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Als später der Bann gebrochen und ihre Seelen wieder getrennt waren, redete er zu ihr in der Bengsprache, und sie verstand ihn und antwortete ihm in eben dieser Sprache.

„So, das war’s“, sagte er. „Nun kannst du also die Sprache ebenfalls.“

Dieser schlaue Hresh! Natürlich beherrschte er die Zunge der Beng schon eine ganze Weile vollkommen. Das war ihr auf einmal klar. Koshmar hatte recht gehabt: Hresh hatte sie alle nur hingehalten, hatte nur vorgegeben, daß er weiteres Studium benötige, damit er der einzige bleibe, der im Besitz des Geheimnisses war. Torlyri hatte schon früher festgestellt, daß er sich gern an solche kleine Geheimnisse klammerte. Aber vielleicht lag es im Wesen der Chronisten, aus ihrem Wissen Rätsel und Geheimnisse zu machen? Damit der Stamm um so stärker von ihnen und ihrem Spezialwissen abhängig ist, dachte sie.

Aber andererseits hatte er sich ja nicht geweigert, sie zu unterrichten. Und jetzt hatte sie erreicht, wozu sie zu ihm gekommen war. Nun hatte sie sich das Rüstzeug verschafft und konnte das tun, wovor sie sich scheußlich fürchtete: Sie konnte zu dem Beng mit der vernarbten Schulter gehen und ihm erklären, wie sehr es sie nach ihm verlangte und — war dies Wirklichkeit? Konnte es sein? — daß sie ihn liebte.

Als die Sache mit Torlyri erledigt war, kehrte Hresh in sein Privatgemach zurück. Dort saß er still eine Weile, fast ohne zu denken, da und gewährte seinem Geist Erholung nach dem Energieabfluß, den er ihm zugemutet hatte. Dann stand er auf und trat ins Freie. Der Tempelplatz war leer. Die spätnachmittägliche Sonne stand an diesem Sommertag noch hoch im Westen, aber sie sah verquollen und kraftlos aus, während sie dem Meer entgegensank.

Ziellos begann er rasch von der Siedlung aus nordwärts zu wandern.

Die Tage waren lang dahin, in denen er sich die Mühe machte, Koshmar noch um ihre Erlaubnis zu bitten, ehe er sich auf Forschungsarbeit in Vengiboneeza begab, oder gar einen Krieger als Schutzbegleitung anforderte. Inzwischen ging er, wann immer es ihm beliebte, wohin immer es ihm beliebte. Ungewöhnlich allerdings war, daß er die Siedlung zu so fortgeschrittener Tagesstunde verließ. Seit geraumer Zeit schon hatte er keine Nacht mehr außerhalb verbracht. Während er jedoch heute immer weiter dahinwanderte und während die Schatten immer länger wuchsen, wurde ihm allmählich bewußt, daß es ja Nacht wurde und daß er dennoch immer noch weiter fortstrebte. Aber dies schien weiter nicht wichtig zu sein. Und er wanderte weiter.

Auch nach all den Jahren, die Hresh inmitten der Ruinen zugebracht hatte, war es klar, daß er kaum das ganze Vengiboneeza erforscht haben konnte. Der Bezirk, in den er jetzt vorstieß (seiner Vermutung nach: Friit Praheurt — oder vielleicht Friit Thaggoran), war ihm fast vollkommen unbekannt. Die Gebäude waren in schlechtem Erhaltungszustand, erdbebengeschädigt, verschoben, eingestürzte Fassaden zuhauf, hochgekantete Fundamente, und er mußte sich vorsichtig einen Weg über Gipsberge, verwuchtete Platten und nicht mehr identifizierbare Bildwerkhaufen suchen. Ab und zu entdeckte er Anzeichen, daß die Beng sich hier zu schaffen gemacht hatten: Fetzchen farbiger Bänder, um einen Pfad zu markieren; den sternzackigen grellgelben Farbklecks, den sie auf die Wände von Gebäuden pinselten, die sie für ‚Heiligtümer‘ hielten; gelegentlich auch duftende Dunghaufen von ihren Zinnobären. Aber von den Beng selber sah er nichts.

Bei Einbruch der Nacht hockte er auf einem hohen pyramidenförmigen Hügel zertrümmerter Alabastersäulen, die vielleicht einst den Portikus zu einem verfallenen Tempel mit weitausladenden Seitenflügeln gebildet haben mochten, der vor ihm lag. Kleine Pelztiere mit langen schmalen Leibern und kurzen geschäftig hastenden Beinchen huschten in seiner Nähe umher und waren völlig unbeeindruckt und furchtlos. Sie wirkten harmlos. Eines rannte ihm bis zum Knie herauf, und dort saß es eine lange Weile, reckte den Kopf und spähte gescheit ringsum, saß aber sonst ganz still. Als Hresh es zu streicheln versuchte, lief es davon.

