»Bindet mich los«, sagte er. »Damit ich es gleich hier und jetzt zu Ende bringen kann.«
»Nicht ganz so hastig«, widersprach Malthus. »Ihr sollt Eure Chance haben. Aber erst, wenn der letzte Mann von Bord gegangen ist.« Er stieß ein hartes Lachen aus. »Und glaubt mir: Ihr könnt von Glück sagen, wenn ich Euch nicht noch in letzter Sekunde Kerber oder Biehler überlasse!«
Es dauerte einen Moment, bevor die Wortes des Ritters in Andrejs aufgewühlten Verstand einsickerten. Sergé hatte einen der goldenen Ritter getötet; in dem Moment, als der Mann ihn nach dem Wirtshausbrand hatte töten wollen. Es konnten also nicht mehr alle drei am Leben sein!
»Wieso Kerber oder Biehler«, stammelte er, als er die Tragweite von Malthus' Worten begriff. »Das kann doch nicht sein ... Einer von euch muß tot sein!«
»Ihr habt doch in Constãntã selber noch mit Kerber gesprochen«, sagte Malthus höhnisch. »Sah er etwa tot aus?«
»Er sah weder tot aus, noch war er der Mann, den ich meine«, stellte Andrej fest, während er spürte, wie ihm der Schweiß ausbrach. »Es war der Mann, den Ihr Biehler nennt: Er wollte mich umbringen, nachdem ich mich aus dem brennenden Gasthaus gerettet habe. Aber Sergé hat ihn erschlagen.«
Malthus reagierte auf eine sehr überraschende Art und Weise: Er legte den Kopf in den Nacken und lachte. »Das ist gut«, sagte er, als er sich wieder halbwegs beruhigt hatte. Er schüttelte den Kopf. »Ich habe nicht gewußt, wie naiv Ihr seid.«
»Was hat das mit Naivität zu tun?« fragte Andrej, während er die Panik in sich niederzukämpfen versuchte, die sich mit der Ahnung einer unglaublichen Wahrheit vermischte. »Sergé wird sich überzeugt haben, daß Euer Freund tot ist. Er war in diesen Dingen sehr gründlich.«
»Das kann ich mir vorstellen«, spottete Malthus. »Allerdings hat ihm das nicht viel Glück gebracht. Mittlerweile dient er nur noch als Fischfutter.«
Andrej starrte den Ritter mit einer Mischung aus Entsetzen und Abscheu an. »Und genau dieses Schicksal habt Ihr mir jetzt auch zugedacht«, vermutete er. »Nachdem Ihr meinen Sohn mit einem Holzpflock zu Tode gefoltert habt, wollt Ihr mich jetzt erschlagen und ins Meer werfen.«
»Aber nein.« Malthus schüttelte verwundert den Kopf. »Wie kommt Ihr nur auf diesen Gedanken?« Sein Gesicht hatte wieder den gewohnt überheblichen Ausdruck angenommen. »Wißt Ihr, was Ihr für ein Problem habt? Ihr wißt nichts über Euch selbst und über Eure geheimste Natur. Natürlich hat dieser Sergé Biehler getötet. Aber das bedeutet nicht, daß Biehler tot liegengeblieben ist. Denn im Gegensatz zu Euch hat Biehler schon mehrere Transformationen hinter sich.«
Andrej öffnete und schloß mehrmals hintereinander den Mund, wie ein Fisch, der nach Luft schnappt. »Er hat was?«
»Mehrere Transformationen hinter sich«, wiederholte Malthus und runzelte in einer Geste gespielter Überraschung die Stirn. »Wie sonst, glaubt Ihr, erlangt man ein Stück Unsterblichkeit?«
19
Nachdem er sich offenkundig mit Abu Dun geeinigt hatte, war Ják Demagyar aufgebrochen, um seinen Gefangenen und deren Wächtern entgegenzugehen. Der Zeitpunkt, für den er seine Rückkehr zugesichert hatte, war längst verstrichen, aber noch war weder von ihm noch von den Verschleppten auch nur eine Spur zu sehen. Malthus und der schwarze Sklavenhändler zeigten mittlerweile deutliche Anzeichen von Nervosität, auch wenn sich zumindest der Goldene alle Mühe gab, seine wahren Gefühle zu unterdrücken.
Die beiden standen weit genug von Andrej entfernt, um ihn ihre Gespräche nicht mithören zu lassen, aber man mußte ihre Worte gar nicht verstehen, um zu erkennen, daß sie alles andere als Freundlichkeiten austauschten. Abu Dun gestikulierte wild, während sich Malthus auf kurze, wütende Gesten beschränkte.
