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Er erhob sich, um zu gehen. „Ich sollte mich jetzt entfernen, Vater, und dich ruhen lassen.“

„Ich werde dich nie wiedersehen“, sagte Noum om Beng.

„Nein, ich glaube nicht.“

„Wir haben eine gute Arbeit geleistet, wir beide, mein Sohn. Unser beider Denken fügte sich gut zusammen.“

„Ja“, sagte Hresh. Noum om Bengs Stimme klang irgendwie so endgültig, daß Hresh sich fragte, wie lang dem alten Mann wohl noch an Lebenszeit beschieden sein mochte. Es strahlte von ihm ein derart starkes Todesbewußtsein und zugleich auch eine solch tiefe Ergebung darein aus, daß er so gelassen und gleichmütig wirkte wie irgendeiner von den Saphiräugigen, die gemächlich zuschauten, wie ihr Himmel vom Staubregen schwarz wurde, nachdem der Todesstern niedergefallen war. Und Hresh, der erst am selben Morgen Koshmar so ungeschminkt über ihren nahenden Tod hatte reden hören, fühlte sich ringsum von Sterben und Verfall und Tod umgeben. Wie machten sie das nur, daß sie es so gelassen hinnahmen, diese Sterbenden? Wie konnten sie nur so achselzuckend dem Nichts und dem Vergessensein entgegensehen?

Unentschlossen bewegte sich Hresh auf die Tür zu.

Eigentlich wollte er wirklich nicht so rasch Abschied nehmen, wußte aber, daß er es müsse.

Noum om Beng sagte: „Gab es da nicht noch etwas anderes, warum du an diesem Morgen zu mir kamst? Doch wohl nicht nur, um mit mir zu diskutieren?“

Yissou! Die Zinnobären!

Hreshs Gesicht wurde dunkel vor Scham. „Ja. Doch. Da war noch etwas“, sagte er schleppend. „Koshmar bat mich — unser Häuptling — sie meinte, ob. also, ob wir vielleicht. ob es möglicherweise möglich wäre, daß ihr.“

„Ja“, sagte Noum om Beng. „Wir haben dies vorausbedacht, daß ihr sie brauchen werdet. Es ist bereits geregelt. Vier Jung-Zinnobären sollen euch gehören, zwei männliche, zwei weibliche. Unser Abschiedsgeschenk. Trei Husathirn bringt sie euch in einer Stunde hinüber, und er wird deinen Leuten zeigen, wie man sie lenkt. und wie man sie züchtet. Das war dann doch alles, weswegen du kamst, nicht wahr, mein Sohn?“

„Ja, Vater.“

„Komm zu mir, Hresh!“

Hresh trat wieder näher und kniete vor dem alten Behelmten nieder. Noum om Beng erhob seine Hand, wie wenn er ihm einen allerletzten Schlag verabreichen wollte; dann aber lächelte er, schwächte den Schwung seines Armes ab und strich Hresh mit der Hand sanft und zärtlich über die Wange. Es war eine unmißverständliche Geste tiefster Zuneigung und Liebe. Dann bedeutete er ihm mit einem kaum merklichen Kopfnicken, daß er nun gehen dürfe. Es fiel zwischen den beiden weiter kein Wort. Aber dann, an der Tür, blieb Hresh stehen, und seine Augen trafen auf die roten Augen des Noum om Beng, doch ihm schien es, daß Noum om Beng ihn schon lange nicht mehr sehe und auch nicht mehr wisse, wer Hresh sei.

Als Hresh wieder in der Siedlung anlangte, war es bereits Mittag. Die Sonne schwebte in einem wolkenlosen Himmel. Hresh spürte, wie sich die Mittagsschwere heiß auf ihn niedersenkte wie ein schweres Tuch. Die winterliche Zeit voll Frost und Eiswinden lag weit zurück, in einer unendlich fernen Vergangenheit. Sein Fell war von Schweiß und Staub verklebt nach seinem Kuriergang zwischen der Siedlung und Dem Bezirk Dawinno Galihine. Sein Kopf hämmerte und tobte, die Augen schmerzten. Es kam ihm so vor, als hätte er seit einem Mond nicht mehr geschlafen.

Auf der Plaza herrschte hektisches Treiben, denn die Auflösung der Niederlassung näherte sich dem Höhepunkt. Aus den Behausungen wurden große Packballen gezerrt, Kisten wurden zugenagelt, die Räder der jüngst erst gebauten Wagen wurden geölt. Hresh sah Orbin unter drei ungeheuren Packen dahinschwanken; er sah Haniman hämmern wie ein hirnrissiger Halbidiot; Thrrouk brach eine Bresche in die Wand eines Hauses, das so alt sein mußte wie die halbe Ewigkeit, um ein Gepäckstück hindurchzuhieven, das für die Tür zu wuchtig ausgefallen war. Zwar hatte es einige brummige Widerworte gegen den Auszug gegeben — Haniman schien der Hauptvertreter der Opposition zu sein, er und noch ein paar andere, die Hresh damals nachts vor der Statue des Träumeträumers hatte knien sehen. aber trotzdem entzog sich nicht einer seiner Pflicht, bei den Vorbereitungen für den Aufbruch, für die Wanderschaft mitzuwirken. Die instinktive Kooperationsbereitschaft des Volkes war viel zu tief verwurzelt.

