Eines Gesichts, das er gut kannte.
»Seid Ihr wach, Delãny?« fragte Ják Demagyar. »Ich hoffe doch, der Schlag war nicht zu fest.«
»Nur keine Sorge, Herzog. Der Bursche ist zäher, als er aussieht.« Malthus, der seitlich versetzt hinter dem Herzog stand, schlug seinen Mantel zurück, so daß der schimmernde Brustharnisch darunter zum Vorschein kam, und lachte leise. »Sogar viel zäher.«
»Bindet mich los, und ich zeige Euch, wie zäh«, antwortete Andrej. Diese Worte waren lächerlich, geradezu kindisch. Aber es war das einzige, was er im Moment überhaupt sagen konnte. Er war verwirrt. Wieso stand Demagyar unverletzt und als freier Mann vor ihm? Gleichzeitig aber hatte er ein nicht weniger verwirrendes, gegenteiliges Gefühclass="underline" nämlich, daß dieser Umstand genau ins Bild paßte - auch wenn er dieses Bild in seiner Vorstellungskraft noch nicht vollständig zusammenzusetzen vermochte.
»Nur Geduld, Delãny«, antwortete Malthus. Sein Lächeln erlosch, und seine Augen blitzten plötzlich wie Stahl. »Dein Wunsch wird in Erfüllung gehen, aber es dauert noch eine Weile. Nicht sehr lange.«
Demagyar blickte stirnrunzelnd von ihm zu Andrej und wieder zurück.
»Für zwei Männer, die sich erst vor kurzem zum ersten Mal begegnet sind, haßt ihr euch ziemlich inbrünstig«, bemerkte er nachdenklich. Dann zuckte er mit den Schultern. »Aber das soll nicht meine Sorge sein. Tötet ihn, Malthus, und dann laßt uns unser Geschäft zu Ende bringen.«
»Noch nicht«, entgegnete der goldene Ritter.
Der Herzog schaute ihn verwirrt an. »Aber ich dachte ...«
»Daß ich ihm die Kehle durchschneide, wenn er hier gefesselt und wehrlos vor mir steht?« fiel ihm Malthus ins Wort. Er schüttelte zornig den Kopf. »Ich bin kein Meuchelmörder, Herzog. Delãny wird sterben, aber in einem fairen Kampf.«
»Ganz wie Ihr meint«, bemerkte Demagyar abfällig, sogar leicht verächtlich.
Andrej fragte sich, ob der Herzog, als er diese Worte sprach, wußte, daß er einem Mann gegenüberstand, der schon wegen weniger getötet hatte. Der wahrscheinlich nicht einmal einen Grund zum Töten brauchte. Vermutlich aber wußte er das nicht; und er war sich auch nicht der Gefahr bewußt, die es bedeutete, Malthus zu reizen. Denn Ják Demagyar gehörte zu jenen Menschen, die mit der gleichen Überheblichkeit über das Leben anderer entschieden, mit der sie sich selbst für unantastbar hielten.
»Wo bleibt denn nur dieser Heide?« Demagyar sah sich fragend um.
Malthus lächelte ebenso flüchtig wie kalt. »Wenn ich Euch einen Rat geben darf, Herzog«, sagte er spöttisch, »dann solltet Ihr nicht so reden, wenn er es hören kann ... oder einer seiner Leute. Viele von ihnen sprechen Eure Sprache.« Er streckte die Hand aus: »Das Schwert.«
Demagyar wirkte für einen Moment verärgert, zuckte aber dann erneut mit den Schultern und griff unter seinen Mantel. Er förderte ein längliches, gut meterlanges Paket zutage, das in schmutzige Lumpen eingehüllt war. Allerdings machte er keine Anstalten, es dem Ritter zu überreichen, sondern ignorierte Malthus ausgestreckte Hand und entfernte mit schnellen Bewegungen die verrotteten Lumpen. Darunter kam Andrejs Sarazenenschwert zum Vorschein.
»Eine phantastische Waffe«, sagte er mit aufrichtiger Bewunderung. »Ein Schwert wie dieses habe ich noch nie zuvor gesehen. Ich frage mich, was eine solche Klinge wohl wert ist.«
»Mehr als ein Menschenleben, Herzog.« Die Drohung in Malthus Worten war beim besten Willen nicht mehr zu überhören, aber Demagyar ignorierte sie trotzdem und fuhr an Delãny gewandt fort: »Wem habt Ihr sie gestohlen, Delãny?«
Andrej starrte das Sarazenenschwert an. Sein Herz raste wie wild. Der Anblick dieser Waffe in den Händen des goldenen Ritters war ein Schock für ihn, mit dem er nur schwer fertig wurde. Zumal er nicht wußte, worauf der Mann abzielte.
»Woher ... habt Ihr dieses Schwert?« fragte er stockend.