Lange nach Ablauf der verabredeten Frist drangen endlich Geräusche von draußen herein: Hufgeklapper, Schritte und ein Rumoren, das auf die Ankunft einer größeren Menschenmenge schließen ließ. Einen Augenblick später wurde die Tür geöffnet, aber herein trat nicht Demagyar, wie Andrej und offensichtlich auch Malthus und Abu Dun erwartet hatten, sondern Maria in Begleitung der beiden anderen goldenen Ritter: Kerber und Biehler.
Biehler war tatsächlich der Mann, den Sergé erschlagen hatte. Er wies nicht einmal einen Kratzer auf.
»Also doch«, rief Maria, bevor Andrej auch nur einen klaren Gedanken fassen konnte.
Malthus schaute fragend zu ihr hinüber und setzte zu einer Antwort an, aber die Schwester des Inquisitors ließ ihn nicht zu Wort kommen, sondern rauschte an ihm vorbei und steuerte auf Delãny zu.
»Bindet diesen Mann los!« befahl sie entschieden. »Auf der Stelle!«
Malthus tauschte einen fragenden Blick mit Kerber und Biehler, erntete von beiden aber nur ein Achselzukken.
»Habt Ihr mich verstanden, Malthus?« fragte Maria scharf. »Ihr sollt ihn losbinden!«
Als der Angesprochene nicht reagierte, zerrte und riß sie selbst an Andrejs Fesseln herum, gab dieses für sie aussichtslose Unterfangen aber bald wieder auf. Mit hochrotem Gesicht fuhr sie zu Malthus herum und herrschte ihn an: »Was ist los? Rede ich so undeutlich, oder seid Ihr plötzlich mit Taubheit geschlagen?«
»Bitte, Maria«, begann Malthus unbehaglich, »ich kann...«
»Ich habe Euch einen Befehl erteilt«, unterbrach ihn Maria. »Gehorcht! Sofort!«
Malthus trat ein paar Schritte auf sie zu, wich aber ihrem Blick aus. »Das kann ich nicht«, sagte er.
»Was soll das heißen?«
»Es wäre nicht im Sinne Eures Bruders«, erklärte Biehler an Malthus' Stelle.
»Nicht im Sinne ...?« Maria stockte und atmete tief durch, als wolle oder könne sie nicht glauben, was sie gerade gehört hatte. Dann fuhr sie gepreßt, aber mit beherrschterer Stimme fort: »Im Augenblick spreche ich im Sinne meines Bruders. Und ich befehle Euch, diesen Mann auf der Stelle loszubinden!«
»Nein«, sagte Biehler ruhig.
»Nein?«
»Nein«, bestätigte der Ritter.
»Bitte, versteht doch, Maria ...« Malthus' Stimme klang gequält. »Wir alle lieben und verehren Euch. Wir würden unser Leben für Euch geben, ohne zu zögern, aber die Befehle Eures Bruders waren eindeutig. Dieser Mann ist ein Hexer. Wir werden ihn seiner gerechten Strafe zuführen.«
»Ein Hexer.« Maria betonte das Wort sonderbar nachdrücklich und bedachte Andrej mit einem langen, sehr nachdenklichen Blick, ehe sie sich wieder zu Malthus herumdrehte.
»Und all diese Leute dort draußen?« fragte sie mit noch seltsamerer Betonung. »Sind das auch alles... Hexer?«
»Sie gehören zu ihm.« Der Goldene deutete auf Andrej. »Sein ganzes Dorf war mit dem Teufel im Bunde. Es war der Befehl Eures Bruders, sie gefangenzunehmen und nach Rom zu bringen, wo ihnen der Prozeß gemacht werden soll.«
»Nach Rom?« warf Andrej ein. »Nicht vielleicht eher nach Alexandria? Oder nach Akkad?« Er lachte hart.
»Seht Euch den Kapitän dieses Schiffes genau an, Maria. Für mich sieht er aus wie ein nubischer Sklavenhändler.«
Maria unterzog Abu Dun, der nur wenige Schritte von ihnen entfernt war, tatsächlich einer langen, eingehenden Musterung. Dann wandte sie sich wieder an Malthus und fixierte ihn mit einem eisigen Blick. »Ist das wahr?« fragte sie.
»Maria, Ihr werdet diesem Mörder und Satansbündner doch nicht glauben«, warf Kerber ein. »Er versucht seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen, mit allen Mitteln!«