Hresh saß still da und kämpfte gegen das Entsetzliche an, das er soeben vernommen hatte. Er zitterte unter der Last einer solch unvorstellbaren Vergangenheit, die sich vor ihm erhob wie ein Turm über den nächsten gestapelt bis hinauf zu den Sternen.
Nach sehr langer Zeit sagte er: „Aber wenn dies so ist, Vater, dann ist es doch ganz unwichtig, was wir tun, nicht wahr? Wir könnten wachsen und gedeihen und etwas noch Größeres schaffen als die Große Welt; und wenn das Rad sich dann um sich selbst gedreht hat, wird alles, was wir geschaffen haben, ebenso vernichtet werden wie die Große Welt. Auch sollten wir dann ja nicht glauben müssen, daß die Vernichtung, wenn sie kommt, als eine Strafe über uns kommt. nicht um eine sündhafte, böse Zivilisation zu zerstören. Denn gleichgültig, ob wir gut sind oder böse, ob wir auf dem von den Göttern vorgeschriebenen Pfad wandeln, oder ob wir sie verhöhnen. die Mördersterne kommen doch, so oder so. Und sie kommen immer wieder und brechen über uns herein, wenn ihre ihnen bestimmte Zeit naht, und sie stürzen herab über die Bösen und die Tugendsamen gleichermaßen, und ungerührt über die Faulen ebenso wie über die Fleißigen, über die Freundlichen wie über die Grausamen, so daß alles eins ist. Man könnte also auch ebenso gut gar nichts aufbauen, denn was immer wir bauen, es wird vernichtet werden. Und das ist die Welt, welche die Götter für uns geplant haben? Das erscheint mir uns gegenüber als abscheulich brutal; aber, nun ja, die Götter entziehen sich unserem Verständnis. Wolltest du mir dies sagen, Vater?“
„Das ist es, was ich als die Wahrheit erkannt habe.“
„Nein“, sagte Hresh. „Solch eine Glaubensüberzeugung ist zu grausam. Denn sie unterstellt, daß es im Universum eine Fehlerquelle gibt, Schwachstellen, daß alles im Kern fundamental falsch ist.“
Noum om Beng saß still da und nickte vor sich hin. Über das verhutzelte Gesicht huschte etwas, was fast wie ein Lächeln aussah.
„Aber wir sterben doch, oder?“ fragte er.
„Am Ende unseres Lebens, ja.“
„Und — ist dies eine Bestrafung?“
„Nein, weil wir an unser Ende gelangt sind. Die Bösen leben oft ein langes Leben, und die Guten sterben jung: Also kann der Tod nicht eine Strafe sein, ausgenommen natürlich, wir werden alle auf gleiche Weise gestraft.“
„Sehr exakt, mein Junge. Es hätte keinen Sinn; also, wie sollten wir je hoffen, es begreifen zu können? Die Götter haben beschlossen, daß es für uns den Tod geben soll, und so ist jeder von uns ein Individuum, allein und sterblich. Aber die Götter haben auch das Ende der Großen Welt beschlossen; sie haben den Tod beschlossen für die Welt der Hjjk, die jetzt herrschen, und für die Welt der Beng, die danach kommen wird. Wenn du dies als einen Konstruktionsfehler des Universums bezeichnest, so irrst du. Denn — das Universum ist so. Das Universum ist vollkommen — nur wir sind mit einem Makel behaftet. Die Götter wissen, was sie anrichten und tun. Wir werden es niemals erfahren. Aber dies heißt nicht, daß wir einfach aufhören dürften, uns zu bemühen.“
Hresh schüttelte den Kopf. „Wenn alles keinen Sinn hat, wenn der Tod einen jeden unter uns einholt, wenn die Todessterne über unsere Zivilisationen niederstürzen, ja aber dann könnten wir doch ebenso gut gleich leben wie die wilden Tiere. Trotzdem tun wir es nicht. Wir plagen uns weiter. Wir planen, wir träumen, wir bauen.“ Und mitgerissen von der eigenen Leidenschaft, rief er: „Und ich will wissen, warum! Ich werde mein Leben dransetzen, um herauszufinden — warum!“
Er merkte, daß er äußerst laut geredet hatte. Außerdem fiel ihm auch noch ein, daß er schon eine ganze Weile lang den Noum om Beng nicht mehr mit dem Ehrentitel ‚Vater‘ angeredet hatte, auf den der Alte Helmgreis solch großen Wert legte. Und trotzdem hatte er deswegen noch keine Prügel bezogen. Wahrhaftig, dies war ein außergewöhnlicher Tag.
