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Harruels Verteidigungsplan sah vor, daß alle — außer den Kleinkindern und der verwundeten Galihine — den Feind oben am Kraterrand erwarten sollten. Wenn die Eindringlinge sich zu nahe heranschöben, würden die Verteidiger sich in die Waldzone dicht unterhalb des Kraterrandes zurückziehen und mit ihrer Hauptstreitmacht jeden Hjjk zu töten versuchen, dem es gelang, über die hastig aufgestellte Hilfsbarrikade aus Gestrüpp und kräftigen Schlingpflanzen zu klettern, mit welcher der Stamm seinen Krater umgeben hatte. Sollten zu viele Hjjk durchdringen, würde man sich mehr und mehr auf die innere Wehrpalisade zurückziehen; und sollte die Lage sich noch gefährlicher entwickeln, würde man sich entweder innerhalb der Stadt eingraben und der Hjjk-Belagerung zu widerstehen versuchen, oder aber sich über den Südpfad in die dichten Wälder absetzen, wo man verstreut und versteckt abzuwarten gedachte, bis man gefahrlos wieder herauskommen könnte.

Salaman erschienen diese listenreichen Taktikpläne allesamt absurd und sinnlos. Jedoch ihm selbst fiel auch nichts Erfolgversprechenderes ein.

„Alle Mann an den Rand!“ brüllte Harruel mit gewaltiger Stimme. „Yissou! Yissou! Die Götter mögen uns schützen!“

„Also komm, Liebste!“ sagte Salaman. „Gehn wir auf unsern Posten!“

Er hatte sich die Stelle erbeten, und sie war ihm gewährt worden, die am Kraterrand seinem persönlichen Ausguck am nächsten lag, jenem Hochsitz, von dem aus er die Visionen der hereinbrechenden Horden gehabt hatte. Er fühlte sich dieser Stelle zutiefst verbunden, und da er ziemlich gewiß war, daß er heute sterben würde, und zwar schon beim ersten Ansturm der Hjjk, wie alle anderen aus der Stadt, hatte er sich diese Stelle des Kraterrandes ausgesucht, um hier den Tod zu finden. Stumm kletterte er nun mit Weiawala dort hinauf.

Als sie den Rand erreicht hatten, hielten sie inne, denn dicht dahinter lag die Dornenbarriere, das Gestrüpp, das sie während der letzten Tage so mühsam aufgeschichtet hatten, um das Vordringen der Hjjk zu bremsen. Doch dann überkam ihn plötzlich ein merkwürdiger Anfall von Neugier, ein abrupter überwältigender Hreshianischer Drang, sich dem Unerwarteten zu stellen, und er sprang über den Rand und begann sich durch das Dornengestrüpp einen Weg zu bahnen.

„Waaas machst du denn da?“ schrie Weiawala. „Du sollst doch nicht da draußen sein, Salaman!“

„Ich muß sehen — einen letzten Blick.“

Sie rief ihm noch etwas zu, aber der Wind riß ihre Stimme mit sich fort. Er hatte die Barrikade nun hinter sich gelassen und lief auf seinen Hochsitz zu. Atemlos, stolpernd hastete er hinauf.

Von hier aus lag alles gut sichtbar unter ihm.

Im Süden lagen die rundbuckeligen grünen Berge. Im Westen lag fern die See, ein goldener Streifen in der frühnachmittäglichen Sonne. Und im Norden, wo sich ein weites Hochplateau unendlich bis zum Horizont erstreckte, sah er die Invasoren. Sie waren wohl immer noch eine, vielleicht auch zwei Marschstunden entfernt, aber über ihre Zielrichtung konnte es keinen Zweifel geben: sie strebten schnurgerade auf das weite Weideland zu, in dessen Mitte der Krater lag. Und es war eine unzählbare Masse. Zinnobären und Hjjk, Hjjk und Zinnobären, aus dem Norden ergoß sich eine erstaunliche, eine erschreckende Prozession von solcher Länge, daß Salaman ihr Ende nicht zu erkennen vermochte. Es gab da eine zentrale Marschkolonne von Zinnobären in dichter Formation, die Nasen der einen dicht am Schwanz derer vor ihnen; eine breitgefächerte flankierende Marschkolonne von Hjjks zu beiden Seiten der Tiere; und zwei weitere Zinnobären-Formationen am äußeren Rand der heranziehenden Streitmacht. Sowohl die Insekten-Wesen wie die riesigen Zotteltiere bewegten sich in straffer Ordnung und in stetigem Rhythmus vorwärts.

