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»Zwei«, sagte Frederic. »Es war meine Schuld. Ich sah all diese Reiter und Männer in Richtung Dorf ziehen und war neugierig. Ich bin auf einen Felsen geklettert, um besser sehen zu können. Als ich zurückkam ...«

»Waren die Ziegen weg«, vermutete Andrej.

Frederic nickte niedergeschlagen. »Ich habe meinem Vater nichts davon gesagt. Ich hatte Angst, daß er mich schlagen würde. Aber spät in der Nacht, als alle schliefen und auch in der Burg die letzten Feuer erloschen waren, habe ich mich noch einmal aus dem Haus geschlichen, um nach den Ziegen zu suchen. Ich habe sie nicht gefunden.«

»Aber dadurch hast du die Versammlung verpaßt«, vermutete Andrej. »Danke Gott dafür, daß dir die beiden Ziegen weggelaufen sind, mein Junge. Vielleicht hat er dir befohlen, sie zu suchen, um dein Leben zu retten.«

»Ich kam zu spät«, fuhr Frederic fort. Andrej hatte jetzt kaum noch das Gefühl, daß er zu ihm sprach. Vielmehr schien es, als sei er plötzlich gar nicht mehr in der Lage, die Worte zurückzuhalten. Vielleicht mußte er das Grauen einfach in Worte kleiden, um ihm auf diese Weise etwas von seinem namenlosen Schrecken zu nehmen.

»Alle waren schon fort, zum Wehrturm. Ich lief hinterher, aber ich ging nicht durch das Haupttor, weißt du? Ich hatte Angst, Ärger zu bekommen, aber es gibt einen geheimen Weg zum Turm, eine schmale Bresche unter der Mauer, so schmal, daß nur Kinder ihn nehmen können.«

Andrej lächelte flüchtig. Er kannte den Weg, von dem der Junge sprach. Er hatte ihn als Kind oft genug selbst genommen.

»Der Weg endet auf einer schmalen Galerie hoch oben über dem großen Saal. Von dort aus kann man alles sehen und hören, ohne selbst gesehen zu werden. Ich ... ich hatte mich dort versteckt, um zu lauschen. Ich dachte, auf diese Weise könnte ich später vielleicht erzählen, daß ich dort gewesen sei und mein Vater mich nur nicht bemerkt habe. Ich ... ich dachte, der Kirchenmann wollte mit uns zusammen beten. Oder den Dorfältesten irgend ... irgend etwas Wichtiges ... mitteilen.«

Er stockte jetzt immer öfter. Seine tränenerstickte Stimme bebte. Trotzdem mußte er weitersprechen.

»Aber er wollte etwas ganz anderes. Er ... brachte schwere Anschuldigungen vor. Das Dorf, so behauptete er, hätte sich dem Teufel verschrieben.«

»Das Dorf?« vergewisserte sich Andrej.

»Das ganze Borsã-Tal«, bestätigte Frederic. »Sie sagten, wir stünden mit der Hölle im Bunde und betrieben Zauberei und Hexenwerk. Am Anfang haben alle gelacht, am lautesten Barak. Aber die Vorwürfe wurden immer schlimmer, und dann hörten sie auf zu lachen. Und plötzlich haben ... haben die fremden Männer Waffen unter ihren Gewändern hervorgezogen und alle überwältigt und gebunden.«

»Und niemand hat sich gewehrt?«

»Nur wenige waren bewaffnet«, antwortete Frederic traurig. »Wer bringt schon ein Schwert mit zum Gottesdienst? Ein paar der Männer haben sich gewehrt, aber die Fremden waren in der Überzahl. Am schlimmsten waren die drei Ritter in den goldenen Rüstungen.«

»Goldene Rüstungen?«

»Ich schwöre es«, beharrte Frederic. »Ich habe so etwas noch nie zuvor gesehen. Niemand hat das, glaube ich. Sie ... waren wie die Teufel. Schreckliche Krieger, die keinen Schmerz und keine Angst vor dem Tod zu kennen schienen.«

Andrej sagte nichts mehr dazu. Die Erinnerungen des Jungen waren vor Angst getrübt und spielten ihm einen Streich. Später, wenn er hinlänglich Zeit gehabt hatte, den schlimmsten Schmerz zu verarbeiten, würde er noch einmal mit ihm reden, um herauszufinden, was es mit diesen drei Rittern in goldenen Rüstungen wirklich auf sich hatte.

»Und dann?« fragte er.