Noum om Beng erhob sich, was dauerte, denn er entfaltete und entfaltete und entfaltete sich zu seiner ganzen beeindruckenden Länge und füllte den ganzen Raum aus auf seine knitterig-zerbrechliche Weise wie ein Wasserläufer aus Papier, der eine andere Gestalt angenommen hat. Von sehr hoch oben blickte er zu Hresh herab, und man konnte unmöglich die Gedanken abschätzen, die über sein Gesicht huschten, auch wenn Hresh recht sicher war, es müßten höchst gewaltige Gedanken sein.
Viel Zeit verstrich, ehe Noum om Beng sprach. „Ja. Weihe dein Leben der Suche nach dem Warum. Und dann komm zu mir und sage mir deine Antwort. Wenn ich dann noch leben sollte, wird es mich höchlich interessieren, sie zu vernehmen.“ Dann lachte Noum om Beng. „Als ich in deinen Jahren war, bedrückte mich die gleiche Frage, und auch ich suchte nach einer Antwort. Wie du siehst, habe ich versagt und sie nicht gefunden. Aber vielleicht wird es dir anders ergehen. Vielleicht, mein Sohn. Vielleicht.“
13. Kapitel
Tvinnr
Der einstige Einschlagkrater des Todessterns — und mittlerweile waren sie sicher, daß es sich bei dem kreisrunden Becken um so etwas handeln müsse — war nunmehr die Hauptstadt von Harruels Königreich geworden. Die Territorialausdehnung von Stadt und Reich waren identisch, und der Kraterrand bildete die Grenze für beide. Harruel hatte seinem Reich den Namen ‚Yissou‘ gegeben und die Stadt ‚Yissoucity‘ getauft.
In Salamans Meinung war beides eine absurde Benennung. „Man sollte Königreiche nicht nach Göttern nennen“, sagte er in der gemeinsamen Hütte zu Weiawala. „Es wäre viel vernünftiger gewesen, wenn er die Stadt nach sich selbst benannt hätte, und das Königreich ebenso, was er wahrscheinlich sowieso lieber getan hätte, wenn er den Mut dazu gehabt hätte. Das wäre wenigstens ehrlich.“
„Aber indem er dem Reich den Namen Yissous gibt, stellt er es unter Yissous besonderen Schutz“, warf Weiawala sanft widersprechend ein.
„Als wäre Yissou nicht der Beschützer aller, die ihn lieben, ob mit oder ohne solche kleinen Aufmerksamkeiten von uns.“ Salaman lächelte. „Aber Harruel ist in jüngster Zeit sehr fromm geworden. Wenn man mit ihm redet, heißt es immer nur Yissou-dies und Yissou-das, und Emakkis-schenke-uns-Rat-und-Führung, und Friit-soll-schützen! Das bringt er nach jedem zweiten Wort hervor! Aber diese ganze Frömmigkeit macht sich nicht besonders gut von der Zunge einer mörderischen Bestie wie Harruel, muß ich schon sagen.“
„Salaman!“
„Das sag ich zu dir. Nur zu dir.“ Und er vollzog spöttische Unterwerfungsgesten in die Luft, als hätte Harruel soeben die Hütte betreten. „Einen schönen guten Tag, Euer Majestät! Möge Yissous Balsam auf Euch ruhen, Majestät! Was für ein prächtiger Tag ist doch heute in Yissoucity, Euer Majestät!“
„Salaman!“
Lachend umfing er sie von hinten und legte ihr die Hände auf die Brüste und küßte sie auf den weichen pelzigen Nacken.
„Yissoucity, ha! Ein dummer Name — ausgedacht von einem König, der ein Tor ist!“
Und es war nicht weit her mit dem Königreich, und auch nicht mit der City. Im grünen Zentrum des Kraters, dieser dichtbewaldeten Stelle, an der Salamans Argumentation zufolge vor langer Zeit der Todesstern niedergestürzt war, standen nun sieben primitive schiefe Holzhütten, die von Rebsträngen zusammengehalten wurden. Dies war Yissoucity. Jedes der verbandelten fünf Paare hatte einen wackeligen Schuppen für sich, auch der Einzelgänger Lakkamai hatte einen. Das siebte „Bauwerk“ war keineswegs eleganter als der Rest, aber es war der Königliche Palast und Regierungssitz. Hier thronte Harruel jeden Tag eine oder zwei Stunden in Staatsgeschäften, obgleich es wenig Königliches für ihn zu tun gab. Streitfälle, die einer höchstrichterlichen Schlichtung bedurft hätten, ergaben sich nur selten in einer Sozialgemeinschaft von elf Erwachsenen und einer Handvoll Kindern, und bislang hatten sich auch noch keine Gesandtschaften aus fernen Reichen eingefunden, die man mit formellem Pomp hätte empfangen müssen. Doch da thronte er und spielte König inmitten dieser Ansammlung von Schuppen, die so taten, als wären sie eine Stadt.