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Er starrte Andrej noch einen Moment lang an und machte keinen Hehl daraus, daß er fast verzweifelt darauf wartete, daß Andrej es sich doch noch überlegen und antworteten würde; und ebensowenig verhehlte er seine Enttäuschung, als das nicht geschah. Schließlich drehte er sich mit einem angedeuteten Achselzucken zur Tür und verließ ohne ein weiteres Wort die Zelle.

Andrej blieb allein in der Dunkelheit zurück. Vielleicht hatte er gerade seinen letzten Fehler begangen.

15

Kurze Zeit darauf erschienen vier Männer in Andrejs Zelle, die ihn von den Ketten befreiten und ihm Wasser und saubere Kleider brachten, so daß er sich waschen und umziehen konnte. Die Soldaten hatten ständig die Hände griffbereit auf dem Schwertknauf, und Andrej konnte hören, daß auf dem Gang noch weitere Männer warteten. Ein Fluchtversuch wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht nur vollkommen aussichtslos gewesen, sondern zudem äußerst dumm. Er mußte abwarten, bis sich eine Gelegenheit ergab, die seine Bewacher ablenkte und ihm einen Vorteil verschaffte. Vielleicht würde sie nie kommen ... vielleicht war sie aber auch nur Minuten entfernt. Es galt einfach, die Nerven zu behalten und den richtigen Moment abzuwarten. Andrej hatte nicht vor, sich widerstandslos abschlachten zu lassen - weder schnell noch langsam.

Als er erneut in Ketten gelegt und aus der Zelle geführt wurde, ließ er alles bereitwillig mit sich geschehen. Wie erwartet befand sich seine Zelle im tiefsten Kerker des Schlosses. Sie gingen einen schmalen, finsteren Gang entlang, der so niedrig war, daß sich die Männer nur gebückt darin bewegen konnten, und an dessen Ende sich eine schmale, steil nach oben führende, endlos lange Treppe befand. Nachdem sie eine Tür aus massiven Eichenbohlen passiert hatten, gelangten sie in das eigentliche Gefängnis, das weit oberhalb seiner Zelle lag.

Als sie den Gefängnistrakt betraten, konnte Andrej das Leid, das in der Luft lag, fast körperlich spüren. Nicht nur er, sondern sogar seine Bewacher hatten im ersten Augenblick Mühe, überhaupt zu atmen. Die beiden großräumigen Zellen hinter riesigen Eisengittern, die den Gang flankierten, waren hoffnungslos überfüllt. Der Gestank menschlicher Exkremente vermischte sich mit dem von Krankheit und Tod; außerdem drang von beiden Seiten ein unentwegtes, gedämpftes Stöhnen und Wehklagen auf sie ein. Angesichts der gut fünfzig Männer, Frauen und Kinder, die in den beiden Zellen zusammengepfercht waren, erschienen Andrej diese Geräusche erstaunlich leise. Viele der Gefangenen hatten wohl nicht einmal mehr die Kraft, ihrem Leid Ausdruck zu verleihen.

Der Anblick zog Andrejs Herz zu einem harten, eisigen Klumpen zusammen, so daß er mehrmals hastig die Augen niederschlug, um ihn nicht länger ertragen zu müssen. Als man ihn in seinen Kerker gebracht hatte, war er ohne Bewußtsein gewesen, da einer der Soldaten ihn niedergeschlagen hatte; er war erst wieder zu sich gekommen, als man ihn bereits in seiner Zelle angekettet hatte. Jetzt begriff er, daß dies eine Gnade gewesen war. Die Tage, die er allein mit sich und seinen Gedanken dort unten verbracht hatte, waren schlimm genug gewesen; aber mit den Bildern dessen vor Augen, was Demagyar den gefangenen Dorfbewohnern angetan hatte, wären sie zur Hölle geworden. Zwar hatte er gewußt, daß sich Frederics Familie und Freunde hier unten befanden, aber diese Wirklichkeit hier war um etliches schlimmer als alles, was er sich in seiner Phantasie ausgemalt hatte.

So unangenehm ihm diese Bilder des Schreckens auch waren, Andrej zwang sich doch, sich noch einmal nach beiden Seiten umzusehen. Er sah graue, von Leid und Schmerz und vor allem Furcht gezeichnete Gesichter, aber dasjenige Frederics war nicht unter ihnen. Wenn Demagyar die Wahrheit gesagt hatte und sich der Junge in seiner Gewalt befand, wurde er an einem anderen Ort gefangengehalten.

