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„Du wirst mich als Vater ansprechen.“

„Wie könnte ich dies? Ich bin der Sohn des Samnibolon.“

„Gewiß, das bist du. Dennoch wirst du mich Vater nennen. Hresh-der-Antwortfinder, so nennst du dich doch gern selbst, nicht wahr? Aber, mein Kleiner, in deinem Kopf sind nur wenige Antworten, aber viele, viele Fragen.“

„Also, als ich jung war, da haben sie mich immer Hresh-den-Fragesack genannt.“

„Und das bist du noch immer. Komm her! Tritt näher! Noch näher!“

Hresh kauerte sich dem alten Mann zu Füßen nieder. Noum om Beng blickte ihn stumm lange prüfend an. Dann — urplötzlich und unerwartet — zuckte seine klauenhafte Hand auf und schlug Hresh auf die Wange, genau wie Harruel es am Tage der Spaltung getan hatte. Der Streich war vollkommen überraschend, und es lag eine überraschende Kraft in ihm. Hreshs Kopf fuhr heftig zurück. Tränen traten ihm in die Augen, und gleich nach den Tränen schoß Zorn in ihm auf, und er hatte alle Mühe, sich zu beherrschen und den Schlag nicht spontan zurückzugeben. Er ballte die Fäuste, biß die Zähne zusammen, preßte die Knie gegeneinander, bis die krampfartige Wut verflogen war.

Ich darf ihn niemals schlagen, befahl sich Hresh, wie gemein er mich auch herausfordert. Wenn ich ihm so einen Hieb versetzte, wie er mir, würde ich ihn totschlagen. Sein Genick würde zerbrechen wie ein verdorrter Zweig.

Und dann dachte er: Nein, das würde nicht geschehen. Denn ich wäre tot, ehe meine Hand sein Gesicht erreichen kann.

„Warum hast du mich geschlagen?“ fragte Hresh verwirrt.

Statt einer Antwort schlug Noum om Beng ihn erneut, diesmal auf die andere Gesichtshälfte. Der Schlag war ebenso hart wie der erste, aber er kam weniger überraschend, und Hresh konnte die Wucht mildern,indem er mit dem Schlag mitging.

Hresh starrte den alten Mann an.

„Hab ich irgendwie dein Mißfallen erregt?“ fragte er.

„Ich habe dir gerade eine dritte Ohrfeige gegeben“, sagte Noum om Beng, obschon sich seine Hand überhaupt nicht bewegt hatte.

Diese ruhige beiläufig geäußerte Behauptung verwirrte Hresh einen Augenblick lang. Aber wirklich nur ganz kurz, denn dann begriff er, worin seine Verfehlung bestanden haben mußte.

„Es tut mir leid, daß ich dich gekränkt habe. Vater“, sagte er leise.

„Das ist besser. Schon besser.“

„Von nun an will ich den gebührlichen Respekt zeigen“, sagte Hresh. „Verzeih mir, Vater.“

„Ich werde dich noch viele Male schlagen“, sagte Noum om Beng.

Und er wich nicht von seinem Wort, was Hresh auch in jedem anderen Bereich feststellen sollte. Es verging kaum eine Begegnung, ohne daß Noum om Beng die Hand zum Schlag wider Hresh erhob, manchmal nur leicht, beinahe spöttisch-streichelnd, manchmal mit verblüffender Kraft, und stets dann, wenn Hresh am wenigsten damit rechnete. Es war ein rigoroses, ein sinnverwirrendes Training zur Disziplin, und oft hatte Hresh eine geschwollene Lippe oder ein Auge tobte, oder sein Kiefer schmerzte ihn noch tagelang später. Aber er schlug niemals zurück, und nach einiger Zeit erkannte er die Prügel als einen wesentlichen Bestandteil der Lehrmethode des Noum om Beng, als eine Art Akzentsetzung und Unterstreichung, die man einfach als ganz natürlich und ohne Widerrede hinzunehmen hatte. Zwar begriff Hresh nur selten sofort, was er gesagt hatte, um einen Strafhieb zu verdienen, aber gewöhnlich ging ihm dann später ein Licht auf, vielleicht eine halbe Stunde später, manchmal aber auch erst nach mehreren Tagen. Und es handelte sich immer um irgendeine Vernageltheit, eine Dummheit seinerseits, die ihm auf diese drastische Weise gewaltsam zur Kenntnis gebracht wurde, eine Denkschlamperei, oder einen vorschnellen, kurzsichtigen Denkschluß, oder einen Verstoß gegen das intellektuelle Zeremoniell.

