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„Das weiß ich“, sagte Boldirinthe sanft. „Es ist auch nicht mein Wunsch, dich in deiner Arbeit zu stören, Torlyri. Doch bringe ich dir eine Nachricht, und ich dachte mir, du würdest sie gern hören.“

„Von wem?“

„Von deinem Behelmten. Er ist hier und wünscht mit dir zu sprechen.“

„Hier?“

„Direkt vor dem Tempel. Im Schatten.“

„Kein Beng darf dieses Haus betreten“, sagte Torlyri, die ganz aufgeregt wurde. „Sag ihm, er soll warten. Ich werde zu ihm hinauskommen. Nein. Nein. Ich will nicht, daß uns heute nacht jemand zusammen sieht.“ Sie rang die Hände und befeuchtete sich die Lippen. „Du kennst das Lagerhaus, ist hinter dem Bau hier, dort wo Hresh die Sachen untergebracht hat, die er in der Stadt ausgegraben hat? Geh und sieh zu, ob sich dort jetzt jemand aufhält, und wenn es leer ist, dann führe ihn dorthin. Dann kehre zu mir zurück und sage es mir.“

Boldirinthe nickte und verschwand.

Torlyri versuchte wieder an die Arbeit zu gehen, doch es war hoffnungslos, sie warf Dinge um, ließ sie beinahe fallen, sie konnte sich nicht mehr an die Bannsegen erinnern, die sie zu sprechen hatte, wenn sie das Gerät von seiner Stelle hob. Nach ein paar Minuten gab sie es ganz auf. Sie kniete an ihrem kleinen Altar, die Ellbogen auf der Kante, den Kopf gesenkt, und sie betete um Seelenruhe.

„Er wartet dort auf dich“, sagte Boldirinthe leise hinter ihr.

Torlyri verschloß den Schrein mit den Heiligtümern und löschte die Kerze. Im Finstern hielt sie kurz inne, umarmte Boldirinthe zärtlich, gab ihr einen flüchtigen Kuß und flüsterte ihr Dank. Dann durchschritt sie den Gang und die Pforte, die auf den Tempelplatz führten, bog um das vieleckige Gebäude und ging auf Hreshs Lagerhaus zu.

Die Nacht war warm und mild, kein Lüftchen regte sich, hellgeränderte Streifenwolken überlagerten den Mond. Trotzdem fröstelte Torlyri. Sie spürte wie sich ihr Leib verkrampfte.

Trei Husathirn hielt ein einzelnes Glühbeerzweiglein in der Hand und lief in dem Schein wie ein Tier im Käfig in dem Lagerhaus auf und ab, als Torlyri eintrat. Er trug seinen Helm, und er erschien ihr größer, als sie ihn in Erinnerung hatte. Sie hatte ihn mehrere Tage lang nicht mehr getroffen; sie hatte einfach in der Siedlung zu viel Arbeit zu tun gehabt. Er stapfte umher, steckte hier und dort neugierig die Nase in die Sammlung von Gerätschaften und Apparaten, die Hresh und seine Sammler hier angehäuft hatten. Als er Torlyri kommen hörte, wirbelte er herum und warf wie zum Schutz die Arme hoch.

„Ich bin’s doch bloß“, sagte sie und lächelte.

Sie stürzten aufeinander zu. Seine Arme umfingen sie, und er preßte sie so fest an sich, daß er ihr fast die Luft aus den Lungen drückte. Sie fühlte seinen Körper beben und zucken. Nach einer Weile trennten sie sich. Sein Gesicht sah erschöpft und zugleich verkrampft aus.

„Was sind dies für Maschinen?“ fragte er.

Achselzuckend sagte Torlyri: „Das müßtest du schon den Hresh fragen. Er hat sie überall in der ganzen Stadt gefunden. Es sind Sachen aus der Großen Welt.“

„Und sie funktionieren?“

„Woher soll ich das wissen?“

„Und wenn ihr fortzieht, wird er sie mitnehmen?“

„So viele, wie er kann, wie ich unseren Hresh kenne.“ Plötzlich überlegte sie sich, ob es vielleicht ein Fehler war, Trei Husathirn hier hereingelassen zu haben. Vielleicht durfte er diese Dinge gar nicht sehen. Gewiß, er war ihr Gefährte und Geliebter, so etwas wie ihr ehelicher Genosse, aber trotzdem blieb er ein Beng, und diese Dinge hier waren Stammesgeheimnisse.

Auch seine harte, eifrige Stimme beunruhigte sie. Er wirkte beinahe furchtsam.

Sie griff nach seiner Hand und hielt sie fest.

„Weißt du, wie ich mich nach dir gesehnt habe?“ fragte sie.

„Du hättest zu mir kommen können!“

„Nein, nein. Das war unmöglich. Alles muß sorgfältig und richtig verpackt werden — Segen und Gebete müssen gesprochen werden —, eigentlich dauert das Wochen und Wochen. Ich sehe nicht, wie ich damit je rechtzeitig zu Ende kommen soll. Du hättest heute nacht nicht kommen sollen, Trei Husathirn.“

„Ich mußte aber mit dir sprechen.“

Das klang falsch. Er hätte sagen sollen: Ich habe dich sehen müssen, ich wollte dich sehen, ich habe es fern von dir nicht mehr ausgehalten. Aber er mußte mit ihr sprechen? Worüber?

