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Ohne seinen Helm wirkte er seltsam verletzlich. Sie wünschte sich, er möge ihn wieder aufsetzen. Es war nämlich der Helm gewesen, durch den er zuerst ihre Aufmerksamkeit auf sich gelenkt hatte; dieser schlichte schimmernde goldene Kuppelhelm, mit dem feinen Blattzierat, so ganz anders als die alptraumhaften gespenstischen Monstrositäten, welche die meisten seiner männlichen Stammesgenossen bevorzugten. Ja, sein Helm war es gewesen und dann — etwas in seinen Augen, und die Art, wie er lächelte, und seine Haltung. Aber von dem Mann hinter diesen Augen wußte sie ja noch immer gar nichts.

„Torlyri?“ bat er fast kläglich.

„Also schön. Ein kurzer Besuch.“

„Du willst also! Nakhaba!“ In seinem Entzücken glühten seine unheimlichen roten Augen wie Feuersonnen. „Ein kurzer Besuch, o ja! Komm, komm mit! Ich habe etwas für dich, Torlyri, ein Geschenk, etwas Kostbares, ganz speziell für dich. Also, komm!“

Rasch schritt er am Wachposten vorbei und wandte sich nicht einmal um, ob sie ihm auch folge. Der Posten machte eine Handbewegung, die sie nicht deuten konnte, die ihr aber freundlich vorkam: vielleicht ein heiliges Segenszeichen — oder aber vielleicht auch nur eine harmlose Obszönität, Torlyri schlug das Yissou-Zeichen zu ihm hin, dann lief sie hinter Trei Husathirn drein.

Sein Haus, wie er es genannt hatte, war ein einziger Raum. Er lag im Erdgeschoß eines baufälligen Palastes der Saphiräugigen, einem Gebäude aus weißem Stein, dessen gefügte Blöcke von einem geheimnisvollen gelben Feuer im Innern zu glühen schienen. Trei Husathirns Wohnung war ein karg ausgestatteter Ort: ein Stapel von Fellen diente als Bettlager, ein schlichter Standaltar oder dergleichen in einer Nische, an der Wand ein paar Speere und Wurfstöcke, einige kleine Korbtruhen, die Kleidung oder andere persönliche Gegenstände enthalten mochten.

Torlyri entdeckte nirgends Anzeichen für die Gegenwart einer Frau in dieser Einrichtung. Daraufhin überkam sie eine heftige freudige Erleichterung; und dann war sie beschämt, weil sie solch große Erleichterung verspürte.

Trei Husathirn kniete vor seinem Altar nieder und flüsterte einige Worte, die sie nicht hören konnte, dann legte er mit sichtlicher Ehrerbietung seinen Helm in die Altarnische. Und dann erhob er sich und trat auf sie zu, und sie standen da, von Angesicht zu Angesicht, und keiner sprach ein Wort.

Sie dachte an all die Worte, die sie ihm zu sagen sich vorgenommen hatte, sobald sie endlich einmal allein sein sollten, nun da sie sich endlich angemessen mit ihm unterhalten konnte, und sie erkannte nun mit einem Schlag, wie aberwitzig die kleine Rede war, die sie sich zusammengebastelt hatte. Ihm von Liebe reden? Wie? Mit welchem Recht?

Sie waren einander Fremde. Bei den gelegentlichen Begegnungen, wenn Angehörige des einen Stammes zu Gast bei dem anderen weilten, hatte es ihnen Spaß gemacht, einander zu beäugen, einander zuzublinzeln, zu grinsen und auf Gegenstände zu deuten und zu lachen, weil ihnen etwas auf einmal lustig vorgekommen war, und nur die Götter mochten wissen, warum. Aber nichts war je zwischen ihnen vorgegangen. Nichts. Bis vor wenigen Minuten hatte sie nicht einmal seinen Namen gekannt. Und er hatte weiter nichts von ihr gewußt, als daß sie die Opferfrau ihres Stammes sei, und auch das war vielleicht für ihn ohne irgendeine reale Bedeutung. Und nun standen sie da, von Angesicht zu Angesicht, und waren stumm und hatten alle beide nicht die geringste Vorstellung davon, was sie als nächstes tun oder sprechen sollten.

Zu ihrem Entsetzen hob sich Torlyris Hand zu seiner rechten Schulter und fuhr zart über die lange schmale Narbe, die von dem fleischigen Teil seines Oberarms bis seitlich an den Hals verlief. Dort waren die Pelzhaare ausgegangen, und die glatte rosigsilberne Haut fühlte sich seltsam an — wie feines altes Pergament. Als ihr bewußt wurde, was sie tat, wich sie hastig zurück, als hätte sie ihre Hand in eine Feuerlohe gesteckt.

