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Doch Maria würdigte den Leibwächter ihres Bruders keines Blickes, sondern starrte weiter Malthus an. »Ist das wahr?« fragte sie noch einmal.

»Wir folgen nur den Befehlen Eures Bruders«, beharrte Malthus.

»Die darin bestehen, Christen als Sklaven zu verkaufen?« Maria schnaubte vor Wut. »Ich glaube Euch kein Wort.«

»Diese Menschen sind keine Christen«, antwortete Malthus. »Und es war der Befehl Eures Bruders.«

»Was er im Moment leider nicht bekräftigen oder abstreiten kann«, erwiderte Maria grimmig. »Wie praktisch für Euch. Aber Ihr solltet genau überlegen, was Ihr tut. Noch ist mein Bruder nicht tot.«

»Und wir beten zu Gott, daß er den feigen Mordanschlag dieser Hexer überleben wird«, gab Malthus zurück. »Solange er jedoch am Leben ist und uns nicht selbst von seinen Befehlen entbinden kann, müssen wir tun, was er uns zuletzt aufgetragen hat. Es tut mir leid.«

»Ihr solltet an Bord gehen, Maria«, sagte Kerber.

Und Biehler fügte hinzu: »Euer Bruder ist bereits auf dem Schiff. Die ›Möwe‹ liegt zum Auslaufen bereit.«

»Ich gehe nirgendwo hin«, sagte Maria entschlossen. »Und ich lasse nicht zu, daß ...«

»Bitte zwingt uns nicht, Euch gewaltsam an Bord bringen zu müssen«, unterbrach sie Malthus. Aber wir würden auch das tun, fügte sein Blick hinzu.

Einige Augenblicke lang stand Maria reglos und wie erstarrt da, dann wandte sie sich Andrej zu, warf ihm einen langen hilflosen Blick zu, wirbelte mit einem Ruck herum und lief mit schnellen Schritten nach draußen. Kerber folgte ihr auf der Stelle, wenige Augenblicke darauf stürzte auch Biehler hinaus.

Abu Dun, der diese Szene schweigend aber mit offenkundigem Unverständnis verfolgt hatte, schüttelte den Kopf. »Unglaublich«, murmelte er. »Ihr Christen werft uns vor, wir seien Barbaren und ungebildete Wilde, aber ihr gestattet euren Weibern, auf eine Art mit euch zu reden, für die ich sie auf der Stelle töten würde.«

»Sie ist die Schwester unseres Herrn«, sagte Malthus. »Solange er lebt, sind wir ihr gleichen Respekt schuldig wie ihm.«

Abu Dun legte den Kopf auf die Seite. »Und wenn er nicht mehr lebt?«

»Ihr solltet zu Eurem Schiff gehen«, erwiderte Malthus kühl. »Ich nehme doch an, daß Ihr das Verladen der Sklaven überwachen wollt.«

Der Sklavenhändler runzelte die Stirn. Er wirkte leicht verärgert, sagte aber nichts, sondern schürzte nur verächtlich die Lippen; schließlich drehte er sich ohne ein weiteres Wort um und ging.

Malthus folgte ihm, blieb eine geraume Weile an der Tür stehen und blickte dem Sklavenhändler nach. Dann schüttelte er den Kopf, kam mit langsamen Schritten auf Andrej zu, zog sein Schwert und holte weit aus.

Malthus gewaltige Klinge schien sich in einen silbernen Blitz zu verwandeln, und Andrej spannte all seine Muskeln an. Doch statt ihm den Kopf von den Schultern zu trennen, sauste das Schwert haarscharf an seiner Schulter vorbei, schrammte an seinem Arm entlang, ohne ihm auch nur einen Kratzer zuzufügen, touchierte seine Hüfte und fetzte schließlich handlange Holzsplitter aus dem Boden. Als der Ritter das Schwert wieder hob und ein paar Schritte zurücktrat, fielen Andrejs Fesseln zerschnitten zu Boden.

Delãny wankte, geriet ins Stolpern, konnte sich aber mit einiger Mühe wieder fangen. Als er nach dem Sarazenenschwert greifen wollte, schüttelte Malthus den Kopf.

»Nicht so hastig, Delãny«, sagte er. »Ihr habt Stunden an diesem Pfahl gestanden. Wartet, bis Euer Blut wieder richtig fließt. Wärmt Eure Muskeln und macht sie geschmeidig. Oder habt Ihr es so eilig mit dem Sterben?«

Andrej blickte den hünenhaften Goldenen ungläubig an, aber Malthus nickte noch einmal zur Bekräftigung seiner Worte. Er meinte es ernst. Andrejs Zweifel verflogen. Wenn sein Gegner ihn hätte hinterrücks erschlagen wollen, hätte er wohl kaum seine Fesseln durchtrennt. Trotzdem ließ er Malthus keine Sekunde aus den Augen, während er sich ein paar Schritte von ihm entfernte.

