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Hresh wußte auch von Tanianes brennendem Ehrgeiz und daß sie Koshmar für alt, ausgebrannt und am Ende betrachtete und an ihrer Stelle Häuptling zu werden wünschte.

Taniane unternahm nicht den Versuch, ihre Visionen der Stammeszukunft vor ihm zu verbergen. „Wir werden gemeinsam herrschen, du und ich! Ich werde Häuptling sein, du der Alte Mann; und sobald wir Kinder haben, werden wir sie so aufziehen, daß sie nach uns herrschen können. Wie könnte auch jemand ein gemeinsames Kind von uns übertreffen? Ein Kind, das deine Klugheit und Weisheit und Hartnäckigkeit besitzt und dazu meine Kraft und Energie? Ach, Hresh, Hresh, wie wundersam sich doch alles für uns gefügt hat!“

„Noch ist Koshmar Häuptling“, mahnte er sie ernüchternd. „Und wir zwei sind noch nicht einmal verehelicht. Und es gibt eine Menge Arbeit hier in Vengiboneeza.“

Zwar hatte Koshmar seine Behauptung zornig verworfen, daß der Stamm die Stadt verlassen müsse, und das Thema auch nicht wieder aufgegriffen, aber Hresh wußte, daß ihre Auswanderung unvermeidlich war. Früher oder später würde Koshmar einsehen, daß das Volk in Vengiboneeza in trübe Trägheit versank und daß außerdem auf jeden Fall die Beng die Lage für den Stamm untragbar machten. Und dann würde Koshmar ohne Vorwarnung (o ja, er kannte sie!) den Befehl erteilen, daß man alles zusammenpacken und die Stadt aufgeben müsse. Deshalb war es für ihn von allerhöchster Wichtigkeit, die Ruinen nach möglicherweise weiteren nützlichen Dingen zu durchstöbern, solange er noch Zeit dazu hatte.

Aus Furcht vor Begegnungen mit Beng-Patrouillen zog er in jüngster Zeit nur noch nachts auf Streifzüge aus. Wenn die Dunkelheit über die Siedlung hereinbrach und alles still wurde, erhoben sich Taniane und er und zogen Hand in Hand nach Vengiboneeza, wobei sie auf Zehenspitzen schlichen. Sie schliefen jetzt kaum noch, und ihre Augen glänzten vor Übermüdung. Aber ihr aufregendes Vorhaben hielt sie in Trab.

Dreimal versuchte er das unterirdische Versteck zu erreichen, wo er die Reparaturmaschinen an der Arbeit gesehen hatte, aber jedesmal erspähte er dort Beng-Posten in der Nähe und konnte darum nicht näher herangelangen. Stumm verfluchte er sein Mißgeschick. Er malte sich aus, daß die Beng dort herumschnüffelten und die Relikte selbst plünderten, daß sie Sachen von höchster Wichtigkeit in die Finger bekämen, und er verspürte einen scharfen stechenden Schmerz, der ihm wie ein Messer durch die Seele fuhr. Doch es gab noch unendlich viele andere Stellen zu erforschen. Unter Benutzung des Schatzplanes mit den aneinanderstoßenden Kreisen und der roten Lichter als Wegweiser, liefen sie hastig durch Korridore und Kellergewölbe, Galerien, unterirdische Kammern und Gänge und suchten atemlos hastig bis zum Morgengrauen, wo sie dann manchmal erschöpft einer in des anderen Armen für ein zwei Stunden schliefen, ehe sie in die Siedlung heimkehrten.

Sie machten zahlreiche Entdeckungen. Doch kaum etwas davon schien von unmittelbarem oder auch nur potentiellem Wert zu sein.

In einer mächtigen Kammer mit Kalksteinwänden in dem als Mueri Torlyri bekannten Stadtviertel stießen sie auf eine einzeln dastehende Maschine, die zehnmal so hoch war wie einer vom Volk, in perfektem Erhaltungszustand, ein kuppelförmiges schimmerndes Ding aus perlweißem Metall mit eingelegten farbigen Steinbändern und zuckenden Ovalen von grünem und rotem Licht, und mit rundlichen Armen, die aussahen, als könnten sie auf Knopfdruck sich in vielerlei Richtungen bewegen. Sie wirkte beinahe wie ein riesenhaftes Götzenbild, diese Maschine. Doch wozu diente sie?

