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Richard dachte einen Moment lang nach. »Nun«, meinte er schließlich, »den Angriff der Bestie hat es jedenfalls nicht verhindert.«

Nicci starrte zu den Bücherregalen hinüber, die in die Wand gegenüber dem Bett eingelassen waren. »Das wäre auch schlecht möglich gewesen«, sagte sie. »Denn in diesem Fall kam die Bestie nicht durch die Fenster oder Wände, sondern durch den Schleier; sie hat sich, aus der Unterwelt kommend, direkt im Raum manifestiert; auf diese Weise musste sie weder Schilde, Eindämmungsfelder noch magiebeständiges Glas überwinden.«

Caras Stuhl landete mit einem dumpfen Geräusch auf dem Fußboden. »Außerdem hat sie Euch fast den Arm abgerissen.« Sie drohte Richard mit erhobenem Finger. »Weil Ihr Gebrauch von Eurer Gabe gemacht habt. Ihr habt sie selbst angelockt. Wäre Zedd nicht zur Stelle gewesen, um Euch zu heilen, wärt Ihr höchstwahrscheinlich verblutet.«

»Oh, Cara, jedes Mal, wenn Ihr die Geschichte erzählt, habe ich schlimmer geblutet. Wenn ich sie mir das nächste Mal anhören muss, wurde ich zweifellos in Stücke gerissen und mit magischem Faden wieder zusammengeflickt.«

Sie verschränkte die Arme und ließ den Stuhl wieder nach hinten gegen die Wand kippen. »Das hätte leicht passieren können.«

»Ich war nicht annähernd so schwer verletzt, wie Ihr denkt. Es geht mir ausgezeichnet.« Richard beugte sich ein Stück vor und drückte Niccis Hand. »Wenigstens habt Ihr sie aufgehalten.«

Sie begegnete seinem Blick.

»Fürs Erste«, sagte sie. »Mehr nicht.«

»Fürs Erste ist fürs Erste genug.« Ein Lächeln stiller Zufriedenheit ging über seine Lippen. »Das habt Ihr sehr gut gemacht, Nicci.«

Es war seinen grauen Augen anzusehen, dass er es zutiefst aufrichtig meinte. Irgendwie schien die Welt stets ein besserer Ort, wenn Richard zufrieden war, dass jemand etwas Schwieriges vollbracht hatte. Wenn andere etwas leisteten, schien er dies stets zu schätzen, und ihr Triumph war für ihn Anlass zu großer Freude. Ihr wurde immer ganz leicht ums Herz, wenn er sich über etwas freute, was sie getan hatte.

Ihr Blick schweifte von seinem Gesicht ab, und sie bemerkte die kleine Statuette, die auf dem Tisch unmittelbar hinter ihm stand. Im Schein der Lampe wurde das fließende Haar und das Gewand noch betont, die Richard einst mit so viel Bedacht der seiner Vorstellung von Kahlans Seele entsprechenden Figur mitgegeben hatte. Erhaben stand die aus Walnussholz geschnitzte Statuette da, wie in stummer Auflehnung gegen eine unsichtbare Macht, die danach trachtete, ebendiese Seele zu unterjochen.

»Ich liege ja in deinem Zimmer«, stellte Nicci, halb zu sich selbst, fest.

Ein fragender Ausdruck huschte über seine Stirn. »Woran habt Ihr das erkannt?«

Nicci löste den Blick von der Statuette und schaute durch das kleine Rundbogenfester in der mächtigen steinernen Mauer links von ihr. Am unteren Rand des nachtschwarzen, Sternenübersäten Himmels war jetzt, da die Morgendämmerung hereinbrach, ein erster zarter Hauch von Farbe zu erkennen.

»Gut geraten«, log sie.

»Es war das naheste«, erklärte Richard. »Zedd und Nathan wollten Euch unbedingt in ein bequemes Bett verfrachten, damit sie abschätzen konnten, was sie tun mussten, um Euch zu helfen.«

Das anhaltende eiskalte Gefühl, das noch immer durch ihre Adern strömte, verriet ihr, dass sie ein wenig mehr getan hatten, als bloß eine Einschätzung vorzunehmen.

»Rikka und ich haben Euch ausgezogen und in ein Nachthemd gesteckt, das Zedd irgendwo aufgetrieben hat«, antwortete Cara auf die unausgesprochene Frage, die sie offenbar in Niccis Augen erblickt hatte.