In seinen Armen und Beinen prickelte es, zuerst sanft, dann heftiger, schließlich geradezu quälend. Malthus hatte recht: Andrej hätte in diesem Moment nicht einmal die Kraft aufgebracht, das Sarazenenschwert zu halten, geschweige denn, mit ihm zu kämpfen.

»Warum tut Ihr das?« Andrej begann damit, abwechselnd seine Handgelenke zu massieren und die Finger zu spreizen und zur Faust zu schließen. Doch zunächst schienen diese Lockerungsübungen ihm nicht zu helfen. Sein Blut strömte zum ersten Mal seit langer Zeit wieder frei durch die Adern, aber dieses Fließen erschien ihm fast noch unerträglicher als die Schmerzen, die er in den letzten Tagen ununterbrochen hatte ertragen müssen.

»Es macht nicht besonders viel Spaß, einen Gegner zu besiegen, der sich nicht wehren kann«, erklärte Malthus.

»Das meine ich nicht. Kerber. Biehler. Was habt Ihr mit diesen ... Verrückten zu schaffen? Ihr seid nicht wie sie.«

Der Goldene lachte leise. »Ihr habt recht, Delãny. Sie sind verrückt. Das Töten macht ihnen Spaß.«

»Euch etwa nicht?«

»Nur, wenn es sein muß. Die beiden sind verrückt, aber sie sind auch nützlich. Irgendwann werde ich sie töten. Aber das hat noch Zeit.«

»Nützlich?« wiederholte Andrej. »So wie Vater Domenicus, der unschuldige Menschen abschlachten läßt?«

»Irgendwann wird der Tag der Befreiung kommen«, entgegnete Malthus ernst. »Und es gibt viele von uns, viel mehr, als Ihr ahnt, Delãny.«

»Und Ihr laßt sie Euch von Domenicus und diesen beiden Wahnsinnigen vom Halse schaffen.«

»Jeder wählt seinen eigenen Weg, Delãny«, sagte Malthus. »Auch Ihr hättet das getan, wären wir uns nicht begegnet. Glaubt Ihr, ich würde Euch nicht verstehen? Ich war einmal wie Ihr. Auch ich habe mit dem Schicksal gehadert und geschworen, daß ich nicht so werden will. Ich wollte nicht töten müssen, um leben zu können. Es hat Jahre gedauert, bis ich den ersten von unserer Art getötet habe. Und noch sehr viel länger, bis ich begriff, daß es richtig war. Das Töten ist nun einmal unsere Bestimmung.«

»Ihr tötet, um länger leben zu können?« fragte Andrej. Er verstand noch nicht einmal ansatzweise, was hier vorging und von was Malthus die ganze Zeit über redete. »Ihr behauptet im Ernst, unverwundbar und unverletzlich zu sein?«

»Oh nein.« Der Ritter schüttelte entschieden den Kopf. »Wir sind sehr wohl verwundbar. Aber wenn man uns nicht auf die richtige Weise zu töten versteht - dann kommen wir wieder.«

»Teufelswerk«, murmelte Andrej, während ihm ein eiskalter Schauer über den Rücken rann.

»Teufelswerk?« wiederholte Malthus, als habe er selber schon öfter über die Bedeutung dieses Wortes nachgedacht. »Wohl kaum. Ist Euch noch nie aufgefallen, wie sehr sich einzelne Menschen unterscheiden? Wir sind nur eine kleine Abweichung von dem, was die Menschheit unter normal versteht. Versteht mich recht: Wir kommen nicht aus der Hölle wieder. Wir werden verletzt, wir bluten wie jeder andere: Aber die Wunden schließen sich viel schneller und gründlicher als bei anderen Menschen - solange wir von einem ganz besonderen Lebenssaft gespeist werden.«

Ein ganz besonderer Lebenssaft - Andrej konnte sich nur zu gut vorstellen, was er damit gemeint hatte. All das, was er sich in seinen kühnsten Alpträumen zusammengeträumt hatte, war wahr - und nicht nur das. Die Wahrheit war tausendmal schlimmer, als er es sich je hatte vorstellen können. Malthus ließ ihn einen Blick hinter den Vorhang der Wirklichkeit werfen, und Andrej sah, was dahinter lauerte: der Wahnsinn, und etwas, gegen das alle Schrecken des Todes verblaßten. Es gab eine zweite Wirklichkeit hinter den Dingen, und wenn er erst einmal bereit war, das zu akzeptieren, dann waren die Folgerungen aus diesem Gedankengang schlichtweg entsetzlich.

All die Jahre, in denen ihn Michail Nadasdy trainiert hatte, hatte er ihn nie gefragt, warum er ihn überhaupt dieser Anstrengung unterzog. Er war nie auf die Idee gekommen nachzuhaken, was für einen Sinn es machen sollte, einen transsilvanischen Bauernsohn zu einem begnadeten Schwertkämpfer zu erziehen. Es war für ihn selbstverständlich gewesen, daß Michail die besten Jahre seines Lebens damit verschwendete, ihn tagtäglich zu drillen, als würde irgendwann einmal das Leben seines Stiefsohns davon abhängen.