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„Nein.“

„Nein?“

„Meine Zeit ist gekommen, Hresh. So laß es denn an dem sein, wie es kommen muß. Ich werde nicht mitziehen, wenn der Stamm Vengiboneeza verläßt.“

„Aber gewiß wirst du mit uns ziehen, Koshmar.“

„Ich befehle dir zu unterlassen, mir zu sagen, was ich tun werde und was nicht!“

„Aber wie könnten wir dich zurücklassen?“

„Ich werde tot sein“, sagte Koshmar. „Oder doch beinahe. Du wirst die Worte für die Toten über mir sprechen und wirst mich an einen friedvollen Ort bringen, und dann werdet ihr alle fortziehen. Ist der Befehl verstanden, Hresh? Es ist mein letzter Befehl, daß der Stamm hinwegziehe aus dieser Stadt. Doch ich erteile diesen Befehl, wissend, daß ich nicht bei euch sein werde, wenn ihr fortzieht. Hresh, du hast es dir dein Leben lang zur Aufgabe gemacht gehabt, meinen Anordnungen nicht zu gehorchen, aber vielleicht willst du mir dieses eine Mal das Recht zugestehen und meinem Wunsch folgen und ihn erfüllen. Ich wünsche keine Trauer, und ich wünsche nicht, daß man meinetwegen ein großes Getöse veranstaltet. Ich habe das Grenzalter erreicht; mein Sterbetag ist da.“

„Wenn du mir doch nur sagen würdest, was dich bedrückt, dann könnte ich eine Heilungs.“

„Was mich bedrückt, Hresh? Daß ich noch lebe. Und dafür wird mir bald die Heilung werden. Und noch ein einziges derartiges Wort von dir, und ich entlasse dich aus deinem Amt, solang ich noch Häuptling bin. Wirst du nun endlich still sein? Es gibt wichtige Dinge, die ich dir sagen muß, ehe mich die Kraft verläßt.“

„Sprich!“ sagte Hresh.

„Die Reise, auf die der Stamm sich begibt, wird eine sehr lange sein. Dies sehe ich voraus in meiner Todesweisheit: Daß euch die Reise führen wird an die entfernten Orte der Welt. Ihr könnt eine solche Fahrt nicht unternehmen, indem ihr alles auf dem Rücken mit euch tragt, wie wir es taten, als wir aus dem Kokon auszogen. Geh du also zu den Beng, Hresh, und bitt sie um vier oder fünf junge Zinnobären als Trag- und Lasttiere für uns. Wenn sie unsere Freunde sind, wie sie dies so lautstark immer betonen, dann werden sie uns dies nicht abschlagen. Wollen sie sie dir aber nicht geben, dann bitte Torlyri, sie solle ihren. ihren Beng-Geliebten dazu bringen, ein paar Tiere zu stehlen, wenn es denn so sein muß. Achtet darauf, daß die Tiere, die ihr erhaltet, Männchen und Weibchen sind, so daß wir in künftigen Zeiten selbst Nachwuchs von ihnen erhalten können.“

Hresh nickte. „Das sollte nicht allzu schwierig sein.“

„Nein. Nicht für dich. Nächster Punkt. Es muß eine neue Führerin gewählt werden. Du und Torlyri werdet sie aussuchen. Ihr solltet eine ziemlich junge Frau wählen, jemand mit starkem Willen, aber auch mit starkem Körper. Sie wird den Stamm in vielen schwierigen Jahren führen müssen.“

„Gibt es eine, die du vorschlagen möchtest, Koshmar?“

Koshmar brachte ein Lächeln zustande. „Ach, Hresh, Hresh, mein Schlaukopf, bis zum Schluß! Wie respektvoll bittest du die sterbende Koshmar, ihre Wahl zu treffen, wo ich doch weiß, daß die Wahl längst entschieden ist!“

„Ich bat dich ganz ehrenhaft, Koshmar.“

„Tatest du das? Nun, dann will ich dir ehrenhaft antworten, wie du fragtest, und ich will dir sagen, was du bereits weißt. Es gibt im Stamm nur eine Frau, die das angemessene Alter hat und über die erforderliche innere geistige Stärke verfügt. Taniane soll meine Nachfolgerin sein.“

Und wieder atmete Hresh tief durch, biß sich auf die Lippe und wandte den Blick ab.