»Seine bisherigen Besitzer hatten keine Verwendung mehr dafür«, antwortete Demagyar lächelnd. »Was sollen tote Männer auch mit einer Waffe?«
»Ihr habt sie ...?«
»Jetzt erzählt mir nicht, Ihr hättet Mitleid mit diesen beiden Strauchdieben«, sagte Demagyar. »Ein Mann mit verbranntem Gesicht und ein berufsmäßiger Dieb und Mörder. Beide hätten früher oder später ohnehin am Galgen geendet. Darüber hinaus hätten sie Euch ohne zu zögern geopfert, Delãny, glaubt mir.«
»Und Frederic?« fragte Andrej.
»Der Junge?« Der Herzog zögerte einen ganz kurzen Moment. Dann sagte er: »Es war besser so für ihn.«
»Ihr habt auch ihn ... getötet?«
»Unser Freund hier ...« Demagyar deutete mit einer Kopfbewegung auf Malthus. »... sowie eine gewisse, sehr zornige junge Dame haben mit Nachdruck auf seiner Auslieferung bestanden. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, warum. Gegen das, was ihn erwartet hätte, war ein schneller Stich ins Herz eine Gnade, glaubt mir.«
»Ihr ... Ihr habt Frederic getötet?« murmelte Andrej noch einmal. Und dann, urplötzlich, brach es mit solcher Wucht aus ihm heraus, daß er fast vor sich selbst erschrak.
»Du Mörder!« brüllte er. »Du verdammtes, blutrünstiges Ungeheuer! Warum hast du das getan?!«
Er tobte. Er schrie, er brüllte, warf sich mit aller Macht gegen seine Fesseln und schrie seinen Schmerz und seine Wut hinaus, bis seine Kräfte versagten und er erschöpft und atemlos in sich zusammensank.
Der Herzog schüttelte den Kopf und sah ihn mit einem Ausdruck an, der echtes Bedauern hätte sein können, wäre Ják Demagyar nicht der gewesen, der er nun einmal war. »Ihr müßt diesen Jungen sehr geliebt haben, Delãny«, sagte er. »Glaubt mir: Ich habe ihm großes Leid erspart.«
Frederic geliebt? Oh ja, das hatte er. Und zwar viel intensiver, als ihm das bisher auch nur annähernd bewußt gewesen war. Andrej schwieg, starrte zu Boden und kämpfte mit aller Macht gegen die Tränen an. Sein Schmerz war unbeschreiblich. Dieser Junge war alles gewesen, was ihm noch geblieben war - die einzige Erinnerung an seine Familie, das einzige Verbindungsglied zu seinem früheren Leben. All das hatte Demagyar ihm genommen, nicht aus Grausamkeit oder Berechnung, sondern aus einem viel banaleren und schlimmeren Antrieb: aus reiner Bedenkenlosigkeit.
»Ich werde dich töten«, sagte Andrej leise, ausdruckslos und so kalt, daß ihm vor seiner eigenen Stimme schauderte. »Ich weiß noch nicht, wie oder wann, aber ich verspreche dir: Ich werde dich töten! Und wenn ich von den Toten zurückkehren müßte, um dich in die Hölle zu schicken.«
Ják Demagyar starrte ihn fassungslos an. Er versuchte zu lachen, aber der Laut, der über seine Lippen kam, geriet allenfalls zur Andeutung eines Lachens, das ihm jäh auf den Lippen erstarb.
Malthus streckte wortlos den Arm aus, nahm Demagyar das Sarazenenschwert aus den Händen und lehnte es an den Balken, an den Andrej gefesselt war.
»Was für eine Verschwendung«, seufzte Demagyar. »Aber wie Ihr meint... Wo bleibt denn nur dieser ...«
»Mohr?« fiel ihm eine Stimme von der Tür her ins Wort. Eine hochgewachsene, vollständig in schwarze Tücher gehüllte Gestalt betrat die Lagerhalle. Der Mann war mindestens zwei Meter groß, dabei aber nicht so breitschultrig wie Malthus, sondern schlank; sein Gesicht war dunkelbraun, fast schwarz. Der Fremde trug einen ebenfalls schwarzen Turban, so daß einzig die schweren Ringe an seinen Fingern und der juwelenbesetzte Griff des Krummsäbels, den er an der Seite trug, dieser düsteren Erscheinung etwas Farbe verlieh. Während er mit langsamen Schritten näher kam, fuhr er fort: »Pirat? Heide? Sprecht es getrost aus, Herzog. Nichts davon wäre falsch.«
»Abu Dun.« Malthus senkte andeutungsweise den Kopf. »Pünktlich wie immer.«
»Was man von Eurem Geschäftspartner nicht behaupten kann«, entgegnete der Muselman, ohne seinen Blick von dem Herzog abzuwenden. Abu Dun hatte sonderbare Augen, tiefblau und durchdringend, wobei die Farbe des einen leicht von der des anderen abwich.