»Die Männer sind unterwegs«, sagte der Herzog. Seine Stimme klang ein wenig verunsichert. »Es ist nicht leicht, fünfzig Männer und Frauen durch die halbe Stadt an diesen Ort zu bringen, ohne daß es auffällt. Aber sie werden pünktlich hier sein.«
»Das hoffe ich«, sagte Abu Dun. »Wir müssen mit der Flut auslaufen. Das Schiff kann nicht bis Tagesanbruch im Hafen bleiben.«
»Sie werden pünktlich hier sein«, versicherte Demagyar noch einmal. »Vorausgesetzt, wir haben unseren Handel bis dahin abgeschlossen.«
Abu Dun warf Malthus einen fragenden Blick zu, aber der Ritter zuckte nur gleichmütig mit den Achseln. »Er bekommt ein Drittel der vereinbarten Summe«, sagte er. »Im voraus.«
»Ich habe die Sklaven noch nicht einmal gesehen«, bemerkte Abu Dun. »Was, wenn sie nichts wert sind?«
»Ich bitte Euch, mein Freund«, erwiderte Malthus, »wir machen seit Jahren gute Geschäfte miteinander, und wir haben Euch niemals übervorteilt. Also fangt jetzt nicht an zu feilschen.«
»Ich gehe ein großes Risiko ein«, fügte Demagyar hinzu. »Allein das Einlaufen eines muslimischen Piratenschiffes im Hafen von Constãntã zuzulassen - und das zum jetzigen Zeitpunkt, wo sich die Türken zum Angriff sammeln! - ist schon die Summe wert, die Malthus mir genannt hat.«
»Piratenschiff?« Abu Dun lachte kurz, dann wurde er um so ernster und sah Demagyar auf eine Art an, die den Herzog erbleichen ließ. »Bringt mich nicht auf neue Gedanken, Herzog!«
Abu Dun und Demagyar entfernten sich ein paar Schritte von Andrej, redeten aber im Gehen weiter und gerieten allmählich in ein heftiges Gestikulieren. Offensichtlich schien sich der Fremde nicht an Malthus' Rat zu halten, auf das Feilschen und Schachern zu verzichten.
»Ein Pirat«, murmelte Andrej.
»Sklavenhändler«, verbesserte ihn der Ritter. »Das Wort Pirat hört er nicht so gerne - obwohl er zweifellos auch das ist.«
»Warum?« fragte Andrej. »Ich ... verstehe das nicht, Malthus. Ich begreife, daß Ihr mich töten wollt; und ich kann zumindest nachvollziehen, warum Ihr Barak getötet habt - auch wenn ich Euch verachte für die Art, wie Ihr es getan habt. Aber all die anderen? Ihr überfallt ein Dorf und nehmt seine Einwohner gefangen, um sie als Sklaven zu verkaufen? Selbst ein Mann wie Ihr sollte sich doch einen Rest von Ehre bewahrt haben!«
Für einen kurzen Moment flammten Malthus' Augen in purem Haß auf, aber er beherrschte sich und unterdrückte einen Wutausbruch. »Es war nicht meine Idee«, sagte er. »Außerdem: Man muß leben. Es ist nicht billig, im Namen des Herrn zu reisen und die Welt von den Dienern des Teufels zu befreien.«
Der Spott in seiner Stimme war nicht zu überhören. Und Andrej war nicht einmal sonderlich erstaunt über diese zynische Bemerkung. Er hatte Vater Domenicus nur ein einziges Mal gesehen, aber er wußte, wie gnadenlos dieser Inquisitor war; auch wenn Domenicus unter dem Banner und im Namen der Kirche seine Missionen erfüllte, war er doch ein Ungeheuer.
»Wissen Eure Freunde in Rom, auf welche Weise Ihr die Botschaft des Herrn verbreitet?« fragte er.
Malthus schnitt eine Grimasse. »Ihr stellt zu viele Fragen, Andrej Delãny«, erklärte er. »Zumal Ihr ja mit den Antworten doch nichts mehr anfangen könntet. Das Schiff läuft in einer Stunde aus. Sobald der letzte Mann an Bord gegangen ist, werde ich Euch töten.«
Andrej deutete mit den Augen auf sein Sarazenenschwert. »Damit?«
»Mit Eurem Schwert?« Malthus schüttelte den Kopf. »Das ist für Euch, Delãny. Ich habe Euch einen fairen Kampf versprochen, und Ihr werdet ihn auch bekommen.«
»Wie großzügig.« Andrej lachte höhnisch.
Malthus seufzte. »Ihr seid noch sehr jung, zumindest für einen von uns. Wie viele habt Ihr schon getötet?« Er sah Andrej fragend an, aber als der keine Antwort gab, erschien ein Ausdruck ehrlicher Verwunderung auf seinem Gesicht. »Noch ... keinen? Ihr habt tatsächlich noch keinen von uns getötet? Ihr habt niemals die Transformation erlebt?«
»Ich habe nicht einmal die blasseste Ahnung, wovon Ihr überhaupt sprecht«, erwiderte Andrej verächtlich. »Ich verspüre keinen Drang danach, Männer zu töten, nur weil sie so sind wie Ihr oder ich.«
Malthus sah ihn mit einem Gesichtsausdruck an, den ein Vater aufsetzen mochte, wenn sein Sprößling eine besonders dumme Antwort gegeben hatte. »Wißt Ihr denn gar nichts über Euch selbst?« fragte er fast enttäuscht.