»Danke.« Nicci hob die Hand zu einer vagen Geste. »Wie lange war ich bewusstlos? Was ist überhaupt passiert?«

»Nun«, sagte Richard, »nachdem Ihr vorgestern Abend wieder in diese Bannform zurückgesprungen wart und den Blitz auf den Plan gerufen hattet, der der Bestie Einhalt gebieten sollte, hätte Euch das Prüfnetz um ein Haar endgültig in seinen Bann gezogen. Nachdem ich Euch dann dort herausgeholt hatte, fand Zedd, dass Ihr vor allem Ruhe brauchtet, also hat er irgendetwas mit Euch angestellt, damit Ihr schlafen konntet, da Ihr Euch wegen der erlittenen Schmerzen in einem leichten Delirium befandet. Er meinte, er hätte Euch geholfen wegzudämmern, damit Ihr nicht darunter leiden musstet. Anschließend erklärte er uns, Ihr würdet den ganzen gestrigen Tag und die darauf folgende Nacht durchschlafen und dann heute gegen Morgen aufwachen. Schätze, damit lag er richtig.«

Cara erhob sich, stellte sich hinter Richard und sah Nicci an. »Keiner hat damit gerechnet, dass Lord Rahl es schaffen würde, Euch ein zweites Mal dort rauszuholen. Alle waren der Meinung, Eure Seele sei bereits zu weit in die Unterwelt hinab gestiegen, um Euch wieder zurückzuholen - aber er hat es geschafft. Er hat Euch zurückgeholt.«

Nicci blickte von Caras selbstgefälligem Lächeln in Richards graue Augen. Nichts in ihnen spiegelte wider, wie schwer die Aufgabe gewesen sein musste. Sie hatte Mühe, sich vorzustellen, wie er das geschafft haben mochte.

»Das hast du gut gemacht, Richard«, sagte sie und brachte ihn damit zum Lächeln.

Ein sachtes Klopfen an der Tür bewog ihn und Cara, sich umzudrehen. Leise schob Zedd die Tür auf und steckte den Kopf herein. Als er sah, dass Nicci wach war, legte er seine Vorsicht ab und trat leichtfüßig ein.

»Aha«, machte er, »wiederauferstanden von den Toten, wie es scheint.«

Ein Lächeln huschte über Niccis Gesicht. »Ein scheußlicher Abstecher. Ich kann von einem Besuch an diesem Ort nur abraten. Tut mir leid wegen der Fenster, aber das lag entweder ...«

»Besser die Fenster als das, was Richard hätte zustoßen können.«

Es aus seinem Mund zu hören heiterte Nicci sichtlich auf. »Das war auch mein Gedanke.«

»Irgendwann werdet Ihr mir erklären müssen, was genau Ihr getan und vor allem, wie Ihr es angestellt habt. Mir war gar nicht bewusst, dass es eine Form magischer Kraft gibt, die imstande ist, diese Fenster zu durchdringen.«

»Die gibt es auch nicht. Ich habe lediglich ... einen Zusammenfluss natürlicher Kräfte durch die Fenster hereingebeten.«

Zedd betrachtete sie mit einem eigentümlichen Blick. »Was die Fenster angeht«, sagte er schließlich in milderem Ton, »vielleicht könnten wir uns bei der Reparatur Euer Talent im Umgang mit beiden Seiten der Gabe zunutze machen?«

»Ich würde mich freuen, wenn ich helfen kann.«

Cara trat einen Schritt vor. »Sobald Tom und Friedrich von ihrem Erkundungsgang durch das Umland zurück sind, werden sie uns bei den Holzarbeiten an den Fenstern sicher helfen können. Vor allem Friedrich kennt sich gut aus mit dem Bearbeiten von Holz.«

Zedd nickte und quittierte den Vorschlag mit einem kurzen Lächeln, dann wandte er sich herum zu seinem Enkelsohn. »Wo hast du gesteckt? Ich habe dich heute Morgen gesucht und konnte dich nirgends finden. Ich suche schon den ganzen Tag nach dir.«

Richards Blick wanderte kurz hinüber zu der Statuette. »Ich habe gestern Abend lange gelesen und dann, als es hell wurde, einen Spaziergang gemacht. Ich wollte darüber nachdenken, wie ich weiter vorgehen soll.«

Die Antwort entlockte Zedd einen Seufzer. »Nun, wie ich dir bereits sagte, nachdem du die erste Bannform, die Nicci fixierte, aufgehoben hattest: Es gibt ein paar Dinge, die du gesagt hast, über die wir uns unterhalten müssen.«

Es war nicht zu übersehen, dass dies keine Frage beiläufiger Neugier war, sondern eine unmissverständliche Aufforderung. Als er Nicci Anstalten machen sah, sich aufzurichten, stand Richard auf und half, ihr Kissen in den Rücken zu stopfen. Mittlerweile waren die Schmerzen kaum mehr als eine verblassende Erinnerung. Offensichtlich hatte Zedd weit mehr getan, als ihr nur zu ein wenig Schlaf zu verhelfen. Allmählich klärten sich ihre Gedanken, und sie spürte, dass sie hungrig war.