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An der Tür wandte sich Nicci an Cara. »Ich muss allein sein.«

»Aber ich ...«

»Es hat etwas mit Magie zu tun.«

»Oh«, sagte Cara. »Also gut. Ich werde hier draußen im Gang warten, falls Ihr etwas braucht.«

»Danke, Cara, Ihr seid eine gute Freundin.«

»Ich hatte niemals richtige Freunde - Freunde, die diesen Namen verdient hätten -, bis Lord Rahl kam.«

Nicci lächelte zaghaft. »Ich hatte gar nichts, wofür es sich zu leben lohnte, bis Richard kam.«

Sie schloss die beiden Flügel der Tür. Hinter ihr zuckten Blitze vor den zwei Stock hohen Fenstern. Nicci wusste nicht, ob sie je in diesem Raum gewesen war, wenn kein Sturm toste.

Jetzt toste in der ganzen Welt ein Sturm.

Ein Blitz erhellte den Raum mit seinem grellen Licht. Einen Gegenstand gab es hier jedoch, der nicht einmal von solch intensivem Schein berührt wurde. Er wartete wie der Tod persönlich. Nicci legte Das Buch des Lebens offen auf den Tisch vor das schwarze Kästchen der Ordnung, das in der Mitte stand. Jedes Mal, wenn ein Blitz zuckte, schien das Kästchen das Licht zu verschlucken. Es anzustarren war, als würde man in die Ewigkeit schauen.

Sie wirkte den ersten Bann und beschwor eine Dunkelheit, die der unglaublichen Schwärze des grausigen Kästchens vor ihr angemessen war. Sie erinnerte sich an den Palast des Volkes, daran, dass die Person den Ausschlag gab. Mit einem Donnerschlag der Macht, die den Raum erfüllte, war die Tür versperrt. Niemand konnte jetzt eintreten. Das Eindämmungsfeld spielte keine Rolle mehr. Sie hatte etwas Mächtigeres beschworen. Im Raum war es still und stockfinster. Nicci sah allein mithilfe der Kräfte, die sie gerufen hatte.

Sie sprach die Worte, die auf der nächsten Seite geschrieben waren, wirkte den nächsten Bann, der den Pfad für die maßgeblichen Formeln öffnete. Mit einer Scheibe subtraktiver Magie entfernte sie ein dünnes Stück Fleisch von ihrer Fingerspitze und zeichnete mit dem Blut, das hervorquoll, die benötigten Diagramme vor das Kästchen der Ordnung. Mit weiterem Blut aus der offenen Wunde zeichnete sie ein Eindämmungsfeld um das Kästchen. Es ähnelte dem des Raums, war nur wesentlich stärker. Ohne eingedämmt zu werden, konnte die Kraft, die aus dem Kästchen der Ordnung freigesetzt wurde, unabsichtlich den Schleier einreißen, aber das hätte nur den Tod der Person zur Folge, die das versuchte, wozu Nicci sich gerade anschickte.

Sie brauchte fast nicht in das Buch zu sehen, das sie, so kam es ihr vor, ihr halbes Leben lang studiert hatte. Nun fuhr sie mit den Gleichungen fort, die sich auf die Jahreszeit bezogen: auf den ersten Tag des Winters.

Nachdem das beendet war, zeichnete sie mit Blut zwei gegensätzliche Symbole und den Verbindungspunkt des Apex aus den dafür vorgesehenen Tafeln.

Auf eine Formel folgte die nächste, und während der nächsten Stunde brachten die Berechnungen die entstehende Schicht der Magie hervor, die in den nächsten Schritt eingebunden war. Jeder Knoten im Buch erforderte exakt die angemessene Ebene der Magie. An jedem Punkt ließ Nicci sie ohne Vorbehalt strömen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht.

Im Laufe der Nacht bauten sich die Linien des Banns rings um das Kästchen auf - ganz ähnlich dem Prüfnetz des Feuerkettenbanns, dessen Linien grün leuchteten. Andere waren reinweiß, wieder andere waren aus subtraktiven Elementen entworfen, und schwärzer als schwarz bildeten sie leere Stellen in der Welt dort, wohin die Linien gehörten, wie Schlitze, die einen Einblick in die Unterwelt gewähren.

