Winkel vom Haupttrupp abgewichen waren. Ihre Spur verlor sich nach wenigen Schritten zwischen Felsen und Geröll.

»Worauf wartest du?« Frederic hatte bisher hinter Andrej im Sattel gesessen. Nun glitt er mit einer fließenden Bewegung aus dem Sattel des Pferdes und lief unruhig ein kleines Stück voraus. Das Pferd schnaubte nervös, und nach kurzem Zögern stieg auch Andrej aus dem Sattel. Er war beunruhigt, und seine Unruhe übertrug sich entweder auf das Pferd, oder das Tier spürte eine Gefahr, die seinen viel weniger empfindlichen menschlichen Sinnen noch verborgen blieb. Das wiederum beunruhigte ihn noch mehr.