„Mißfällt dir die Wahl?“

„Nein. Ganz und gar nicht. Aber es macht alles, was geschieht, so viel wirklicher. Ich sehe klarer, als mir lieb sein kann, daß du nicht länger unser Häuptling sein wirst, daß eine andere, daß Taniane.“

„Alles unterliegt dem Wandel, Hresh. Die Saphiräugigen herrschen nicht mehr über die Welt. Und nun noch ein Drittes: Werdet ihr, du und Taniane, ehelich verbunden sein?“

„Ich habe in den Chroniken geforscht nach Präzedenzfällen, die es dem Alten Mann des Stammes erlauben würden, sich eine feste Gefährtin zu nehmen.“

„Dazu besteht keine weitere Notwendigkeit. Du brauchst nicht weiter nach einem Präzedenzfall zu suchen, Hresh. Du bist der Präzedenzfall. Und sie ist deine Gefährtin.“

„Ist sie das, wirklich?“

„Führe sie zu mir, sobald du von der Beng-Siedlung wieder zurückgekehrt bist, dann will ich die nötigen Worte sprechen.“

„Koshmar, Koshmar.“

„Aber sprich ihr noch nicht von ihrer Führerschaft. Noch gebührt sie ihr nicht, erst dann hat sie sie, wenn du und Torlyri sie ihr übertragen. Derlei Dinge müssen auf anständige, ordentliche Weise getan werden. Es kann keine neue Führerin geben, solange die alte noch am Leben ist.“

„Laß mich versuchen dich zu heilen, Koshmar!“

„Du erregst meinen Ärger. Geh du zu den Beng und erbitte von ihnen einige ihrer Zinnobären, Junge!“

Er blieb stehen.

„So geh schon!“

„Dann erlaube mir wenigstens, dies eine für dich zu tun.“ Mit flatternden Fingern löste Hresh einen kleinen Gegenstand, den er am Hals hängen hatte, und drückte ihn ihr in die Hand. „Das ist ein Amulett“, sagte er, „das ich von Thaggorans Leichnam löste, am Tag, als uns die Rattenwölfe angriffen. Es ist sehr, sehr alt, und gewiß verfügt es über irgendwelche große Kraft, auch wenn es mir nie gelungen ist, herauszufinden, was für welche. Aber wenn ich das Bedürfnis verspüre, Thaggoran bei mir zu haben, dann greife ich zu dem Amulett, und ich fühle seine Nähe. Halte es du in deiner Hand, Koshmar, und laß Thaggoran zu dir kommen und dich hinübergeleiten in die Anderwelt.“ Er legte es ihr in die Hand und schloß ihre Finger um das Amulett. Es fühlte sich scharfkantig an in ihrer Handfläche — und warm. „Er liebte und achtete dich männiglich“, fuhr Hresh fort. „Er sagte es mir oft.“

Koshmar lächelte. „Ich danke dir für diesen Schutzzauber, und ich will ihn bei mir tragen bis zum Ende. Aber dann wirst du ihn wieder an dich nehmen. Du wirst ihn nicht allzu lange entbehren müssen, glaube ich.“ Sie machte eine ungeduldige Handbewegung. „Aber nun geh! Geh zu den Beng und bitte sie um einige ihrer Tiere! Geh, geh, Hresh!“ Und dann wich die Schroffheit von ihr, und sie strich ihm mit der Hand über die Wange. „Mein Alter Mann. mein Chronist.“

Wie es schien, hatte Noum om Beng ihn erwartet. Zumindest zeigte er kein Erstaunen, als Hresh, atemlos und verschwitzt nach dem schnellen Trab auf der ganzen Strecke zwischen seiner Stammessiedlung und dem Beng-Dorf in Dawinno Galihine, vor ihn hintrat. Der alte Behelmte befand sich in seinem nüchternen schmucklos kahlen Gemach und saß mit dem Gesicht der Tür zugewandt, als erwarte er einen Besucher. Unter Hreshs Schädeldecke hämmerte es erbarmungslos. Seine Seele schmerzte von der zu heftigen Turbulenz in einem zu kleinen Behältnis. Der Kopf wirbelte ihm von alledem, was während dieser letzten paar hektischen Tage sich ereignet hatte. Und nun oblag es ihm auch noch, vor den alten Noum om Beng hinzutreten, und es war wohl die allerletzte Gelegenheit, mit ihm zu sprechen, und es gab noch dermaßen viel von ihm zu lernen. Die Fragen türmten sich in immer höherer Zahl in seinem Hirn; aber die Antworten entzogen sich ihm nur immer mehr.

„Setz dich!“ sagte Noum om Beng und wies auf die Steinbank, auf der er selber saß. „Und ruhe. Komm erst einmal wieder zu Atem. Sauge die Luft tief in dich hinein! Tief!“

„Vater.“

„Ruh dich aus!“ sagte Noum om Beng streng. Hresh dachte schon, er werde ihm einen Backenstreich versetzen, wie er dies so oft in den Anfangstagen ihres Tutoriums getan hatte. Aber der Alte Mann blieb vollkommen bewegungslos. Nur seine Augen zuckten und geboten Hresh mit einem stahlharten Funkeln, er solle stillsitzen.