Terry Goodkind
Am Ende der Welten
Für Phil und Debra Pizzolato und deren Kinder Joey, Nicolette, Philip und Adriana, die mich mit ihrer Liebe und ihrem Lachen stets daran erinnern, wie kostbar das Leben ist.
Die folgenden Personen waren mir bei der Verwirklichung von Phantom eine unschätzbare Hilfe: Brian Anderson
Jeff Bolton
R. Dean Bryan
Dr. Joanne Leovy
Mark Masters
Desiree und Dr. Roland Miyada
Keith Parkinson
Phil und Debra Pizzolato
Tom und Karen Whelan
Ron Wilson
Jeder Einzelne von ihnen war stets für mich da, wenn ich ihn am meisten brauchte. Jeder von ihnen verfügt über einzigartige Fähigkeiten, die eine Schlüsselrolle bei der Verwirklichung dieses Buches gespielt haben. Jeder von ihnen bringt allein schon dadurch Freude in mein Leben, dass er ganz er selbst ist.
1
In liebevollem Gedenken an Keith Parkinson
Wer hergekommen ist, um zu hassen, sollte nun gehen, denn in seinem Hass verrät er nur sich selbst.
Mucksmäuschenstill, den Kopf zwischen die Schultern gezogen, stand Kahlan etwas abseits in den Schatten unter dem kleinen Vordach, beobachtete, wie das Böse leise an die Tür klopfte - und hoffte inständig, dass niemand auf das Klopfen antworten würde. So gerne sie die Nacht im Trockenen, mit einem Dach über dem Kopf, verbracht hätte, wollte sie dennoch nicht, dass das Unheil unschuldige Menschen heimsuchte. Trotzdem war sie sich nur allzu bewusst, dass sie nicht den geringsten Einfluss darauf hatte. Durch die schmalen Fenster zu beiden Seiten der Tür war der flackernde Schein einer einzelnen Laterne zu erkennen, dessen blasser, schimmernder Abglanz sich auf dem nassen Fußboden der Veranda widerspiegelte. Über ihrem Kopf hing, an zwei Eisenringen befestigt, ein Ladenschild, das jedes Mal, wenn es im windgepeitschten Regen hin und her schwang, ein Knarren und Quietschen von sich gab. Auf diesem dunklen, regennassen Ladenschild waren die gespenstisch weißen Umrisse eines gemalten Pferdes zu erkennen. Das durch die Fenster fallende Licht reichte nicht, um den Namen zu entziffern, aber da die drei anderen Frauen, die bei ihr waren, seit Tagen über kaum etwas anderes gesprochen hatten, wusste sie, dass der Name wohl Gasthaus zum Weißen Ross lauten musste.
Nach dem Geruch von Mist und feuchtem Heu zu urteilen, vermutete sie, dass eines der dunklen Gebäude nahebei ein Stall sein musste. In der vereinzelt aufgleißenden Helligkeit der fernen Blitze konnte sie gerade eben die ungeschlachten, kantigen Umrisse einiger dunkler Gebäude ausmachen, die geisterhaft jenseits der Wassermassen des strömenden Regens aufragten. Trotz des unablässigen Rauschens des wolkenbruchartigen Regens und des Donnergrollens schien das Dorf in tiefem Schlaf zu liegen. In einer so dunklen, scheußlichen Nacht konnte Kahlan sich kein angenehmeres Plätzchen vorstellen als sicher und warm zusammengerollt unter einer Bettdecke.
In einem nahen Stall wieherte ein Pferd, als Schwester Ulicia ein zweites Mal anklopfte, lauter und nachdrücklicher diesmal und offensichtlich entschlossen, sich trotz des tosenden Regens Gehör zu verschaffen, wenngleich nicht energisch genug, um den Eindruck von Feindseligkeit zu erwecken. Schwester Ulicia, die sonst gelegentlich zu impulsiven Rücksichtslosigkeiten neigte, schien sich bewusst Zurückhaltung auferlegt zu haben. Der Grund war Kahlan unbekannt, sie nahm aber an, dass es etwas mit dem Zweck ihres Hier seins zu tun hatte; ebenso gut konnte es aber auch auf ihre sprunghafte Launenhaftigkeit zurückzuführen sein. Mit der stets schwelenden Übellaunigkeit dieser Frau verhielt es sich wie mit einem Blitz - sie war nicht nur gefährlich, sondern vollkommen unberechenbar. Nicht immer gelang es Kahlan, exakt vorherzusehen, wann Schwester Ulicia zuschlagen würde, und dass sie es bislang unterlassen hatte, hieß noch lange nicht, dass es so bleiben musste. Auch die beiden anderen Schwestern waren nicht besserer Laune oder neigten weniger zu Wutanfällen. Nichtsdestoweniger nahm Kahlan an, dass die drei in Kürze ruhig und friedlich das Wiedersehen feiern würden.
