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„Da, schaut!“ sagte einer. „Was ist denn das?“ „Ihr Götter!“ schrie Harruel. „Ein Schwert im Himmel!“

Und wirklich, es erschien nun etwas Neues — eine blendendweiße Sichelklinge aus Licht, eine Sichel aus Eis glitt über den fernen Berg in ihr Gesichtsfeld. Ringsum lagen alle vom Stamm auf den Knien, brabbelten, stammelten verzweifelte Opfergebete zu dem großen schweigenden schwebenden Ding empor, das in kaltem blau weißen Schein über ihnen glühte.

„Der Mond!“ rief Thaggoran. „Das ist der Mond!“

„Der Mond ist rund wie ein Ball, hast du uns jedenfalls immer gesagt“, protestierte Boldirinthe.

„Aber er wechselt“, erklärte Thaggoran. „Manchmal ist er so wie jetzt, und manchmal ist sein Gesicht eben runder.“

„Mueri! Ich spüre das Licht des Mondes auf meiner Haut!“ jammerte einer der Männer. „Werde ich zu Eis erstarren, Thaggoran? Was wird geschehen? Was wird es mit mir machen? Oooh, Mueri-Friit-Yissou!“

„Ihr braucht euch nicht zu fürchten“, sagte Thaggoran. Doch er selbst zitterte nun gleichfalls. So vieles hier ist so fremd, dachte er. Wir sind in eine andere Welt eingetreten. Und wir stehen hier nackt unter diesen Sternen und diesem Mond, und wir wissen nichts, auch ich nicht, nicht einmal ich weiß etwas, und alle Dinge sind neu, und alle Dinge sind furchtbar.

Er trat zu Koshmar. „Wir sollten jetzt das Lager aufschlagen“, sagte er. „Es ist zu dunkel, um weiterzumarschieren. Und dann haben sie etwas zu tun, während die Nacht über uns kommt.“

„Was wird geschehen, wenn die Nacht kommt?“ fragte Koshmar.

Thaggoran zuckte die Achseln. „Schlaf wird kommen in der Nacht. Und dann kommt der Morgen.“

„Wann?“

„Wenn die Nacht getan ist“, sagte er.

In dieser ersten Nacht lagerten sie in einer Senke bei einem dünn dahinrieselnden Bach. Und wie Thaggoran vorhergesagt hatte: Die Arbeiten des Haltmachens, Auspackens und das Anlegen eines Lagerfeuers lenkten den Stamm von seinen ängstlichen Befürchtungen ab. Jedoch hatten sie sich kaum zur Ruhe niedergelassen, als irgendeine Art vielgelenkiger Insekten von der Länge eines Mannsbeines und mit riesigen vorgewölbten gelben Augen und mächtigen grünen Beinen, an deren Spitzen ekelhaft scharfe Klauen saßen, aus niedrigen Hügeln in der Nähe über die Erde zu strömen begannen. Das Licht des Lagerfeuers zog die Geschöpfe an, so schien es, oder aber die Wärme der Flammen. Sie sahen wild aus und häßlich-bösartig, und mit den glänzendroten Kiefern vollführten sie einen scheußlichen schnappenden Lärm. Die Kinder und auch einige der Frauen rannten kreischend vor ihnen davon; aber Koshmar trat hervor und durchbohrte furchtlos eines der Tiere mit einem verachtungsvollen Stoß ihres Speeres. Das Tier hämmerte seine beiden Enden erbärmlich eine Weile auf die Erde, ehe es starr wurde. Die anderen, die gesehen hatten, was ihrem Gefährten geschehen war, krochen ein Dutzend oder mehr Schritte zurück und starrten von dorther dumpf herüber. Und nach einer weiteren Weile wichen sie wieder in ihre Erdlöcher zurück und wurden von da an nicht mehr gesehen.

„Das sind Grünklauen“, sagte Thaggoran hastig — er hatte den Namen soeben erfunden —, bevor Koshmar ihn fragen konnte. Es war ihm peinlich, daß er die Namen der zwei Spezies nicht kannte, die ihnen als erste Geschöpfe auf ihrem Auszug in die Welt begegneten. Und im ‚Bestiarium‘ hatte auch nichts über diese Kreaturen gestanden. Dessen war er sicher.

Koshmar briet die tote Grünklaue über dem Feuer dieser Nacht, und sie und Harruel und ein paar andere Mutige kosteten von dem Fleisch. Sie gaben an, es besitze keinen besonderen großartigen Eigengeschmack, aber ein paar holten sich dennoch eine zweite Portion. Thaggoran selbst lehnte mit taktvollem Dank seine Zuteilung ab.

