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Es war das, was Hresh sich gewünscht hatte, und seine Seele hätte eigentlich in überschwenglicher Freude über Koshmars Entschluß jauchzen müssen. Denn jetzt lag ja die erwachende Welt mitsamt all ihres Glanzes und ihrer Wunder vor ihm offen da, und es drängte ihn, auszuziehen und ihre unerschöpflichen Geheimnisse zu enträtseln.

Zugleich jedoch lastete ein Gefühl wie von einem herben Verlust auf ihm und tiefe Traurigkeit. Seine Arbeit in Vengiboneeza war noch nicht beendet. Koshmars Entscheidung schnitt wie ein Messer durch ihn hindurch und drohte ihn von allem n der Stadt zu trennen, das es noch auszugraben und zu retten gab. Und alle Überreste aus der Großen Welt, das wußte er, die sie zurückließen, würden schließlich den Beng in die Hände fallen.

Die Siedlung brodelte von heftiger Geschäftigkeit. Das Vieh mußte zusammengetrieben und marschbereit gemacht werden; Feldfrüchte waren abzuernten; aller Besitz, die bewegliche Habe des Stammes mußte verpackt werden. Es gab kaum genug Zeit, sich ein wenig auszuruhen, nun da das Aufbruchsdatum nur wenige Tage entfernt lag. Hin und wieder stellten sich einige Beng in der Siedlung ein und betrachteten verwirrt, was sich da ereignete. Koshmar eilte von einer Aufgabe zur nächsten, und sie wirkte dermaßen abgehetzt und ausgelaugt, daß man allgemein über ihren Zustand tuschelte. Torlyri bekam man derzeit nur selten zu Gesicht, und wenn jemand Trost und Linderung nötig hatte, wandte er sich an Boldirinthe, die sich an Torlyris Stelle dazu bereitgefunden hatte. Und wenn Torlyri wirklich einmal auftauchte, sah auch sie ungewohnt düster und verkrampft aus.

Hresh hörte, wie einige im Stamm wetteten, daß der Auszug einfach nicht bis zu dem von Koshmar gesetzten Zeitpunkt zu bewerkstelligen sein werde, daß er um eine Woche, einen Mond, drei Monde verschoben werden würde. Die hektische Arbeit jedoch ging weiter, und es wurde kein Aufschub verkündet.

Hresh sagte zu Taniane: „Das ist unsere letzte Chance. Wir müssen die Sucher zusammentrommeln und soviel Schätze aufraffen, wie wir finden und mitnehmen können.“

„Aber Koshmar will doch, daß wir alles liegenlassen und uns nur auf den Abmarsch vorbereiten.“

„Koshmar begreift das nicht.“ Hresh blickte finster drein. „Ich glaube, sie lebt immer noch so halb in der Vergangenheit, im Kokon.“

Obschon ihr nicht recht behaglich war bei der Vorstellung, sich dem Befehl Koshmars zu widersetzen, gab Taniane schließlich dem Drängen Hreshs nach. Doch erwies es sich als schwierig, das alte Sucher-Team zusammenzubekommen. Konya war mit Harruel davongezogen; Shatalgit und Praheurt hatten bereits ein Kleinkind auf dem Hals und erwarteten in Kürze ein weiteres, also konnten sie die Extrazeit für die Suche nicht aufbringen; die überängstliche Sinistine berief sich auf Koshmars Anordnung, alle laufenden Projekte einzustellen und sich auf den Aufbruch zu konzentrieren, und davon ließ sie sich nicht abbringen.

Es blieben also nur Orbin und Haniman übrig. Haniman eröffnete ihnen brüsk, er sei an gemeinsamen Unternehmungen mit ihnen nicht interessiert, und wollte sich auch keinerlei weitere Argumente anhören. Orbin folgte dem Beispiel Sinistines und erklärte, er werde Koshmars Edikt gehorchen.

„Aber wir brauchen dich“, sagte Hresh. „Es gibt Stellen, wo die Wände eingestürzt sind, wo schwere Balken uns den Weg versperren. An solch schwer zugänglichen Stellen könnten die besten Funde liegen. Deine Kraft wäre uns so nützlich dabei, Orbin.“

Orbin sagte achselzuckend: „Die Siedlung muß abgebrochen werden. Dabei ist meine Kraft ebenfalls nützlich. Und Koshmar sagt.“

„Ja. Ich weiß, was sie sagt. Aber das da ist wichtiger.“

„Für dich.“

„Ich flehe dich an, Orbin. Wir waren doch einst Freunde.“ „Waren wir das?“ fragte Orbin teilnahmslos.

