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Einen Augenblick lang geschah gar nichts. Hatte er beim ersten Versuch die Kugel leergebrannt? Oder hatte er diesmal den Stift nicht stark genug gedrückt? Er schloß die Hand um das Ding und überlegte. Doch dann stieß sie wieder diesen hohen scharfen Ton aus wie vordem, und wieder pulsierten kühle grüne Lichtstrahlen aus dem Instrument.

Hastig drückte er ein Auge an das winzige Guckloch, und wieder ward ihm die Große Welt sichtbar.

Diesmal war da auch Musik, nicht nur Bilder. Aus dem Nirgendwo drang eine langsame schwere Melodie aus drei ineinander verwobenen Klangsträngen, einer von trübgrauer Tonalität, einer der seine Seele als tiefblau berührte, und ein dritter in einem grellen aggressiven Orange. Die Musik klang wie ein Klagegesang. Hresh begriff: es war die passende Musik für die Letzten Tage der Großen Welt.

Und er entdeckte, daß er durch das winzige Guckloch Zugang fand zu einem breiten wechselnden Panorama der Stadt.

Ganz Vengiboneeza lag vor ihm ausgebreitet, während es seine letzten Stunden erlebte. Und der Anblick war furchtbar.

Der Himmel über der Stadt ist schwarz, und schreckliche schwarze Winde fegen über das Firmament und bilden Turbulenzströme, Schwarz auf Schwarz. Eine Staubdecke erstickend in der Luft. Schwächliche Strahlen der Sonne tanzen da und dort herein und sinken zu Boden, anstatt aufzutreffen. Dünne Frostränder beginnen sich an den Pflanzenspitzen, dem Saum von Teichen und Tümpeln, den Fenstern und in der Luft selbst auszuformen.

Hresh weiß: Ein Todesstern ist vor kurzem niedergestürzt. Es war einer der ersten, vielleicht gar der allererste.

Mit einem Aufprall, der die ganze Welt erschütterte, ist der Todesstern irgendwo in der Nähe von Vengiboneeza herabgefallen — oder vielleicht auch gar nicht da, sondern möglicherweise genau auf der anderen Seite der Welt —, und eine gewaltige Schuttwolke hat sich aufgetürmt, höher als die höchsten Berge. Die Luft ist dicht geschwängert davon. Alle Wärme der Sonne wird ferngehalten. Das einzige Licht, das hereinsickert, hat einen dünnen fahlen Winterschimmer. Die Welt beginnt einzufrieren.

Und dies ist nur der Anfang. Nacheinander werden die Todessterne niederstürzen, alle fünfzig, alle fünfhundert Jahre, wer weiß schon, wie oft, und ein jeder von ihnen bringt neues Unheil in der langen, unendlich langen Zeit des Langen Winters, der hereinbricht.

Doch für die Große Welt wird der erste Einschlag der entscheidende, der tödliche sein. Die Saphiräugigen und die Vegetalischen und die Seeherren und die übrigen sind Bewohner einer Welt mit einem milden gemäßigten Klima, in das der Winter niemals kommt. Winter, das ist hier nur eine schwache Erinnerung aus unendlich ferner Vorzeit, nichts weiter als ein von den Ahnen ererbter Traum. Und nun kehrt der Winter wieder; und von den Sechs Völkern der Welt werden ihn nur die Hjjk und die Mechanischen ohne besondere Schutzmaßnahmen überstehen können, obschon die Mechanischen — und dies kann Hresh nicht verstehen, aus welchem Grund? — es bevorzugen zugrunde zu gehen.

Denn die Zeit der Großen Welt ist die Endzeit aller Zeiten.

Ein scharfer Wind weht. In der Luft tanzen ein paar verstreute weiße Flocken. Die frische Kälte hat bereits dazu geführt, daß wilde Tiere in Panik in den Schutz fliehen, den Vengiboneeza gewährt. Hresh sieht sie überall, Hufe und Gehörn und Greifarme und Fänge, eine Masse angstblitzender Augen, keuchender Mäuler, schweißbedeckter Kiefer.