Als Nicci die letzte Zauberformel beendet hatte, hörte sie das Flüstern der Ordnung selbst, die Bestätigung dafür, dass sie alles richtig gemacht hatte. Dennoch war es weniger eine Stimme als vielmehr eine Macht, die den Gedanken in ihrem Kopf formte.

Die Macht ist offen, flüsterte es in der Dunkelheit. Die Worte fühlten sich an wie das Knacken von Eis.

»Ich fordere diese Zeit, diesen Ort, diese Welt auf, sich mit dem Spiel der Kästchen der Ordnung zu drehen.«

Nenne den Spieler.

Nicci legte die Hand auf das Kästchen, das schwarz wie der Tod war.

»Der Spieler heißt Richard Rahl«, sagte sie. »Achte seinen Willen. Erfülle seine Bitten, so er sich würdig erweist, töte ihn, wenn nicht, vernichte uns alle, wenn er uns enttäuscht.«

Es ist vollbracht. Von diesem Augenblick an ist die Macht der Ordnung für Richard Rahl im Spiel.

In der Prophezeiung hieß es: »Wenn der fuer grissa ost drauka in dieser letzten Schlacht nicht die Führung übernimmt, dann wird die Welt, bereits jetzt am Abgrund ewiger Finsternis, unter ebendiesen fürchterlichen Schatten fallen.«

Nicci war zu der Erkenntnis gelangt, dass Richard, wenn er siegen sollte, derjenige war, der sie in diese letzte Schlacht führte. Der einzige Weg dazu war, die Kästchen im Spiel zu haben. Auf diese Weise würde er die Prophezeiung wahrlich erfüllen: fuer grissa ost drauka -der Bringer des Todes.

In der Prophezeiung hieß es, sie müssten Richard folgen, doch es war mehr als eine Prophezeiung. Die Prophezeiung drückte nur formal aus, was Nicci wusste, dass Richard nämlich die Werte des höheren Lebens verkörperte.

Sie folgten eigentlich nicht der Prophezeiung; die Prophezeiung folgte Richard.

Das war die höchste Gefolgschaft für Richard, ihm bei dem zu folgen, was er mit den Kästchen der Ordnung tat, was er mit Leben und Tod machte. Es war die höchste Prüfung dessen, was er war, wer er sein würde, zu was er werden würde.

Richard selbst hatte die Bedingungen für einen Kampf genannt, als er zu den D’Haranischen Soldaten sprach und ihnen erklärte, wie der Krieg von nun an geführt werden musste: um alles oder nichts. Dies durfte sich davon nicht unterscheiden.

Jetzt ging es wahrlich um alles oder nichts.

Ulicia und ihre Schwestern der Finsternis hatten diesen Zugang zur Macht der Ordnung gleichermaßen geöffnet. Wenn Nicci recht hatte, was Richard betraf - und in dem Punkt war sie sich ganz sicher -, dann waren nun zwei Mächte in den Kampf verwickelt, der alles entscheiden würde.

Wenn der fuer grissa ost drauka in dieser letzten Schlacht nicht die Führung übernimmt, dann wird die Welt, bereits jetzt am Abgrund ewiger Finsternis, unter ebendiesen fürchterlichen Schatten fallen.

Sie mussten Richard in diesem Kampf vertrauen. Aus diesem Grund hatte Nicci die Kästchen der Ordnung in Richards Namen ins Spiel gebracht. Die Schwestern der Finsternis geboten nicht mehr als Einzige über die Macht der Ordnung. Ohne das, was sie gerade getan hatte, konnte er nicht siegen, geschweige denn überleben. Nicci driftete in eine andere Welt hinüber. Als sie schließlich die Augen aufschlug, hatte der Sturm aufgehört.

Die ersten Sonnenstrahlen schienen in die Fenster.

Der erste Tag des Winters dämmerte.

Richard hatte ein Jahr Zeit, um das richtige Kästchen zu öffnen. Das Leben aller lag nun in seinen Händen.

Nicci vertraute Richard ihr Leben an. Sie hatte ihm gerade das Leben aller anvertraut.

Wenn sie Richard nicht vertrauen konnte, dann war das Leben nicht lebenswert.