Eine weitere Kaverne, die auf allen Seiten von Inschriften in einer verwirrenden gewundenen Lineatur bedeckt war, der zu folgen den Augen weh tat, enthielt glänzende Glasbehälter mit dunklen Metallwürfeln, aus denen auf den Klang einer Stimme hin schimmernde Lichtwellen ausgingen. Diese Würfel waren klein, nicht breiter, als wenn Hresh beide Hände nebeneinander legte, doch als er eines der Behältnisse öffnete und einen Kubus herauszuholen versuchte, ließ dieser sich nicht bewegen. Das Metall, aus dem der Würfel bestand, war anscheinend so dicht, daß es zu heben seine Kräfte überstieg.

Eine lange vornehme Galerie, die teilweise durch das Eindringen eines unterirdischen Wasserlaufs zerstört worden war, wies noch immer — wenn auch durch mineralische Sedimente stark verkrustet — eine Art langen Spiegel auf drei scharfdornigen Beinen auf. Taniane trat darauf zu und stieß einen erstaunten bestürzten Schrei aus.

„Was hast du entdeckt?“ rief Hresh ihr zu.

Sie zeigte auf den Spiegel. „Da in der Mitte ist mein Spiegel. Aber auf dieser Seite — schau nur, das bin ich als Kind. Und auf der rechten Seite da, diese krumme vertrocknete Alte — oh, Hresh, soll ich so aussehen, wenn ich einmal alt bin?“

Noch während sie sprach, brach aus dem Spiegel ein prasselnder tumulthafter Lärm hervor, den sie nach kurzem als ihre eigene Stimme erkannte — oder doch zu erkennen glaubte, nur eben verzerrt und verstärkt; aber sie redete in einer ihr unbekannten Zunge, vielleicht jener der Saphiräugigen. Und kurz darauf wurde der Spiegel trüb, und der Lärm hörte auf, und Brandgeruch stieg ihnen in die Nasenlöcher. Also zogen sie achselzuckend weiter.

Später in derselben Nacht stieß Hresh auf eine silberne Kugel, die klein genug war und bequem in eine Hand paßte. Als er einen erhabenen Knopf an der Oberseite berührte, erwachte der Ball zum Leben, stieß ein scharfes durchdringendes Geheul aus und pulsierte gleichmäßig grünes Licht. Kühn näherte er ein Auge der winzigen Öffnung, aus der das Licht strömte, und vor ihm tat sich eine lebendige Szene aus den Tagen der Großen Welt auf.

Er sah ein Halbdutzend Saphiräugige auf einer hellen Plattform aus weißem Stein stehen. Es war in einem Bezirk der Stadt, den er nicht erkannte. Der Himmel wirkte seltsam öde und bleiern, und wütend wallende Spiralwolken wehten darüber hin, als tobte ein entsetzlicher Sturm heran; aber die Saphiräugigen drehten sich ruhig einer dem anderen zu und verneigten sich gemessen in einer Art gelassenem Ritual.

Der Apparat schien in viel kleinerem Maßstab die Abbilder aus der Großen Welt zu replizieren, wie sie ihm jene riesige Maschine mit den Knöpfen und Hebeln auf dem Platz der Sechsunddreißig Türme gezeigt hatte. Hresh verstaute die Kugel, um sie später genauer zu untersuchen, in seinem Gürtel.

In der folgenden Nacht arbeiteten sie auf der genau entgegengesetzten Seite der Stadt in einem von Trümmern erfüllten Gewölbe, wo sich das Terrain langsam zu den Vorbergen hob, und diesmal war es Taniane, die eine außergewöhnliche Entdeckung machte: in einer dumpfigen schimmelbedeckten Zisterne, fünf Etagen unter dem Straßenniveau. Sie stolperte auf höchst wortwörtliche Weise darüber, indem sie an einem Steinblock ausrutschte, der durch ihren Stoß beiseiteschwang und eine Geheimkammer freigab.

„Hresh!“ rief sie. „Hierher! Schnell!“

Im Augenblick, da die Tür aufging, war der verborgene Raum zu schimmerndem goldenem Leuchten erwacht. In seiner Mitte stand _ auf einem Jadepodest ein metallener Tubus mit runder kappenförmiger Öffnung an der Spitze, aus der verwirrende farbige Bilder stoßartig und flackernd entströmten. Taniane wollte darauf zugehen, doch Hresh packte sie grob am Handgelenk und hielt sie zurück.

„Warte“, sagte er. „Dieses Ding ist gefährlich.“

„Du weißt Hso, was es ist?“

„Ich hab so was schon mal gesehen — in meinen Visionen“, beschied er sie. „Ich hab gesehen, wie die Saphiräugigen sie benutzten.“

„Wofür?“

„Um sich selbst das Leben zu nehmen.“

Taniane stieß ein Keuchen aus, als habe er sie geschlagen.