»Genug, um zu wissen, daß ich nicht werden will wie Ihr«, antwortete Andrej.
»Keine Angst, Delãny, das werdet Ihr auch nicht. Mein Schwert wird Euch aus dieser Zwangslage befreien. Aber keine Sorge: Ich ziehe es vor, Euch im fairen Zweikampf zu schlagen, statt Euch einfach hier und jetzt niederzustechen.«
»Und danach werdet Ihr Euch das nächste Dorf aussuchen, dessen Bewohner Ihr einfach zu Tode quälen könnt?« fragte Delãny. »Ich frage mich dabei nur, was für ein Genuß es für Euch sein muß, einem Jungen wie meinem Sohn Marius einen Holzpflock durchs Herz zu stoßen. Oder habt Ihr Euch am ihm etwa gar nicht die Hände schmutzig gemacht? Habt Ihr das einem Eurer Lakaien überlassen?«
Malthus wirkte einen Herzschlag lang verwirrt. »Dieser Junge war Euer Sohn?« fragte er ungläubig, aber in einem Ton, der erkennen ließ, daß er ganz genau wußte, wen Delãny gemeint hatte.
»Ja. Er war mein Sohn.« Delãny kämpfte nicht gegen die aufsteigenden Tränen an. »Und ich werde nicht eher ruhen, bis ich mich an seinen Mördern gerächt habe.«
Malthus schien seine Antwort gar nicht gehört zu haben. Er starrte Andrej nur mit einer Mischung aus Staunen und Unglauben an; aber Andrej glaubte in den Augen seines Feindes auch einen Hauch von Betroffenheit zu erkennen.
»Wenn Ihr mit diesem feigen Mord etwas zu tun habt, dann sagt es mir besser gleich«, stieß er wütend hervor. »Und falls das so ist, dann seid versichert: Ich werde Euch töten, was immer Ihr auch unternehmt!«.
Der Ritter wirkte jetzt eher verwirrt als betroffen. »Ihr habt tatsächlich überhaupt keine Ahnung«, sagte er kopfschüttelnd und seufzte tief. »Ich hätte doch auf Kerber oder Biehler hören sollen. Sie haben mich von Anfang an vor Euch gewarnt. Aber nun ist es zu spät...«
»Kerber und Biehler?« fragte Andrej voller Abscheu. »Eure beiden Kumpane?«
»Kumpane?«, ächzte Malthus. »Das ist wohl kaum das richtige Wort...«
»Aber es sind doch die Männer, die gleich Euch in goldenen Rüstungen nach Borsã gekommen sind, um die Dorfbevölkerung auszulöschen und meinen Sohn umzubringen?« fragte Andrej scharf. »Oder wollt Ihr mir etwa weismachen, ich hätte mir die ganzen Toten im Wehrturm nur eingebildet?«
Der Hüne starrte ihn nur schweigend und mit einem Gesichtsausdruck an, der Andrej mehr als deutlich zeigte, daß ihm die Wendung des Gesprächs überhaupt nicht behagte.
»Redet!« schrie er. »Ich will wissen, ob Ihr etwas mit diesem feigen Hinterhalt zu tun habt, in den Vater Domenicus die Dorfbevölkerung gelockt hat, um sie Euch als Fraß vorzuwerfen!«
Malthus nickte, ganz langsam und fast bedächtig. »Wenn Ihr es von diesem Blickwinkel aus sehen wollt... ja.«
»Wenn Ihr selber es schon zugebt«, flüsterte Delãny voller Entsetzen. »Dann seid Ihr der Mörder meines Sohnes!«
Malthus versuchte, seinem Blick standzuhalten. Aber es gelang ihm nicht; schon nach wenigen Augenblicken starrte er an Delãny vorbei ins Nichts. »Ich bin nicht der Mörder Eures Sohnes«, sagte er dann.
So wie er es sagte, schien er Andrej auf vollkommen unbegreifliche Art und Weise gleichzeitig die Wahrheit und die Unwahrheit zu sagen.
Ein paar Sekunden herrschte ein fast unerträgliches Schweigen. Delãny fühlte ein so abgrundtiefes Grauen in sich, daß er dem goldenen Ritter das Herz aus dem lebendigen Leib gerissen hätte, wenn er die Hände freigehabt hätte. Er hatte die letzten Tage versucht, jeden Gedanken an Rache zu vermeiden und sich ganz auf die Aufgabe zu konzentrieren, die überlebende Dorfbevölkerung von Borsã zu retten. Aber jetzt dem Mann gegenüberzustehen, der indirekt zugegeben hatte, seinen Sohn eigenhändig ermordet zu haben - das war zuviel.