Der Hieb war tief und schmerzte. Spielkameraden in der Kindheit, gewiß, das waren sie gewesen; doch war dies Jahre her, und was hatte ihm Orbin schon bedeutet — oder er Orbin —, seit jenen Tagen? Jetzt waren sie einander fremd. Hresh war der gewitzte Weise, der Alte Mann des Stammes, Orbin nichts weiter als ein schlichter Krieger, brauchbar möglicherweise wegen seiner Muskeln, aber sonst ein Nichts. Hresh gab weitere Versuche auf. Er würde mit Taniane die abschließenden Erkundungen eben allein durchführen müssen.

Und wieder schlichen sie sich unter dem Schutze der Dunkelheit davon. Und wieder zog es Hresh zu der Stelle, an der er die Reparateure, die Künstlichen, bei der Arbeit beobachtet hatte; und diesmal trug er den Barak Dayir bei sich.

„Dort schau mal!“ rief Taniane. „Ein Beng auf der Mauer!“

„Ja, ich hab ihn gesehen.“

„Vielleicht dringen wir hier unerlaubt ein?“

„Unerlaubt?“ erwiderte er hitzig. „Wer war zuerst hier in Vengiboneeza, wir oder die Beng?“

„Aber wir sind früher immer umgekehrt, wenn wir auf Beng-Zeichen gestoßen sind.“

„Diesmal eben nicht“, sagte Hresh.

Sie gingen weiter. Die große Trümmerpyramide aus zerborstenen Säulen kam in Sicht. Von der Fassade des zertrümmerten Tempels gegenüber baumelten Beng-Fähnchen. Zwei der künstlichen Reparateure zogen vorbei, schenkten Hresh und Taniane jedoch keine Aufmerksamkeit, sondern widmeten sich gänzlich ihrer ernsten Aufgabe, in dem Schutt herumzustochern und schwankende Wände abzustützen.

„Dort drüben“, sagte Taniane leise.

Er warf einen Blick nach links. Auf einem weißen Steingebäude zeichneten sich im Mondlicht die schrecklichen Schatten zweier Benghelme ab wie scheußliche Schmutzflecken. Die zwei bulligen Bengkrieger waren von ihrem gemeinsamen Reittier, einem Zinnobären, gestiegen, standen nun neben diesem und sprachen ruhig miteinander.

„Sie sehen uns nicht“, sagte Taniane.

„Ich weiß.“

„Können wir uns irgendwie an ihnen vorbeischleichen?“

Hresh schüttelte den Kopf. „Wir lassen uns sehen.“

„Was?“

„Wir müssen.“ Er zog den Wunderstein heraus und hielt ihn ein Weilchen in der Handfläche. Taniane starrte ihn in einer Mischung von Furcht und Faszination an, wie auf ihrem Gesicht abzulesen war. Plötzlich verspürte auch Hresh selbst Furcht: nicht vor dem Anblick des Barak Dayir, sondern wegen des riskanten komplizierten Gebrauchs, den er von ihm zu machen gedachte.

Er senkte die Hand und ergriff mit seinem Sensororgan den Talisman. Die Musik des Wundersteins begann in seiner Seele zu erklingen. Sie besänftigte ihn und seine Befürchtungen ein wenig. Er winkte Taniane, sie solle ihm folgen, und trat ins Freie und schritt direkt auf die beiden Beng zu, die ihm überrascht und mißbilligend entgegenblickten.

Und jetzt — die Kontrolle über sie erlangen, ohne ihnen Schaden zuzufügen, ganz besonders, sie nicht zu töten.

Leicht berührte Hresh ihre Seelen mit der seinen. Er fühlte, wie die zwei Beng zurückzuckten, fühlte sie zornig gegen ihn ankämpfen, um sich zu befreien von der Besitzergreifung durch Hresh. Zitternd hielt Hresh den Kontakt aufrecht, ließ ihn nicht abreißen. Er konnte nicht jenen ersten Behelmten von vor so langer Zeit vergessen, der lieber gestorben war, als daß er einen andern so in sich eindringen lassen wollte. Vielleicht war mein Zugriff damals zu grob, dachte Hresh. Ich darf diese beiden nicht umbringen. Vor allem darf ich sie auf keinen Fall töten. Aber der Barak Dayir lenkt mich ja jetzt.

Die Beng wanden sich und wehrten sich, und dann gaben sie nach und wurden schlaff und standen da und glotzten ihn an wie dumme Dschungeltiere. Hresh stieß endlich den lang gestauten Atem aus. Es funktionierte! Er hatte die zwei gefangen!

„Ich bin gekommen, um diesen Ort zu erforschen“, beschied er sie.

Die Augen der Beng blitzten vor Anspannung. Aber sie konnten sich seinem Zugriff nicht entwinden. Erst nickte ihm der eine zu, dann auch der zweite.

„Ihr werdet mir jegliche Hilfe leisten, die ich von euch verlange“, sagte Hresh. „Ist das klar?“