Sie gingen weiter nach oben und traten schließlich auf den Hof hinaus. Andrej schloß geblendet die Augen und hob ganz instinktiv die Hand, um sich vor dem grellen Sonnenlicht zu schützen. Sofort hob einer seiner Begleiter sein Schwert und setzte die Klinge an Andrejs Kehle, und ein zweiter drückte ihm die Spitze seiner Hellebarde in den Magen. Andrej erstarrte für einen Moment zur Reglosigkeit. Was immer Demagyar oder Domenicus über ihn erzählt haben mochten - die Soldaten des Herzogs hatten einen höllischen Respekt vor ihm. Diesen Umstand würde er zu seinen Gunsten ausnutzen können. Aber nicht jetzt. Neben allem anderen, was dagegen sprach, machte es ihm allein schon die Tatsache, daß der Herzog auch Frederic in seiner Gewalt hatte, vollkommen unmöglich, jetzt zu fliehen.

Vorsichtig senkte er die Hand wieder, wartete ab, bis die Soldaten ihre Waffen zurückgezogen hatten, und zwang sich zu einem leicht verunglückten Grinsen. War das Angst, was er auf den Gesichtern dieser Männer las, oder war es Haß? Immerhin glaubten sie, daß er einen ihrer Kameraden getötet hatte.

Während sie weitergingen, sah sich Andrej ein zweites Mal aufmerksam auf dem Innenhof der Burganlage um. Seine Augen gewöhnten sich rasch an das grelle Tageslicht, aber der Anblick, der sich ihm bot, wurde dadurch nicht angenehmer. Die Festung wirkte auch am Tage so düster und abweisend wie in der Nacht, nur konnte man diesen Eindruck jetzt nicht mehr auf die Dunkelheit und die gespenstischen Schatten schieben. Andrej sah einen abweisenden, kalten Ort, an dem ihm jede menschliche Regung und jedes Lachen fehl am Platze schienen.

Die Soldaten führten ihn in einen großen, spärlich möblierten Saal in der ersten Etage des Palas - Ják Demagyars Thronsaal, wie Andrej vermutete. Der Raum wurde von einem großen, zur Zeit allerdings erloschenen Kamin beherrscht, über dem das Wappenschild der Demagyars hing, darunter ein mit einem Morgenstern gekreuztes Schwert. Beide Waffen dienten nicht nur der Dekoration, sondern zeigten ebenso wie der Schild deutliche Spuren früherer Kämpfe.

Vor dem Kamin war eine lange Tafel aufgestellt worden, an der Demagyar und drei Andrej unbekannte Männer Platz genommen hatten. Nur einer von ihnen trug die Farben des Herzogs, die beiden anderen waren in zivile, allerdings sehr kostbare Gewänder gekleidet. Vermutlich handelte es sich um Würdenträger der Stadt. Zwei weitere Plätze an der Tafel waren noch frei, einer davon direkt neben dem Herzog.

»Ihr wißt, warum Ihr hier seid«, begann Demagyar unmittelbar.

»Um Eure Gastfreundschaft zu genießen?« fragte Andrej. »Wenn dem so ist, dann hätte ich eine Beschwerde, was mein Zimmer anbe ...«

Einer der Soldaten schlug ihm mit solcher Wucht in den Nacken, daß er taumelte. Andrej tat ihnen nicht den Gefallen, zu stöhnen, sondern biß die Zähne zusammen und blinzelte ein paarmal.

»Ihr scheint Euch immer noch nicht über den Ernst der Lage im klaren zu sein, Delãny«, sagte Demagyar stirnrunzelnd.

»Die Freundlichkeit der Bedienung läßt auch zu wünschen übrig«, murmelte Andrej. Er spürte, wie der Mann hinter ihm erneut ausholte, und spannte sich, aber der Herzog hob abwehrend die Hand, und der erwartete Hieb blieb aus.

Dann wandte sich Demagyar mit einem angedeuteten Kopfschütteln an den Mann zu seiner Linken. »Wie ich Euch gesagt habe, Graf Bathory - er ist ein transsilvanischer Barbar. Anscheinend ist ihm nicht einmal bewußt, in welcher Situation er sich befindet.«

Der Angesprochene hob die Hand, um den Herzog zum Schweigen zu bringen, und wandte sich direkt an Andrej. »Ist das so, Delãny?« fragte er. »Wißt Ihr überhaupt, warum Ihr hier seid? Was man Euch vorwirft?«

Andrej verstand immer weniger, was hier vorging. Daß dieser ganze sogenannte Prozeß nichts anderes als eine Farce sein würde, war ihm vollkommen klar; Demagyar hatte ihm ja offen gesagt, daß das Urteil bereits feststand. Nach Graf Bathorys Worten wäre der fast beschwörende Blick, den der Herzog ihm zuwarf, kaum mehr nötig gewesen, um klarzumachen, daß seine Richter ihm eine goldene Brücke bauen wollten. Aber was sollte das alles?