Salaman richtete sein Sensororgan auf und tastete vermittels des Zweiten Gesichts hinaus, um den Umfang seiner Wahrnehmungen über die nahende Streitmacht zu erweitern. Sofort bekam er die bedrückende bedrohliche Macht und Gewalt des nahenden Feindes in ganzer Stärke zu spüren: das unendliche lastende Gewicht der Überzahl.

Aber — was war denn das? Nun spürte er etwas Unerwartetes, etwas, das dem Klang der massiven Ausstrahlung zuwidertönte, die von der Invasorenarmee ausging. Er runzelte die Stirn. Er spähte nach rechts, in den dichten Urwald, der diesen Landstrich von jenem trennte, in dem Vengiboneeza lag.

Jemand kam aus dieser Richtung näher.

Er strengte sich stark an, um die Reichweite seines Zweiten Gesichts zu vergrößern. Verwirrt, bestürzt tastete er nach dem Ursprung der unerwarteten Sinneswahrnehmung. Er tastete sich weiter vor. weiter. weiter.

Berührte etwas, das strahlend war und mächtig und das er als die Seele des Hresh-Antwortfinders erkannte.

Er berührte Taniane. Berührte Orbin. Berührte Staip. Berührte Haniman. Berührte Boldirinthe. Praheurt. Moarn. Kreun.

Götter! Ja, waren sie denn allesamt dort? Der ganze Stamm? Aus Vengiboneeza kommend? Heute? Im Anmarsch auf Yissou City? Aber — Torlyri konnte er nicht ausmachen. Und er fand keine Spur von Koshmar, und dies verwirrte ihn sehr; doch nun fühlte er auch die übrigen, Dutzende, alle, die aus dem Kokon zusammen mit ihm ausgezogen waren beim Großen Aufbruch. Sie waren alle da, kamen alle immer näher.

Es war unglaublich! Sie kommen gerade rechtzeitig, dachte er, um mit uns zusammen von den Hjjk ausgelöscht zu werden. Wir sind alle gemeinsam in die Welt aufgebrochen — nun sollen wir also alle zusammen sterben.

Ihr Götter! Warum nur waren sie gekommen? Und warum mußte es ausgerechnet heute sein?

Der Tag des Aufbruchs aus Vengiboneeza war endlich gekommen — Wochen, nachdem der Beschluß dazu offiziell verkündet worden war —, und es war wie ein Donnerschlag gewesen, der lang nach einem verheerenden Blitz erst krachte. Nach all den Wochen voller auslaugender mühsamer Schufterei, als es schon beinahe so aussah, als werde der Abbruch der Siedlung endlos immer und immer weitergehen, war der Auszugstermin endlich greifbar nahe, der Tag war da; was unerledigt war, mußte nun für ewig unerledigt bleiben; denn wieder einmal, zum zweitenmal, würde das Volk zu einem großen Exodus aufbrechen.

Taniane trug die Maske, die der kundige Künstler und Bildwerker Striinin gefertigt hatte: die Maske der Koshmar, mit starken Kinnbacken, schweren Lippen, gewaltig ausschwingenden Wangenbeinen, mit dunkelschimmernder Oberfläche aus poliertem Ebenholz — nicht eine Porträtmaske der dahingegangenen ehemaligen Stammesführerin, sondern das Bild ihrer unbezwingbaren Seele, durch die die düsteren durchdringenden Augen Tanianes glühten wie Fenster, die sich zu weiteren Fensterfluchten öffnen. In ihrer Linken hielt Taniane den Stab des Aufbruchs, den Boldirinthe unter den Reliquien aus der Zeit des Auszugs aus dem Kokon ausgegraben hatte; in der rechten Hand hielt sie Koshmars Speer mit der Obsidianspitze. Sie wandte sich Hresh zu.

„Wie lange noch, bis die Sonne aufgeht?“

„Nur noch ein paar Minuten.“

„Sobald wir das Licht sehen, will ich den Stab erheben. Und wenn jemand zaudert, so schickt Orbin hin, er soll ihm einen Schubs geben.“

„Der steht bereits da hinten bereit und überprüft sie alle.“

„Wo ist Haniman?“

„Bei Orbin“, sagte Hresh.

„Er soll zu mir kommen.“

Hresh gab das Signal durch das Glied nach hinten bis zu Orbin, wies auf Haniman und nickte. Die beiden Krieger wechselten ein paar kurze Worte; dann kam Haniman in seiner seltsam schwerfüßigen Bewegungsart nach vorn gelaufen.