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„Du willst mir was sagen, Hresh?“

„Nur einen Augenblick, ja?“ Hresh senkte die Augen in die Hanimans und hielt seinen Blick fest. „Es ist mir klar, daß du nicht gerade begeistert davon bist, mit uns fortzuziehen.“

„Hresh, nie.“

„Aber, ich bitte dich, nein, Haniman! Es ist doch kein Geheimnis für mich, daß du über den Auszug maulst und brummst, seit Koshmar ihn verkündete.“

Haniman wirkte verlegen und unsicher. „Aber habe ich jemals gesagt, daß ich nicht mitgehen will?“

„Gesagt hast du es nicht, das stimmt. Aber was dir auf dem Herzen liegt, war ja schließlich auch für keinen ein Geheimnis! Wir können auf dem Langen Marsch keine unzufriedenen Störenfriede brauchen, Haniman. Ich will dir also sagen, wenn du hierbleiben willst, dann bleibe.“

„Um unter den Beng zu leben?“ „Um unter den Beng zu leben, ja.“

„Mach dich nicht lächerlich, Hresh. Wohin das Volk geht, da will auch ich hingehen.“

„Bereitwillig? Guten Willens?“

Haniman zögerte. „Aus ganzem Herzen“, sagte er dann.

Hresh streckte ihm die Hand entgegen. „Wir brauchen dich nämlich, weißt du. Dich und den Orbin und Staip — ihr seid unsere Stärke von nun an. Und vor uns liegen Berge von Mühsal. Wir schicken uns an, eine Welt zu erbauen, Haniman.“

„Wieder zu erbauen, meinst du.“

„Nein. Wir bauen alles neu und von Anfang an. Neu. Alles beginnt neu! Von der alten Welt ist nichts übrig, außer Trümmern. Aber Menschen haben seit Millionen Jahren immer wieder neue Welten errichtet — über den Ruinen der alten. Und genau das werden wir tun müssen, wenn wir uns für Menschen halten wollen.“

„Wenn wir uns für — Menschen halten wollen?“

„Menschen, genau“, sagte Hresh.

Über den Spitzen der Gebirgswand tauchte plötzlich das erste rötliche Morgenglühen auf.

„Achtung! Marschbereit!“ rief Taniane. „In Reih und Glied! Abstand einhalten! Alle bereit?“

Haniman trabte an seinen Platz zurück. Taniane und Hresh übernahmen die Spitze, dahinter folgten die Krieger, dann die Arbeiter und die Kinder, und ganz am Schluß der Train, die Wagen, schwerbeladen, welche die riesigen sanften Zinnobären ziehen sollten. Hresh warf einen Blick zurück zu den hohen dunstumwehten Türmen Vengiboneezas und auf die breiten Flanken des Bergmassivs hinter ihnen. Am Rande der Siedlung standen einige Benge und schauten ihnen schweigend zu. Torlyri stand bei ihnen. Auf dem Kopf trug sie einen kleinen eleganten, spiegelblank blitzenden Helm aus Rotmetall. Was für ein seltsamer Anblick — Torlyri unter einem Helm! Hresh sah, wie sie die Hände hob und die heiligen Zeichen in die Luft schrieb: den Mueri-Segen, den Friit-Segen, den Emakkis-Segen. Den Segen Yissous. Er wartete, und als sie dann das letzte Segenszeichen schlug, das des Dawinno, trafen sich ihrer beider Augen, und sie sandte ihm ein warmes liebevolles Lächeln. Und dann sah er, wie ihre Augen sich mit Tränen füllten, und sie wandte sich ab, trat hinter die behelmten Beng und entschwand seinen Blicken.

„Singt!“ rief Taniane. „Singt alle! Auf geht’s! Singt!“

Dies war vor Wochen gewesen. Das ruhmreiche Vengiboneeza schien nur mehr ein verblassender Traum, eine dünne Erinnerung zu sein, und Hresh bedauerte nicht mehr, daß er die dortigen wundersamen Schätze hatte zurücklassen müssen. Nicht ganz so glatt war er mit dem schweren Doppelverlust von Koshmar und Torlyri fertig geworden. Torlyris sanfte Wärme und Koshmars wilde Stärke — verloren gegangen wie durch eine furchtbare Amputation, und an der Stelle, die sie einst im Stamm eingenommen hatten, gähnte eine tiefe Leere. Immer noch fühlte Hresh Torlyris gütige Nähe schwach über dem Stamm schweben, während sie in süd- und westlicher Richtung von Vengiboneeza davonzogen, aber Koshmars Geist war fort, ganz und gar verschwunden, und dies zu ertragen, das war sehr schwer.