Die scharfen Winde spielen eine machtvolle Trommel in den Lüften und schlagen einen feierlichen Takt, der den Tieren zwingend befiehlt, hier Zuflucht zu suchen. Unter der Wut des schrecklichen Sturmes rennen und rennen und rennen sie immer weiter und weiter. Sie drängen sich dicht in den Straßen der Stadt, sie stieben her und hin, als werde wilde Bewegung allein genügen, ihre Leiber warm genug für das Überleben zu halten. Die wundervollen weißen Villen Vengiboneezas sind umzingelt. Wo immer Hreshs Vision ihn schauen läßt, übersteigen tausenderlei Tiere Mauern, gleiten sie über Türschwellen, schlüpfen in Schlafgemächer und besteigen die Betten. Gewaltige schnaufende Herden massiger Vierfüßler trampeln in wilder Panik über die Boulevards. Das rauhe Brüllen und Kreischen der vierbeinigen Eindringlinge unterstreicht brutal die gelassen-heitere Musik, die aus der Silberkugel strömt.

Und doch, und doch, und dennoch.

Die Saphiräugigen.

Hresh sieht, wie sie unbeirrt durch den Wirrwarr des Wahnsinns gehen und ihre Geschäfte erledigen. Die riesenhaften Krokodilwesen bleiben ruhig, entsetzlich ruhig. Es ist, als sei weiter nichts Ernstliches im Gange als ein leichtes Sommergewitter, das losbricht.

Ringsherum die brodelnde Masse vor Furcht wahnsinnig gewordener wilder Tiere, stampfend, sich aufbäumend, springend. und ruhig, gelassen, ohne das geringste Anzeichen von Furcht oder Bestürzung verstauen die Saphiräugigen ihre Schätze, diktieren Anweisungen, wie sie zu behandeln sein sollen, vollziehen die regulären Opfer für ihre Götter, die in diesem Augenblick ihnen den Untergang bescheren.

Hresh sieht, wie sie sich zu gemütlichen Grüppchen versammeln, um Musik zu hören, um die Farbenspiele auf riesigen Kristallen in den Häuserwänden zu betrachten, oder um sich unerregten vernünftigen Diskussionen über abstruse Themen hinzugeben. Ihr normales Leben geht in allen Stücken unverändert weiter. Ein paar, aber nur wenige, treten an die Maschinen mit den Lichthauben und werden aufgesogen; doch vielleicht ist auch dies die Normalität und ist ohne Bezug zu der nahenden Katastrophe.

Und doch wissen sie, daß der Untergang gekommen ist. Sie müssen es wissen! Sie können es doch nicht nicht erkennen! Nein, es berührt sie ganz einfach nur nicht.

Die Kälte wächst. Der Sturm wird wilder. Der Himmel ist sternenlos, ohne Mond, von einer überwältigenden tiefen Schwärze. Ein kalter Regen hat zu fallen begonnen, und er verwandelt sich in Schnee und dann zu harten Eisstückchen, _ ehe er den Boden erreicht. Ein tödlicher glitzernder durchsichtiger Überzug bedeckt jeden Baum, jedes Haus. Die Welt hat sich das Flitterkleid des Todes übergestreift.

Die anderen Völker reagieren nun, jedes auf seine eigene Weise, auf die Verwüstung.

Die Hjjks verlassen die Stadt. Sie haben sich in einer endlosen Doppelreihe aufgestellt, gelb und schwarz, gelb und schwarz, und ziehen durch das Südliche Tor davon. Sie zeigen keine Eile, sind vollkommen diszipliniert, ihre Evakuierung verläuft auf monströse Art in vollkommener Ordnung.

Auch die Seeherren ziehen davon. Und auch sie zeigen keine Panik, während sie sich ans Ufer begeben und im Wasser davongleiten. Doch das Wasser beginnt zu gefrieren, während sie hineintauchen, und es kann keinen Zweifel geben, daß sie in den Tod gehen. Sie müssen dies doch wissen.

Auch die Mechanischen verlassen die Stadt, über die prächtige Avenue, die sich durch die Vorberge hinauf zu der Bergkette und über sie hinweg gen Osten windet. Die blitzenden kuppelschädligen Maschinen bewegen sich hastig und ruckhaft voran. Vielleicht streben sie dem Treffpunkt auf den fernen Ebenen zu, wo Hresh und sein Stamm auf sie stoßen werden: tot und vom Rost der Jahrtausende bedeckt. Einmal, an einem Tag in sehr, sehr ferner Zukunft.

Für die Vegetalischen gibt es keinen Exodus. Sie liegen bereits im Sterben. Sie brechen in sich zusammen, wo sie stehen; verbrannte Blütenkelche, schlanke Stengel und Gliedmaßen, alles wird schwarz, die zerknitterten Blütenblätter rollen sich in sich selber. Und wenn sie umsinken, erscheinen Mechanische, die die Stadt noch nicht verlassen haben, und fegen sie zusammen. Die Stadt wird gewartet werden bis zum letzten Augenblick.