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„Ja.“ Eine rauhe, zornige, widerwillig geflüsterte Zusage.

Ein Strom der Erleichterung sprudelte durch Hresh. Er hielt sie fest wie in einem Zuggeschirr. Aber es würde ihnen kein Harm geschehen.

Taniane schaute ihn voll Staunen an. Er hob lächelnd einen Finger an die Lippen.

Dann blickte er zu einem der Künstlichen, der in der Nähe Reparaturen ausführte und rief ihn zu sich. Sein kleines mechanisches Hirn reagierte sofort und ohne Zögern, er drehte sich um seine Achse und eilte dann rasch auf den roten steinernen Türeingang im Straßenpflaster zu, den Hrehs seinerzeit gesehen hatte. Einer der Metallarme wickelte sich ab und berührte die Tür, die sogleich auf ihren Gleitschienen beiseiteglitt.

„Komm!“ sagte Hresh zu Taniane.

Sie stiegen in die hellerleuchtete unterirdische Kammer hinab, die offen vor ihm dalag. Eine Unmenge komplizierter feiner schwieriger Maschinen stand perfekt gewartet schimmernd vor ihnen. Ein Dutzend oder mehr der Reparaturknirpse hasteten durch die Reihen der Apparate, um anscheinend kleinere Wartungsarbeiten durchzuführen; und am anderen Ende des gewaltig großen Saales sah Hresh einen dieser Reparateure an einem seinesgleichen arbeiten, der völlig still dastand. Auf diese Weise also hatten diese Dinger so viele tausend Jahre überdauert! Der eine Künstliche repariert den anderen, dachte Hresh. Da können die ja ewig halten!

Dem Apparat, der ihm den Zugang geöffnet hatte, befahl Hresh: „Erkläre mir die Funktionen dieser Geräte!“

Anstelle einer Antwort öffnete der Apparat eine Nische in der Wand, zog einen goldbronzenen Ball hervor, klein genug, daß Hresh ihn in der Hand halten konnte. Die metallene Außenhaut war durchscheinend, und Hresh konnte darunter eine kleinere Kugel aus blitzendem unvergänglichem Quecksilber sich drehen sehen. Es gab keinen Steuerknopf noch sonst irgendein sichtbares Bedienungsinstrument. Doch als er sie mit seinem durch den Barak Dayir verstärkten Bewußtsein berührte, öffnete sich die Seele der kleinen Kugel für ihn, als klappte sie an Scharnieren auf, und er tauchte in verwirrende neue Wissensgebiete ein.

„Hresh?“ fragte Taniane. „Hresh, alles in Ordnung?“

Er nickte. Er fühlte sich benommen, verblüfft und ehrfurchtsvoll. In einem betrunken machenden Datenschwall informierte ihn die Kugel blitzschnell über die Verwendungszwecke der Dinge, die er vor sich sah. Dieses Gerät da: das war ein Mauerbauer. Das andere: es pflasterte Straßen. Dieses maß die Tiefe und Stabilität von Fundamenten. Dieses errichtete Säulen. Das andere zerschnitt Stein und Fels. Dieses schaffte Schutt weg. Und dies. und das. und dies.

Er hatte Apparate wie diese vor langer Zeit bereits einmal gesehen, als er zum erstenmal zur Erforschung der Ruinen aufgebrochen war. Er erinnerte sich nun, wie sie damals Amok gelaufen waren, als er versucht hatte, sie in Gang zu setzen, wie sie ganz irre Wände errichtet und Brücken gebaut und Gruben ausgehoben und Gebäude eingerissen hatten, als handelten sie einzig nach eigener Lust und Laune. Er hatte damals diese Maschinen verstecken müssen, denn sie waren schlimmer als nutzlos: sie waren gefährlich, sie waren zerstörerisch, sie waren unkontrollierbar.

Dieser kleine Goldball mit dem Quecksilberkern da in seiner Hand, erkannte Hresh, das mußte das Hauptkontrollgerät sein, dem alle übrigen zu gehorchen hatten. Mit seiner und der Hilfe dieser Maschinen würde er ein ganzes Vengiboneeza erbauen können! Ein zielstrebiges Gehirn, gesammelt im Brennpunkt dieser Kugel, konnte die Heerscharen der Städtebaumaschinen auf jede nötige Aufgabe lenken. Keine Brücken mehr aus dem Nichts ins Nichts, keine Mauern mehr, die verrückt mitten durch breite Boulevards wuchsen. nur noch ordentliche Konstruktionen gemäß seinem Plan, wie immer er ihn gestalten wollte. Er würde der Baumeister sein, diese Kugel sein Polier und die anderen Maschinen die Bauarbeiter.