Keiner machte Taniane die Führung streitig, keiner zog seine eigene Stellung in Zweifel. Sie schritten an der Spitze des Stammes einher. Taniane erteilte die Befehle, doch sie beriet sich häufig mit Hresh, der an jedem Tag die Marschrichtung wählte. Es fiel ihm leicht genug, die Route aufzuspüren, denn wenn auch mehr als vier ganze Jahreszyklen verstrichen waren, seit Harruels kleine Horde hier dahingezogen war, so hing doch der Widerhall ihrer Seelen noch immer in den Wäldern, und mit ganz minimaler Unterstützung durch den Barak Dayir konnte Hresh sie mühelos hören und ihren Signalen folgen. Und nun, da sie das Waldland hinter sich ließen, benötigte er den Wunderstein gar nicht mehr, um Harruel zu finden. Das umdüsterte Herz des Königs dort drunten im Grasland strahlte eine grelle unüberhörbare Musik aus.

„Nur noch ein kleines Stück“, sagte Hresh. „Ich fühle ihre Nähe rings um mich herum.“

„Die der Hjjk?“ fragte Taniane. „Oder die Harruels und seiner Leute?“

„Beide. Die Hjjk in unendlicher Zahl, nördlich von uns. Und Harruels Stadt direkt vor uns, unterhalb von uns, dort in jener runden Vertiefung im Grasland. Genau in der Mitte, wo es dunkel ist von Vegetation.“

Taniane starrte vor sich hin wie blind. Nach einiger Zeit sagte sie: „Besteht überhaupt Hoffnung auf Erfolg, Hresh? Oder sollen wir alle von diesen Insektenmillionen verschlungen werden?“

„Die Götter werden uns schützen.“

„Ach ja? Werden sie es wollen?“

Hresh lächelte. „Ich habe sie alle einzeln befragt. Sogar Nakhaba.“

„Nakhaba!“

„Ich würde sogar den Gott der Hjjk anflehen, uns freundlich gesonnen zu sein, wenn ich seinen Namen wüßte. Und den Gott der Zinnobären. Den Gott der Wasserläufer, Taniane. Die Götter der Großen Welt. Den unbekannten, unenträtselbaren Allerschaffer, den Schöpfergott. Man kann gar nicht genug Götter auf seiner Seite haben.“ Er ergriff sie an ihrem weichen Oberarm und zog sie eng an sich, so daß sie die Überzeugung erkennen konnte, die in seinen Augen glomm. Mit leiser Stimme sagte er dann: „Alle die Götter werden uns heute beschützen, denn was wir tun, tun wir auf ihr Geheiß. Aber seinen ganz besonderen Schutz wird uns Dawinno zuteil werden lassen, der eine ganze Welt entvölkert und vernichtet hat, auf daß wir sie als Erbe übernehmen können.“

„Du scheinst dir da dermaßen sicher zu sein, Hresh. Ich wollte, ich könnte dies ebenfalls.“

Sicher? Einen wilden Augenblick lang fühlte er sich von Zweifeln überwältigt und fragte sich, ob er wirklich auch nur ein Wort von dem glaube, was er da gesagt hatte. Die Wirklichkeit ihres Unterfangens, das sie sich da aufgeladen hatten, schien ihm auf einmal voll bewußt zu werden, und seine Willenskraft, die ihn bis hierher getragen hatte, schien zu erlahmen. Vielleicht kam dies von den Ausstrahlungen jener unzähligen Hjjk in weiter Ferne, die auf seine Seele niederprasselten. Oder aber es war einfach die plötzliche Erkenntnis, welch eine nie endenwollende Arbeit ihm bevorstehe, wenn er alles das leisten wollte, was zu erschaffen er sich erhoffte.

Er schüttelte sich den Kopf frei. Nein, sie würden am heutigen Tage obsiegen — und an allen künftigen Tagen. Er dachte an seine Mutter, Minbain, dort unten in dem Grasland, und er dachte an Samnibolon, seinen Bruder, Harruels Sohn, der den Namen von Hreshs lange totem Vater in eine neue Ära hinübertragen sollte. Nein, er würde nicht zulassen, daß sie alle heute stürben.

„Hier sollten wir das Lager aufschlagen“, beschied er Taniane. „Dann werden wir zwei allein weiter vorstoßen und die Verteidigungsmaßnahmen aufbauen.“

„Aber wenn uns Feinde entdecken, und wir gehen zugrunde, während wir dort draußen alleine sind, wer wird dann den Stamm führen?“

„Der Stamm hatte schon Anführer vor uns. Der Stamm wird auch nach unserem Tod Anführer finden können. Und außerdem, nichts wird uns an Übel geschehen, während wir tun, was wir tun müssen.“ Hresh ergriff sie an beiden Armen, genau wie sie ihn am Todestag Koshmars gehalten hatte, und verströmte Kraft in sie hinüber. Tanianes Schultern strafften sich, ihre Brust hob sich heftiger mit ihrem volleren Atem. Dann lächelte sie und nickte. Sie wandte sich um und gab das Zeichen, das Volk möge anhalten und hier für die Nacht lagern.