Ganz in der Nähe blitzte es, so nahe, dass die blendend grelle, aber nur kurz währende Helligkeit für einen kurzen Moment eine ganze Straße von Gebäuden erkennen ließ, die sich dicht an die morastige, von Fahrspuren durchzogene Straße drängten. Gleich darauf folgendes Donnergrollen hallte durch die hügelige Landschaft und ließ den Boden unter ihren Füßen erzittern.
Kahlan wünschte sich, es gäbe etwas - wie ein Blitz, der ansonsten im Dunkel der Nacht verborgene Dinge offenbarte -, das ein wenig Klarheit in die verborgenen Erinnerungen an ihre Vergangenheit bringen, ein wenig Licht auf das dunkle Rätsel ihrer Person werfen könnte. Sie verspürte das heftige Bedürfnis, sich der Schwestern endlich zu entledigen, das brennende Verlangen, endlich selbst über ihr Leben zu bestimmen und herauszufinden, worin es eigentlich bestand. Das immerhin wusste sie über sich. Und sie wusste auch, dass diese Einstellung auf irgendwelche Erlebnisse gründen musste. Für sie stand außer Frage, dass da irgendetwas sein musste - Menschen, Ereignisse -, die sie zu der Frau gemacht hatten, die sie jetzt war; aber sosehr sie sich auch bemühte, es sich in Erinnerung zu rufen, es war ihr entfallen.
An jenem grauenvollen Tag, als sie im Auftrag der Schwestern die Kästchen der Ordnung gestohlen hatte, hatte sie sich geschworen herauszufinden, wer sie in Wahrheit war - und dass sie eines Tages frei sein würde!
Als Schwester Ulicia zum dritten Mal anklopfte, war von drinnen eine gedämpfte Stimme zu vernehmen.
»Ich hab Euch ja gehört!« Die Stimme eines Mannes. Seine nackten Füße tappten eine hölzerne Stiege herab. »Bin ja gleich da!«
Mit einem verdrießlichen Ausdruck wandte sich Schwester Ulicia zu Kahlan herum. »Du weißt, dass wir hier etwas zu erledigen haben.«
Warnend hob sie einen Finger vor Kahlans Gesicht. »Denk also nicht einmal daran, uns Ärger zu machen, oder dir widerfährt das Gleiche wie beim letzten Mal.«
Die Erinnerung ließ Kahlan schlucken. »Ja, Schwester Ulicia.«
»Ich kann nur hoffen, dass Tovi uns ein Zimmer besorgt hat«, klagte Schwester Cecilia. »Ich bin nicht in der Stimmung, mir anzuhören, es sei alles voll.«
»Es wird schon noch Platz geben«, beteuerte Schwester Armina beschwichtigend und durchkreuzte damit Schwester Cecilias Angewohnheit, stets vom Schlimmsten auszugehen.
Anders als Schwester Cecilia war sie nicht schon älter, sondern fast ebenso jung und attraktiv wie Schwester Ulicia, in Anbetracht ihres Wesens war ihr Aussehen für Kahlan allerdings vollkommen bedeutungslos. In Kahlans Augen waren sie alle Nattern.
»Wie auch immer«, setzte Schwester Ulicia im Flüsterton hinzu, den Blick starr auf die Tür gerichtet, »es wird noch Platz geben.«
Die Tür wurde einen Spaltbreit geöffnet, und das schattenhafte Gesicht eines Mannes, der noch damit beschäftigt war, seine Hose unter dem Nachthemd zuzuknöpfen, spähte ihnen entgegen. Er bewegte seinen Kopf ein wenig nach rechts und links, um die Fremden mit einem Blick zu erfassen. Nachdem er sie als ungefährlich eingeschätzt hatte, öffnete er vollends die Tür und forderte sie mit einer ausholenden Armbewegung auf einzutreten.
»So kommt schon rein«, sagte er. »Alle miteinander.«
»Wer ist denn da?«, rief eine Frau, während sie die Stiege im Hintergrund herunterkam. In einer Hand hielt sie eine Laterne, mit der anderen hatte sie den Saum ihres Nachthemdes gerafft, um auf den Stufen nicht zu stolpern.
»Vier Frauen, die mitten in einer verregneten Nacht unterwegs sind«, rief ihr der Mann zu, wobei sein mürrischer Tonfall deutlich machte, was er von einem solchen Verhalten hielt.
Kahlan erstarrte mitten im Schritt. Er hatte wahrhaftig von »vier Frauen« gesprochen.
Demnach hatte er sie alle vier wahrgenommen und sich lange genug daran erinnert, dies auch zu sagen. So weit sie zurückdenken konnte, war so etwas noch nie vorgekommen. Niemand außer ihren Herrinnen, den vier Schwestern - den dreien in ihrer Begleitung sowie der einen, mit der sie hier verabredet waren -, erinnerte sich jemals daran, sie gesehen zu haben.