Der Herzog schnitt eine verächtliche Grimasse. »Glaubst du, daß er seine Ketten aus der Wand reißt oder sich in einen Raben verwandelt, der mir die Augen auskratzt?« fragte er höhnisch. »Verschwinde! Ich rufe dich, wenn ich dich brauche!« Er streckte fordernd die Hand aus und ließ sich die Fackel geben. Auch dieser Soldat hatte es plötzlich sehr eilig, aus dem Verlies zu verschwinden. Herzog Ják Demagyar schien bei seinen Leuten nicht unbedingt für seine Langmut bekannt zu sein.
Demagyar kam näher, blieb jedoch in respektvollem Abstand stehen, als traue er Andrejs Ketten doch nicht in solchem Maße, wie er gerade noch behauptet hatte. Er schwenkte die Fackel hin und her, wechselte sie von der rechten in die mit einem sauberen weißen Verband umwickelte linke Hand und hielt sie etwas höher, als die Hitze der Flammen auf seinem Gesicht zu brennen begann.
»Es tut mir wirklich leid«, bemerkte er. »Ich wollte nicht, daß man Euch so behandelt, Delãny. Aber Ihr wißt ja, wie man sagt: Wenn du sicher sein willst, daß etwas in deinem Sinne erledigt wird, dann tu es selbst.«
»Eure Sorge um mich rührt mich zu Tränen«, entgegnete Andrej bitter. »Ich würde Euch umarmen, wenn ich könnte.«
Demagyars lachte. »Versteht mich nicht falsch, Andrej. Es bereitet nur wenig Vergnügen, einen bereits halbtoten Mann hinrichten zu lassen, das ist alles.«
Andrej schwieg. Was er wissen wollte, würde der Herzog ihm ohnehin nicht sagen.
»Für einen Mann, der ohne einen Schluck Wasser seit zwei Tagen an eine Wand gekettet ist, seht Ihr erstaunlich gut aus«, fuhr Demagyars nach einer Weile fort. Er sagte das nicht ohne Hintergedanken, das spürte Andrej. Demagyars wußte mit ziemlicher Sicherheit nicht, wer sein Gefangener wirklich war - welchen Grund die drei goldenen Ritter und Vater Domenicus wirklich gehabt hatten, das Borsã-Tal heimzusuchen: Ihm würden sie es wohl kaum auf die Nase gebunden haben. Aber der Herzog hegte offenbar den Verdacht, daß Andrej irgendein Geheimnis zu verbergen hatte. Zumindest mußte er spüren, daß er es nicht nur mit einem einfachen transsilvanischen Barbaren zu tun hatte.
»Wir Delãnys sind zäh«, antwortete Andrej. »Es ist nicht leicht, uns umzubringen.«
»Ja, das habe ich auch gehört.« Der Herzog zuckte mit den Schultern. Die Fackel in seiner Hand zitterte und ließ eine Armee winziger roter Lichtreflexe über die Wände ausschwärmen. »Aber ich werde mein möglichstes tun.«
»Warum?« fragte Andrej ruhig.
»Warum ich Euch hinrichten lasse?« Demagyar blinzelte, als überrasche ihn diese Frage wirklich, lachte aber zugleich leise. »Immerhin habt Ihr versucht, mich zu bestehlen, Delãny. Und Ihr habt einen meiner Soldaten getötet.« Er blickte auf seine bandagierte Hand und fügte in aufrichtig klingendem Bedauern hinzu: »Er war ein guter Mann. Es wird nicht leicht sein, ihn zu ersetzen. Zuverlässige Männer sind heutzutage schwer zu finden.«
»Liebt Ihr solche grausamen Spiele einfach nur, oder gibt es einen tieferen Grund, weshalb Ihr Euch selbst bestehlt und Eure eigenen Soldaten umbringt?«
Demagyar versuchte seine Überraschung zu verbergen, aber Andrej entging keineswegs der rasche, fast erschrockene Blick, den er zur Tür hin warf, ehe er antwortete. »Wenn es einen Grund gäbe«, sagte er dann, »so wäre es nicht sehr klug von mir, ihn Euch zu verraten, nicht wahr?«
Also gibt es einen Grund, dachte Andrej; und er hatte sogar eine ungefähre Vorstellung, wie dieser Grund beschaffen sein mochte, auch wenn er diese Gedanken nicht präzise zu formulieren vermochte.