Sie ließ seine Hand los und trat etwas zurück. Sie fühlte sich unsicher und unbehaglich.

„Was ist denn?“ fragte sie.

Er antwortete zunächst nicht. Dann sagte er: „Hat sich am Tag des Auszugs irgend etwas geändert?“

„Nichts.“

„Also sind es nur noch ganz wenige Tage.“

„Ja“, sagte Torlyri.

„Was sollen wir denn tun?“

Sie wollte die Augen abwenden, doch sie zwang sich, ihn weiter fest anzublicken. „Was willst du tun, Trei Husathirn?“

„Du weißt doch, was ich will. Mit dir gehen.“

„Aber wie sollte das möglich sein?“

„Ja“, sagte er. „Wie sollte mir das möglich sein? Was weiß ich denn schon von euren Bräuchen, euren Göttern, eurer Sprache, von irgendwas? Alles was ich von eurem Volk kenne und weiß, bist du. Ich würde mich nie einfügen können.“

„Mit der Zeit vielleicht doch“, sagte sie.

„Glaubst du wirklich?“

Und nun wandte sie wirklich den Blick ab.

„Nein.“ Sie brachte das kleine Wort kaum über die Lippen.

„Zu dem gleichen Schluß komme auch ich, nachdem ich mir das Problem tausendmal hin- und herüberlegt habe. In Koshmars Stamm ist kein Platz für mich. Immer würde ich der Außenseiter bleiben, der Fremde. Sogar der Feind.“

„Gewiß doch kein Feind.“

„Doch, für Koshmar und die anderen, glaube ich.“ Plötzlich zerquetschte er die Glühbeerendolde in der Hand und schleuderte sie zu Boden. In der Finsternis fürchtete sich Torlyri auf einmal vor ihm. Was hatte er vor? Wollte er sie beide wegen ihrer unmöglich gemachten Liebe töten? Doch er nahm nur ihre beiden Hände in die seinen und zog sie wieder an sich und hielt sie wieder fest umschlungen. Dann sprach er mit einer leeren Stimme, wie von weit her: „Auch müßte ich dann meine Helmbrüder verlassen, meinen Häuptling, meine Götter und ihnen treulos werden. Und ich müßte Nakhaba abschwören!“ Er zitterte. „Ich würde alles aufgeben und zurücklassen. Und ich wüßte nicht mehr, wer ich selber bin. Ich wäre verloren.“

Ihre Hand fuhr streichelnd über sein Ohr, seine Wange, die haarlose vernarbte Stelle an seiner Schulter. In einem flüchtigen Lichtschimmer sah sie sein Gesicht und die glitzernde Tränenspur darauf. Dieser Anblick, glaubte sie zunächst, werde auch ihre Tränenflut auslösen, doch nein, nein, sie hatte keine Tränen mehr.

„Was sollen wir tun?“ fragte er noch einmal.

Torlyri ergriff seine Hand und drückte sie auf ihre Brust. „Da. Komm, leg dich hier zu mir nieder! Auf dem blanken Boden. Inmitten all dieser widerwärtigen Maschinen. Das wollen wir tun. Komm, bette dich zu mir. Hier, Trei Husathirn. Hier, zu mir, zu mir.“

Der Morgen war da. Hresh schaute voll Liebe auf Taniane hinab, die in tiefem Erschöpfungsschlaf nach der anstrengenden nächtlichen Sammelaktion vor ihm lag. Leise trat er aus dem Zimmer ins Freie. Überall Stille. Es hing ein schwerer süßer Duft in der Luft, so als habe sich vor kurzem eine nachtblühende Blume entfaltet.

Es war eine Nacht voller Wunder gewesen. Die letzten Hindernisse für den Auszug aus Vengiboneeza waren gefallen. Seine kleine Kugel aus Goldbronze bot die Garantie dafür.

Jetzt aber hielt Hresh eine andere Kugel in der einen Hand: den Silberball, den sie ein paar Nächte zuvor gefunden hatten. Bislang hatte er noch nicht die Zeit gefunden, ihn eingehend zu untersuchen, doch nun in der dunstigen Dämmerung, nach einer Nacht ohne Schlaf, einer Nacht, in der an Schlafen nicht zu denken gewesen wäre, einer Nacht voller heroischer Bemühung, lastete ihm das ungelöste Geheimnis der kleinen Kugel schwer auf dem Herzen. Sie schien ihn geradezu herauszufordern. Er blickte sich um, aber es war niemand in der Nähe. Alle in der Siedlung schliefen noch. Hresh versteckte sich zwischen zwei gewaltigen Alabasterstatuen von Saphiräugigen, die ihre Schädel verloren hatten, und berührten den Knopf, der die Kugel aktivierte.