„Von den Hjjk“, sagte er. „Als ich ein Junge war. Ihre Schnäbel, sehr scharf. Drei von ihnen sind dafür gestorben.“

„Es tut mir ja so leid.“

„Oh, es ist lange her. Ich denke selten daran.“

Das Zittern überkam sie wieder. Torlyri zwang sich zur Beherrschung. Seine Augen ruhten ohne Schwanken auf ihrem Gesicht, auf ihren Augen, und sie zwang sich, seinem Blick standzuhalten. Sie waren beide fast gleich groß, aber schließlich war sie ja ziemlich hochgewachsen für eine Frau. Er strahlte eine große Kraft aus. Eindeutig — er war ein Krieger, und gewiß ein tapferer.

Und nun war er an der Reihe und berührte sie. Sacht fuhr er mit den Fingern über die scharfe weiße Spirale, die von ihrer rechten Schulter über die Brust bis zur Hüfte durch ihr Fell verlief, und dann strich er mit der Hand über den seitenverkehrten Streifen an ihrer linken Flanke.

„Sehr schön“, sagte er. „Dieses Weiß. Nie habe ich etwas Vergleichbares gesehen.“

„Es. es ist nicht weit verbreitet bei uns.“

„Du hast ein Kind, Torlyri? Mit diesem Weiß?“

„Ich habe keine Kinder. Nein.“

„Einen Mann? Du hast einen Mann?“

Sie sah den gespannten Ausdruck in seinem Gesicht.

Am einfachsten wäre es gewesen, wenn sie ihm erzählt hätte, was schließlich die reine Wahrheit war: Nein, ich habe keinen Mann. Doch war dies nur ein Teil der Wahrheit, doch sie wollte dringend, daß er mehr erfahre. „Ich hatte einmal für eine Weile einen Mann“, sagte sie. „Aber er ging fort.“

„Ach.“

„Er ging weit fort. Ich werde ihn nie wiedersehen.“

„Das tut mir sehr leid, Torlyri.“

Sie brachte ein zuckendes Lächeln zustande. „Ach, wirklich?“

„Es tut mir leid, daß du verletzt worden bist, ja. Nicht, daß der Mann fortgezogen ist. Nein, das könnte ich nicht behaupten.“

„Ach“, sagte diesmal sie.

Dann waren sie wieder stumm, doch nun war es ein anderes Schweigen als das vorherige verlegene und steife.

Dann sagte sie: „Es war in meinem Stamm niemals Brauch, daß die Opferfrau sich einem Gefährten verbindet, aber als wir dann aus dem Kokon auszogen, veränderte sich alles und es kamen neue Sitten auf. Und mir wurde bewußt, daß auch ich wie alle anderen mich nach einem Gefährten sehnte, und so nahm ich mir denn einen. Aber ich hatte meinen Mann nur für kurze Zeit, und all dies geschah erst kürzlich. Du verstehst, was ich dir sage, Trei Husathirn? Den Großteil meines Lebens habe ich ohne Mann verbracht, und es hat mich nicht gestört. Und dann hatte ich einen Mann, und ich glaube, ich war glücklich mit ihm; und dann hat er mich verlassen, und das tat sehr weh. Es gibt Zeiten, da glaube ich, es wäre mir besser geschehen, wenn ich nie einen Mann gehabt hätte, als daß ich einen hatte, um ihn dann so zu verlieren.“

„Nein“, sagte er. „Wie kannst du so sprechen? Du hast doch Liebe erfahren, oder? Der Mann geht fort, doch das Wissen um die Liebe, die du erlebt hast, kann nie fortgehen. Oder würdest du lieber die Liebe niemals in deinem Leben erfahren haben?“

„Oh, ich habe Liebe erfahren, eine andere Art Liebe als die zwischen ihm und mir. Die Liebe Koshmars, meiner. “ Sie brach ab, denn sie merkte, daß sie das Bengwort für Tvinnr-Partner nicht kannte. „Meine Freundin“, sagte sie schließlich halbherzig. „Und die Liebe meines ganzen Stammes. Ich weiß, daß ich von den Leuten sehr geliebt werde, und ich liebe sie alle auch.“

„Das ist nicht dieselbe Art von Liebe.“

„Vielleicht. Vielleicht.“ Sie holte tief Luft. „Und du? Hast du eine Frau, Trei Husathirn?“

„Ich hatte einst eine, ja.“

„Ach.“

„Sie ist tot. Die Hjjk.“

„Zur selben Zeit wie dies?“ Sie zeigte auf die Narbe.

„In einem späteren Kampf. Viel später.“

„Hattet ihr viele Kämpfe mit den Hjjk?“

Trei Husathirn zuckte die Achseln. „Sie sind überall. Sie fügten uns Leiden zu, und ich glaube, auch wir machten sie leiden. Obwohl sie scheinbar keinerlei Schmerz zu fühlen scheinen, weder in ihren Körpern noch in der Seele.“ Er schüttelte den Kopf und verzog das Gesicht, als verursache es ihm Brechreiz, wenn er über die Hjjk reden mußte. „Aber ich sagte dir, ich habe ein Geschenk für dich, Torlyri.“