Taniane kam aus Koshmars Haus gestürzt und winkte ihm von der Schwelle her zu.

„Hresh! Hresh, hier bin ich!“

Und er ging zu ihr. Sie stand merkwürdig schief da, als hätte sie sich am Rücken verletzt; die Schultern waren ganz hochgezogen, die Ellbogen eng an die Flanken gepreßt. Ihre Lippen zitterten. Sie trug eine blutrote Leibbinde, die er nie zuvor an ihr gesehen hatte.

„Was ist denn?“ fragte Hresh. „Was ist passiert?“

„Koshmar.

„Ja, ich weiß. Es geht ihr sehr schlecht.“

„Sie stirbt. Wenn sie nicht schon tot ist. Torlyri ist bei ihr da drin. Aber sie will auch dich bei sich haben.“

„Bei dir alles in Ordnung, Taniane?“

„Das macht mir angst. Aber es geht schon. Bist du in Ordnung?“

„Ich hab nicht geschlafen. Und ich war bei den Beng, um sie zu bitten, uns ein paar Zinnobären abzugeben. Trei Husathirn wird sie bald rüberbringen.“

„Wer?“

„Torlyris Mann. Wir gehen besser hinein.“

Sie hielt ihn einen Augenblick lang fest. Ihre Hände schoben sich unter seine Arme, faßten ihn an den Ellbogen. So flüchtig die Berührung war, sie ließ einen stark geladenen Energiestrom zwischen ihnen fließen. Hresh fühlte die Stärke ihrer Liebe, und sie war ihm eine Stütze in seiner Erschöpfung. Dann trat Taniane beiseite, und er ging in die kleine Behausung der Stammesführerin.

Torlyri saß neben Koshmar. Die Opferpriesterin hatte den Kopf gesenkt, und sie hob ihn auch nicht, als Hresh hinter sie trat. Koshmars Augen waren geschlossen; die Arme lagen über den Brüsten gekreuzt; in den festgeschlossenen Fingern umklammerte sie immer noch Thaggorans Amulett. Noch schien sie zu atmen. Hresh legte Torlyri sacht die Hand auf die Schulter.

Die Opferpriesterin sagte: „Das ist alles meine Schuld und mein Fehl. Ich hatte einfach keine Ahnung, daß sie so krank ist.“

„Ich glaube, das Unheil überkam sie sehr rasch.“

„Nein. Sie muß es schon lange Zeit mit sich getragen haben. Es frißt sie von innen heraus auf. Und ich wußte nichts davon, nichts, bis zum heutigen Tag! Wie konnte es nur geschehen, daß ich es nicht gesehen habe? Nicht einmal, wenn wir tvinnerten? Wie konnte ich sie dermaßen vernachlässigen?“

„Torlyri — das sind in diesem Augenblick Fragen, die zu nichts führen.“

„Gerade in der letzten Stunde verlor sie das Bewußtsein. Heute morgen war sie doch noch völlig klar und da.“

„Ich weiß“, sagte Hresh. „Ich war bei ihr, und wir haben heute früh miteinander gesprochen. Sie sah krank aus, aber sie war keineswegs in diesem Zustand.“

„Du hättest mich suchen lassen sollen, damit ich es wußte.“

„Sie befahl, daß keiner etwas davon wissen sollte, Torlyri. Und ganz besonders du solltest nichts davon erfahren.“

Daraufhin hob Torlyri den Kopf. Ihre Augen blickten wild und wie irre; sie sah aus, daß Hresh sie kaum als die ruhige, sanfte Torlyri erkannte, die er sein Leben lang gekannt hatte. Zornig fuhr sie ihn an: „Und du, du hast getan, was sie dir befahl!“

„Sollte ich meinem Häuptling nicht gehorchen? Besonders da es ihr letzter Sterbenswunsch war?“

„Sie wird nicht sterben!“ sagte Torlyri hartnäckig. „Wir werden sie heilen, du und ich. Du kennst dich in den Künsten aus. Du wirst dein Können mit dem meinigen verbinden. Geh! Geh und hole den Barak Dayir! Er muß doch eine Verwendung haben, die auch hier nützlich ist und die uns helfen kann, sie zu retten!“