»Dann haben sie angefangen, Bruder Toros und Barak zu foltern«, antwortete Frederic. »Am grausamsten Bruder Toros, wenigstens am Anfang. Er hat Gott im Himmel angefleht, daß sie aufhören mögen, und bei seinem Seelenheil geschworen, daß er nichts von Zauberei und Hexenwerk wisse. Aber es hat nichts genutzt. Sie haben immer weitergemacht. Am schlimmsten waren die drei goldenen Teufel. Es war fast, als ... als bereite es ihnen Freude, Bruder Toros zu quälen. Am Schluß hat Bruder Toros dann alles zugegeben. Daß er den Teufel beschworen und ihm seine Seele verkauft habe, daß das ganze Borsã-Tal der schwarzen Magie anhänge und manchmal Hexen und schreckliche Dämonen unter uns weilten.«

»Das hat er nur gesagt, damit sie aufhören«, murmelte Andrej. »Bruder Toros war noch nie ein besonders tapferer Mann.«

Frederic antwortete nicht darauf, aber etwas an seinem Schweigen gefiel Andrej nicht. Er sah zu ihm hoch und gewahrte einen Ausdruck auf den Zügen des Jungen, der ihm noch sehr viel weniger gefiel.

»Du glaubst diesen Unsinn doch nicht etwa?« fragte er. »Frederic, du hast gesehen, was sie ihm angetan haben! Unter dieser Folter würde jeder alles gestehen! Im Borsã-Tal gibt es keine Zauberei!«

»Es gab ... Gerüchte«, sagte Frederic unbehaglich. »Schon lange.«

»Barak.« Er wich Andrejs Blick aus. »Er ... war zu alt. Kein Mensch kann so alt werden, wie er es war. Er war niemals krank, und es heißt, wenn er sich verletzte oder in der Schlacht verwundet wurde, dann schlössen sich seine Wunden in Tagen, wo die Heilung bei anderen Wochen gebraucht hätte.«

»Barak war schon immer ein zäher Bursche«, antwortete Andrej. »Und es gibt Menschen, die sehr alt werden. Schon in der Bibel wird davon berichtet. Hat dir Bruder Toros nie von Methusalem erzählt?«

Frederic verneinte. Andrej bezweifelte, daß Bruder Toros jemals die Bibel gelesen hatte.

»Und da war noch ... diese andere Geschichte«, sagte Frederic leise.

»Welche andere Geschichte?«

Frederic wand sich wie unter Schmerzen. »Niemand spricht laut darüber«, sagte er, »aber es heißt, daß vor vielen Jahren der Reliquienschrein aus der Kirche von Rotthurn entwendet wurde. Von einem Mann, der mit dem Bösen in Verbindung stand - dem Sohn eines Sarazenen, der sich unter dem falschen Namen Michail Nadasdy bei uns eingeschlichen hat.«

Andrej drehte sich rasch um, damit der Junge den entsetzten Ausdruck auf seinem Gesicht nicht sah. Es war unmöglich! Nicht solch ein Unsinn und nicht nach so langer Zeit!

»Was für ein ... Unfug.« Er räusperte sich. Seine Gedanken rasten. »Ich kann verstehen, was du über Barak gedacht hast. Du bist jung, und er war schon immer ein komischer alter Kauz. Aber diese Geschichte ... Das entbehrt jeder Grundlage!«

»Die Fremden haben es jedenfalls geglaubt. Sie haben alle gebunden und fortgebracht und ... viele getötet.«

»Warum nur?« fragte Andrej. Er war noch immer zutiefst erschüttert. Es fiel ihm schwer, Frederics Worten überhaupt noch zu folgen. Hatte das Schicksal ihn nur hierher geführt, um ihm zu zeigen, daß er zum Todesengel geworden war, der am Ende jedem den Untergang brachte, der seinen Weg kreuzte, selbst seinem eigenen Sohn?

»Ich weiß es nicht«, antwortete Frederic stockend. »Einer der goldenen Ritter hat die ausgewählt, die getötet werden sollten. Mein Vater und ... und mein älterer Bruder waren auch dabei.«

»Das tut mir leid«, sagte Andrej leise. »Wirklich.«

Er versuchte seine Gedanken wieder in halbwegs klare Bahnen zu zwingen. Er hatte nicht das Recht, nicht nur alle Schuld, sondern auch allen Schmerz der Welt für sich allein zu beanspruchen. Dieser Junge hatte mehr durchgemacht als er, und in kürzerer Zeit. Außerdem war er ein unfreiwilliger Augenzeuge dieses furchtbaren Blutbades geworden. Und er hatte eindeutig Anspruch auf Hilfe.

Vielleicht hatte ihn das Schicksal ja gar nicht hierher gebracht, um ihn zu quälen ...

»Nachdem es vorbei war«, fuhr Frederic mit brechender Stimme fort, »haben sie Barak in sein Zimmer gebracht. Ich konnte ihn schreien hören ... Lange.«

Seine Stimme versagte. Er schluchzte ein einziges Mal auf, und es war auch nur eine einzige Träne, die über sein Gesicht lief, ehe er sie mit dem Handrücken fortwischte.