Im Laufe der Zeit bedrückten Hresh weniger die Prügel als solche, sondern seine Erkenntnis der eigenen Unzulänglichkeit, durch die sie ausgelöst wurden. Was Noum om Beng ihm nämlich im Verlauf der folgenden Monde demonstrierte, war dies: Daß er, Hresh, zwar gescheit sei, daß jedoch seine Geisteskräfte, auf die er bislang stets dermaßen stolz gewesen war, ihre Grenzen hatten. Diese Erkenntnis war schmerzlich. Und so hockte er denn steif und verkrampft seine Lernstunden bei dem Alten Mann der Behelmten ab und rechnete stets düster mit dem nächsten, platschend auf ihn hereinbrechenden Beweis, daß er es schon wieder einmal nicht geschafft habe, ein ihm von Noum om Beng gestecktes Ziel zu erreichen.

„Ja, aber worüber diskutiert ihr denn zusammen?“ fragte Taniane ihn einmal, denn inzwischen hatten sie wieder miteinander zu sprechen begonnen, wenn auch zurückhaltend und natürlich, ohne jemals auf die damalige, unter einem so ungünstigen Stern erfolgte plumpe Aufforderung anzuspielen.

„Meistens redet er. Ja, eigentlich redet immer nur er. Und. und überwiegend ist es Philosophie.“

„Das Wort kenne ich nicht.“

„Nachdenken über das Denken. Ideen von Vorstellungen. Sehr hoch und sehr wolkig. Ich kapiere nicht ein Zehntel von dem, was er mir vorsagt.“ Noum om Beng, erklärte ihr Hresh, bestimme sämtliche Themen und lasse sich niemals in eine nicht von ihm vorbestimmte Richtung hin ablenken. Hresh war begierig, ihn über die Herkunft und die Geschichte des Volkes der Behelmten auszufragen, über den Zusammenbruch der Großen Welt, über die Befindlichkeiten anderwärts in der derzeitigen Welt, ach, über vieles andere mehr. Und hin und wieder bedachte ihn Noum om Beng mit verführerisch-quälenden Appetithäppchen und Köderbissen, aber kaum jemals mehr. „Er hat mir zu verstehen gegeben, daß das Helmvolk schon viel länger hier draußen in der Welt lebt als wir“, berichtete Hresh Taniane. „Und daß es da draußen noch viele andere Stämme gibt, und daß ein großer Teil der Welt von den Hjjk-Leuten beherrscht wird. Aber alle diese Informationen erhalte ich von ihm auf irgendwie nebelhaft verschwommene Weise, und ich muß auf eine Antwort hinter seinen Antworten lauschen.“ Tatsächlich blieben die meisten von Hreshs Fragen glatt ohne Antwort; für einige bezog er Schläge, allem Anschein nach wegen ihrer Zudringlichkeit, auch wenn Hresh selbst nie irgendein Muster, eine Regel ausfindig zu machen vermochte, warum manche seiner Fragen an Noum om Beng diesen zum Prügeln veranlaßten, andere aber nicht. Die Frage nach dem Wesen der Götter konnte ihm an einem Tag einen Hieb eintragen, und ebenso leicht gelang dies mit der banalen und ganz unschuldigen Frage nach den Lebensgewohnheiten der Zinnobären an einem anderen Tag. Womöglich war es ja so, daß Noum om Beng schlechthin keine Fragen über irgend etwas gestellt zu bekommen wünschte; oder aber, es lag ihm daran, Hresh einfach in Unsicherheit schweben zu lassen. Und dies gelang ihm nun wahrlich gut.

„Er schlägt dich?“ fragte Taniane verwundert.

„Das gehört zum Unterrichtsprogramm. Das hat überhaupt nichts Persönliches.“

„Aber — es ist doch dermaßen entwürdigend. Wenn da einer jemand so richtig mit der Hand schlägt.“

„Es ist weiter nichts als die Unterstreichung eines philosophischen Gedanken“, sagte Hresh.

„Ach, du und deine Philosophie!“ Aber Tanianes Stimme klang ganz lieb, und ihr Lächeln war warm und weich. Dann fügte sie hinzu: „Du, das verändert dich aber irgendwie, Hresh. Diese ganzen Gespräche mit dem Alten Mann.“

„Verändert mich?“

„Na ja, du bleibst immer so für dich, jetzt. Du redest ja kaum noch mit mir — oder mit sonstwem im Volk. Wenn du nicht bei diesem Noum om Beng bist, dann hockst du allein auf deinem Zimmer oder wanderst — wie ich mir zu vermuten gestatte — irgendwo durch die versteckten Hintergassen von Vengiboneeza. Mit uns Suchern ziehst du schon lange nicht mehr los.“