Die Dunkelheit nahm zu. Doch Hresh machte keine Anstalten zur Heimkehr. Er überlegte, ob er die Nacht hier verbringen könne.

Koshmar wird eine Stinkwut auf mich haben, dachte er.

Torlyri wird sich ganz schwere Sorgen machen. Und vielleicht auch Taniane.

Er zuckte die Achseln. Koshmars Verärgerungen spielten für ihn keine Rolle mehr. Wenn Torlyri über sein Verschwinden bekümmert war, nun, sie würde es rasch vergessen und vergeben, sobald er zurückkehrte. Und was Taniane betraf — Taniane, die würde wahrscheinlich nicht einmal bemerken, wenn er an diesem Abend nicht in die Siedlung zurückkehrte. Dachte er. Und so verdrängte er sämtliche drei Frauen aus seinem Bewußtsein. Und er verdrängte alles andere und jeden anderen aus dem Bewußtsein: das Volk, die Beng, die Große Welt, die Menschlichen und die Todessterne. Er saß nur da und war still und sah zu, wie die Sterne nach und nach auftauchten. Ruhe wuchs in ihm herauf. Es war fast wie bei einer Trance.

Aber als dann die Nacht wirklich hereingebrochen war, erblickte er aus dem Augenwinkel eine flüchtige helle Bewegung und war sofort wieder hellwach. Sein Herz hämmerte, und der Atem ging hastig und stoßweise.

Er stand auf und blickte sich um. Ja, ganz gewiß, da bewegte sich etwas: dort drüben, nahe dem Fundament der Tempelruine. Zuerst glaubte er, es handle sich um ein kleines kugeliges Tier, das hervorgekommen war, um Witterung von einer möglichen Beute aufzunehmen, doch dann sah er im weißen Schein des Sternenlichts den Metallschimmer und die Gelenkbeine. Was war das? Irgendeine Art Mechanischer? Aber die waren doch alle tot! Und das da sah den Mechanischen aus der Großen Welt nicht im geringsten ähnlich, die er in seinen Visionen erblickt hatte, aber auch nicht wie jene toten und verrostenden Mechanischen damals auf dem Berghang während des langen Trecks nach Westen. Die damals waren riesige, furchteinflößende Wesen. Aber dies hier hatte beinahe etwas Komisches an sich. ein kleines wuselndes Ding, vielleicht halb so groß wie er selbst, kugelig, und es bewegte sich mit feierlich ernster Zielstrebigkeit auf merkwürdigen kleinen Metallstäbchen vorwärts.

Dann sah er ein zweites dieser Dinger. Und noch eines. Und dann wühlte ein Halbdutzend sich durch die trümmerübersäte Straße. Ruhig trat Hresh auf sie zu. Sie beachteten ihn gar nicht. Auf ihrer Oberseite waren kleine Globuskeln angebracht und verstrahlten scharfe Lichtstrahlen, die umherzuckten, als suchten sie etwas. Hin und wieder blieb eines der Dinger stehen und stocherte mit Metallarmen, die wie Peitschen aus dem Leib schossen, in den Ruinen herum. Manchmal griff einer zwischen zwei Trümmerblöcke, als wolle er an einer darunter verborgenen Sache etwas richten oder reparieren.

Hresh hielt die Luft an. Schon seit langem hatte er überall in Vengiboneeza Anzeichen dafür entdeckt, daß Reparaturarbeiten irgendwie die ganze Zeit über durchgeführt würden — daß die Stadt, trotz all ihrer Zerstörungen, noch immer und dennoch von unsichtbaren Kräften umsorgt wurde, von irgendwelchen Gespensterkräften, von Kräften der Großen Welt, die hinter den Kulissen auf sture und unbeirrbare Weise wirkten, um den Ort wieder funktionstüchtig zu machen. Eigentlich war seine Vermutung logisch, dachte er. Ein großer Teil der Stadt befand sich in einem betrüblichen Zustand, aber doch keineswegs in einem derart furchtbaren Verfallszustand, wie man dies nach einer dermaßen langen Zeitspanne hätte erwarten müssen, und einige Stadtbezirke schienen fast gar nicht beschädigt zu sein. Also, er, Hresh, konnte sich durchaus vorstellen, daß da irgendwelche Wesen in der Stadt umherwuselten und versuchten, die Stadt wieder zusammenzukleistern. Aber es gab keinen handfesten Beweis dafür, daß es derartige Geschöpfe gebe. Keiner hatte jemals eines gesehen, und natürlich hatten sich auch nur wenige im Volk die Mühe gemacht, darüber auch nur spekulativ nachzudenken, denn falls solche Wesen gegenwärtig wären, würden sie ja höchstwahrscheinlich Geister sein, also Anlaß zu Angst und Schrecken.