„Was hast du da, Hresh? Was soll das Ganze?“

„Wunder und Wunderdinge“, sagte er mit gedämpfter Stimme. „Wunder und Wunderdinge.“

Er deutete auf die beiden Beng, die durch den Eingang wie betäubt hereinglotzten. Zwar kämpften sie noch immer gegen seine Kontrolle an, vermochten sie aber nicht zu brechen.

„Ihr da!“ rief er. „Hier herein! Tragt all das da hinaus und ladet es auf euren Zinnobären!“

Sie gingen ein dutzendmal her und hin, ehe alles, was Hresh als wichtig erschien in die Siedlung des Volkes geschafft war. Kurz vor dem Morgengrauen ließ er die Behelmten mit seinem wärmsten Dankeschön ihrer Wege ziehen — nachdem er alles aus ihrem Bewußtsein getilgt hatte, was sie in dieser Nacht getan hatten.

Im Tempel verpackte Torlyri bei flackerndem Kerzenschein mit wildem Eifer sämtliche heiligen Gegenstände für die Reise, die sie vor sich hatten. Ab und zu hielt sie inne und lehnte sich gegen die kühle Steinwand und holte tief seufzend Luft. Manchmal begann sie auch unkontrollierbar zu zittern. Es waren nur noch wenige Tage bis zum Aufbruch aus Vengiboneeza.

Hresh würde sich um die Chroniken und alles, was dazugehörte, kümmern. Das übrige, all das, was der Stamm im Verlauf seiner vieltausendjährigen Existenz in Abgeschlossenheit des Kokons angesammelt hatte, fiel in ihre Kompetenz und Verantwortung. Kleine geschnitzte Amulette, und Schüsseln und Statuetten, diesem oder jenem Gott heilig, und Stäbe, die bei der Heilung von Krankheiten Anwendung fanden, und helle polierte Steinchen, deren Herkunft und Zweck in Vergessenheit geraten waren, die jedoch von einer Opferfrau zur nächsten als geschätzte Talismane weitergereicht wurden.

Während der vergangenen zwei Nächte hatte Boldirinthe ihr packen geholfen. Doch tags zuvor hatte sie sich bei der Arbeit plötzlich zu Torlyri gewandt und gefragt: „Weinst du, Torlyri?“

„Weine ich?“

„Ich sehe die Tränen auf deinen Wangen.“

„Das ist nur Müdigkeit, Boldirinthe. Weiter nichts als Übermüdung.“

„Es macht dich traurig, was, wenn du daran denkst, daß wir von hier fortgehen? Wir waren glücklich in Vengiboneeza, nicht wahr?“

„Die Götter fügen unsere Geschicke. Die Götter geben.“

„Wenn ich dir irgendwie Trost bieten kann.“

„Der Trösterin Trost spenden? Nein, Boldirinthe. Bitte.“ Torlyri lachte. „Du mißverstehst, was du hier siehst. In mir ist keine Traurigkeit. Ich bin nur sehr müde, weiter nichts.“

An diesem Abend arbeitete sie allein. Sie spürte die Tränen schwer an die Lider herandrängen, und sie wußte, beim kleinsten Reiz würden sie fließen; und sie konnte den Gedanken nicht ertragen, Gegenstand des Mitleids für Boldirinthe oder sonst jemanden zu werden. Nein, wenn sie zusammenbrechen sollte, dann mußte sie dabei allein sein.

Mit bebenden Fingern wickelte sie die geheiligten Dinge in Fellstücke oder legte sie in gewebte Behältnisse und verstaute sie in die Körbe, die der Stamm mit auf die Reise nehmen sollte. Hin und wieder küßte sie einen Gegenstand, ehe sie ihn wegtat. Es waren die Dinge, die ihr Handwerkszeug während ihres ganzen Lebens gewesen waren, durch die sie die fortgesetzte Güte und das dauernde Wohlwollen der Götter sichergestellt hatte. Es waren nichts weiter als kleine Stücke aus Stein oder Knochen oder Holz oder Metall, doch es wohnte göttliche Kraft in ihnen und Macht. Und mehr noch, sie hatte sie mit ihrer Liebe überhäuft. Sie waren ihr so vertraut wie ihre eigenen Hände. Und jetzt verschwanden sie eines nach dem anderen in ihren Körben.

Je mehr sich die Borde leerten, desto heftiger spürte Torlyri, wie das Schicksal direkt auf sie zugeeilt kam. Ihre Zeit wurde sehr knapp.

Sie vernahm Schritte vor dem Allerheiligsten. Stirnrunzelnd blickte sie auf.

„Torlyri?“

Boldirinthes Stimme. Sie ist also trotzdem gekommen, dachte Torlyri verärgert. Sie ging zur Tür, steckte den Kopf hindurch und sagte: „Ich habe dir doch erklärt, daß ich heute nacht allein arbeiten muß. Einige dieser Talismane dürfen nur meine Augen sehen, Boldirinthe.“