Während der Nacht stellte sich eine weitere ärgerliche Störung ein: kleine rundliche Geschöpfe von der Größe eines menschlichen Daumenpolsters, die sich in gewaltigen Wahnsinnssprüngen vorwärtsbewegten, obwohl sie keine sichtbaren Beine zu haben schienen. Wenn sie auf dem Leib eines Menschen landeten, bohrten sie sich sogleich tiefer in den Pelz und versenkten ihre winzigen Zähnchen in das Fleisch, was eine sensorische Reaktion wie von brennendheißen Kohlen hervorrief. Aus dieser und jener Richtung des Lagers hörte man laute Aufschreie ärgerlichen Unwillens oder von Schmerz, bis schließlich alle wachgeschrieen waren und das Volk sich in einem Kreis versammelte, um sich gegenseitig von dem Ungeziefer zu befreien, wobei sie die Plagetiere zwischen Zeigefinger und Daumen zerquetschten, nachdem sie sie unter einigen Schwierigkeiten aus dem Pelz des Geplagten herausgelöst hatten. Thaggoran bedachte sie mit dem Namen ‚Feuerkletten‘. Sie verschwanden mit dem Morgengrauen.

Der fahle Morgenschein holte Thaggoran aus einem unruhigen Schlaf. Fast schien es ihm, er habe überhaupt nicht geschlafen, aber dennoch konnte er sich an Träume erinnern: Gesichte von Gesichtern, die mitten in der Luft schwebten, eine Frau mit sieben furchtbaren roten Augen. an ein Land, in dem Zähne aus der Erde wuchsen. Er schmerzte am ganzen Körper. Die Sonne — sie sah klein, fest und abweisend aus — lag wie eine unreife Frucht auf dem gezackten Bergkamm im Osten. Er sah weit entfernt Torlyri, die das Morgenopfer darbrachte.

Kaum einer sprach ein Wort, als sie das Lager abbrachen. Wohin immer er auch blickte, Thaggoran sah nur bleiche, ausdruckslose Gesichter. Alle kämpften sichtlich mit der Kälte, der nachwirkenden Erschöpfung des Marsches vom Vortag, mit der ärgerlichen Schlafstörung durch die Feuerkletten, mit der Unvertrautheit der umgebenden Landschaft. Viele bedrückte die überwältigende Weite der Landschaft. Thaggoran sah, wie sie sich die Hände vor das Gesicht legten, als mühten sie sich, auf diese Weise einen persönlichen Kokon für sich zu schaffen.

Er selbst fühlte seine Seele bedrückt von dem kahlen, unfruchtbaren Terrain und dem scharfen, beißenden Klima. War dies denn wirklich der Neue Frühling? Oder hatten sie ihr kleines Nest im Berg zu früh verlassen und waren vorzeitig aufgebrochen in eine unwirtliche Winterszeit und in den sicheren Tod? Vielleicht sollten sie das ‚Buch der Unseligen Morgenröte‘ oder das ‚Buch des Kalten Erwachens‘ noch einmal ganz neu schreiben müssen.

Die Schimmersteine hatten dazu keine eindeutige Antwort geliefert. Seine Weissagungsversuche hatten in Zweideutigkeiten und Ungewißheit geendet, wie dies bei derartigen Unterfangen ja oft der Fall ist. „Ihr müßt hinausziehen“, hatten die Steine ihm befohlen, aber soviel hatte Thaggoran auch bereits selbst gewußt: denn hatten sich die Eisfresser nicht praktisch schon bis zu ihnen durchgefressen? Andererseits aber hatten die Steine auch nicht geweissagt daß sie in Glückseligkeit ausziehen würden, noch auch, daß dies der rechte Zeitpunkt sei.

Er entfernte sich von den anderen und schrieb für einige Zeit an der Chronik. Während er an der offenen Lade kauerte, die Hände über dem Buch, trat Hresh zu ihm, doch der Knabe stand nur da und schwieg, als fürchte er, ihn zu stören. Als Thaggoran geendet hatte, blickte er auf und sagte: „Nun? Möchtest du auch gern etwas auf diese Blätter schreiben, Knabe?“

Hresh lächelte ihm ins Gesicht. „Wenn ich das nur könnte.“

„Oh, ich weiß wohl, daß du schreiben kannst.“

„Aber nicht in deine Chronik, Thaggoran. Ich trau mich nicht, die Chronik zu berühren.“

Thaggoran sagte lachend: „Du klingst so fromm, Knabe.“

„Tu ich das?“

„Aber ich lasse mich trotzdem nicht täuschen.“

„Nein“, sagte Hresh. „Ich möchte nicht gern den Chroniken Schaden zufügen, indem ich versuche, etwas hineinzuschreiben. Ich könnte ja etwas Dummes niederschreiben, und dann würde man in all den kommenden Jahren lesen, was ich geschrieben habe, und sie könnten sagen: Der Narr Hresh hat diesen Blödsinn da verfaßt. Allerdings würde ich gern die Chroniken lesen können.“