»Warum seid Ihr dann gekommen, Herzog?« erkundigte er sich spöttisch. »Nur um Euch zu überzeugen, daß es mir schlecht geht?«
»Eigentlich könnt Ihr Euch doch gar nicht beklagen, Delãny«, antwortete Demagyar. Dann schüttelte er den Kopf. »Ich bin gekommen, um Euch davon in Kenntnis zu setzen, daß Euer Prozeß in zwei Stunden beginnen wird.«
»Mein... Prozeß?«
»Ihr scheint wirklich eine schlechte Meinung von mir zu haben«, seufzte Demagyar. »Natürlich bekommt Ihr einen fairen Prozeß.«
»Unter Eurem Vorsitz, vermute ich. Und das Urteil steht gewiß schon fest.«
»Selbstverständlich«, antwortete Demagyar trocken und deutete auf seine verletzte Hand. »Allein für den Angriff auf den Herzog von Constãntã ist Euch der Tod gewiß, Delãny. Ich könnte Euch nicht einmal retten, wenn ich es wollte. Es gibt Gesetze, an die auch ich mich halten muß.«
»Wie bedauerlich.«
Demagyar ließ sich von Andrejs sarkastischer Bemerkung nicht aus der Ruhe bringen. »Trotzdem bin ich hier, um Euch ein Angebot zu unterbreiten«, fuhr er fort. »Ihr werdet sterben, aber es liegt an Euch, ob es ein schneller und schmerzloser Tod sein wird oder ob Euer Sterben Stunden dauert oder vielleicht sogar Tage.«
»Ich nehme die Tage«, versuchte Andrej abermals sein Gegenüber zu provozieren. »Ich bin genußsüchtig, wißt Ihr?«
»Ihr wißt nicht, wovon Ihr sprecht«, erwiderte der Herzog ernst. »Mein Scharfrichter ist ein Meister seines Fachs. Und er genießt, was er tut.«
»Was wollt Ihr?« fragte Andrej. Er war kein Feigling, aber er war auch nicht verrückt.
»Nur eine Auskunft. Vater Domenicus ... der Inquisitor. Wer ist er?«
»Ich fürchte, ich ... verstehe nicht«, sagte Andrej stockend.
»Spielt nicht den Dummkopf.« Demagyar schien in der Tat verärgert. »Ihr wißt genau, was ich meine. Domenicus ist ... war kein gewöhnlicher Inquisitor. Der lange Arm Roms reicht für gewöhnlich nicht bis hier; wir halten es eher mit den Kirchenvätern von Byzanz und dem Patriarchen von Konstantinopel, dessen Verhältnis zum Vatikan - sagen wir einmal - etwas gespannt ist. Es muß für unseren allseits geschätzten König also einen triftigen Grund geben, der Inquisition zu gestatten, hierher zu kommen und nach Belieben Leute abzuschlachten.«
»Vater Domenicus hat er es offensichtlich erlaubt«, sagte Andrej.
»Ja, und ich frage mich, warum. Was ist an einem Tal in Transsilvanien so Besonderes, daß der König es zuläßt, daß Soldaten aus einem fremden Land ein ganzes Dorf auslöschen?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej wahrheitsgemäß. Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: »Vielleicht hat er es ja gar nicht gewußt.«
Der Herzog schüttelte nachdenklich den Kopf. »Daran habe ich auch schon gedacht, aber die Papiere des Inquisitors sind in Ordnung. Mehr als das. Ich kann es nicht beweisen, aber es hat den Anschein, als wären Domenicus und seine unheimlichen Begleiter im direkten Auftrag des Vatikans hier. Und daß sie nicht längst abgereist waren, ehe Ihr hier eintraft, spricht dafür, daß sie auf Euch gewartet haben. Ein etwas übertriebener Aufwand, um einen einzelnen Mann und einen Jungen umzubringen, meint Ihr nicht auch, Delãny?«
»Diese Arbeit werdet Ihr ihnen ja nun abnehmen, nicht wahr?« fragte Andrej. Seine Ketten klirrten leise. »Aber warum sollte ich Euch helfen, selbst wenn ich es könnte? Ich habe keine Angst vor dem Tod. Und Schmerz vergeht.«
»Und wenn ich Euch mein Wort gebe, den Jungen am Leben zu lassen?«
»Frederic?« Es gelang Andrej nicht ganz, das Entsetzen in seiner Stimme zu verbergen. »Ihr habt ihn?«
»Was habt Ihr erwartet?« fragte Demagyar in einem Ton ehrlicher Verblüffung. »Ihn und auch diese beiden Narren, die geglaubt haben, mich berauben zu können. Sagt mir, warum der Inquisitor wirklich nach Transsilvanien gekommen ist, und der Junge bleibt am Leben.«
»Er hat Domenicus getötet«, erinnerte Andrej den Herzog.
»Und?« Demagyar machte eine wegwerfende Geste mit der freien Hand. »Er hat mir damit einen Dienst erwiesen. Also? Was ist das große Geheimnis des Borsã-Tals?«
»Ich weiß es nicht«, antwortete Andrej wahrheitsgemäß.
Demagyars Gesicht verfinsterte sich. »Dann tut es mir leid. In diesem Fall kann ich nichts mehr für Euch tun.«