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Trotzdem traf es Thaggoran nicht als große Überraschung, daß auch die Hjjks den Winter überlebt hatten. Es entsprach genau dem, was die Chroniken vorhergesagt hatten. Man hatte erwartet, daß das Hjjk-Volk die schweren Zeiten überdauern werde. Es handelte sich bei ihnen um geborene Überlebenskünstler. In den Tagen der Großen Welt waren sie eines der Sechs Völker gewesen: Insekten-Wesen, das waren sie gewesen, blutlos und starr. Thaggoran hatte nichts Liebenswertes über sie gehört. Selbst über die weite Entfernung hin konnte er die Ausstrahlung des Hjjk-Männchens fühlen: dürr und kalt wie das Land, das sie durchzogen — gleichgültig, fremd und fern.

Koshmar trat zu ihnen. Auch sie hatte den Hjjk gesehen.

„Wir werden mit ihm reden müssen. Er weiß sicher Nützliches über die weitere Strecke. Meinst du, du kannst ihn zum Sprechen bewegen?“

„Hast du einen Grund anzunehmen, daß ich das nicht könnte?“ fragte Thaggoran brummig zurück.

Koshmar grinste. „Wirst wohl allmählich müde, Alter Mann?“

„Ich werde jedenfalls nicht als erster umkippen“, erwiderte er schroff.

Sie überquerten nun ein Stück versengter Erde: der Boden war sandig und barst knirschend unter dem Schritt, als sei hier seit Tausenden von Jahren kein Mensch mehr gegangen. Hie und da stachen spärliche starre blaugrüne Grasbüschel hervor, harte kantige Stengel mit einem glasigen Schimmer. Am Vortag hatte Konya ein Büschel auszureißen versucht und sich dabei die Finger zerschnitten, und er hatte es blutend und fluchend aufgegeben.

Den ganzen Nachmittag über, während sie den letzten Hang des Massivs hinabstiegen, konnten sie den Hjjk ausmachen, der stumpfsinnig unbeirrt auf sie zukam. Er stieß kurz vor der Dämmerung auf sie, als sie gerade den östlichen Rand des Graslandes erreicht hatten. Obgleich sie sechzig waren, er aber allein, hielt er an und wartete auf sie, das mittlere Paar seiner Arme über dem Thorax gekreuzt, scheinbar ohne Furcht.

Thaggoran starrte angespannt zu ihm hin. Sein Herz donnerte, die Kehle war ihm wie ausgebrannt vor Erregung. Nicht einmal der Auszug selbst hatte ihn so mitgenommen wie jetzt das Erscheinen dieses Geschöpfes.

Vor langer Zeit, in den herrlichen Tagen der Großen Welt, ehe die Todessterne kamen, hatten diese Insekten-Wesen gewaltige bienenstockähnliche Städte in Landstrichen erbaut, die für die Menschen und Pflanzlichen zu trocken waren, oder zu kalt für die Saphiräugigen, oder zu naß für die Mechanischen. Wenn niemand sonst einen Landstrich haben wollte, beanspruchten die Hjjk-Leute ihn für sich, und sobald sie ihn einmal in Besitz genommen hatten, gaben sie ihn nie wieder preis. Jedoch die Chronisten der Großen Welt hatten die Hjjk-Leute nicht für die Beherrscher der Erde gehalten, trotz all ihrer festen Beharrlichkeit und Anpassungsfähigkeit; nein, diesen Rang nahmen die Saphiräugigen ein, so stand es geschrieben. Die Saphiräugigen waren die Könige; danach kamen alle restlichen Völker, einschließlich der Menschen, die in irgendeiner noch urälteren Vorzeit ihrerseits selbst Könige gewesen waren.

Und die es nun wieder sein würden, jetzt nach ihrem Aufbruch. Aber die Saphiräugigen, das wußte Thaggoran, hatten den Winter nicht überdauern können, und die Menschen hatten sich in ihre Bunkerkokons zurückgezogen. Waren also die Hjjk-Leute durch Disqualifikation der Konkurrenten zu den Herren der Welt geworden?

In dem schwindenden Tageslicht verbreitete der Leib des Hjjk einen stumpfen Schein, als ob er aus poliertem Stein wäre. Von der Spitze bis zum Ende war sein langer Körper mit abwechselnd gelben und schwarzen Streifenbändern bedeckt — und er war schlank und hochgewachsen, größer sogar noch als Harruel — und sein hartes, kantiges, scharfnasiges Gesicht sah der Lirridon-Maske sehr ähnlich, die Koshmar am Tag des Auszugs aus dem Kokon getragen hatte. Die riesenhaften facettenreichen Augen schimmerten wie dunkle Schimmersteine. Dicht unter ihnen baumelten die Segmentschlingen der leuchtend-orangefarbenen Atmungsröhren zu beiden Seiten des Schädels.

Der Hjjk-Mann betrachtete sie schweigend, bis sie nahe bei ihm angelangt waren. Dann sprach er seltsam interesselos: „Wo zieht ihr hin? Es ist eine Torheit für euch, hier zu wandern. Hier draußen wird euch der Tod ereilen.“

„Nein“, widersprach Koshmar. „Der Winter ist vorbei.“

„Das mag sein, wie es mag, ihr werdet sterben.“ Die Stimme des Hjjk-Mannes war ein trockenes raschelndes Summen, aber, wie Thaggoran nach einem Augenblick begriff, es war keine Vokaläußerung, sondern der Mann sprach in ihrem Geist, er redete sozusagen vermittels des Zweiten Gesichts zu ihnen. „Direkt hinter mir im Tal dort wartet euer Tod auf euch. Zieht weiter und erfahrt, ob ich euch belogen habe.“

Und ohne ein weiteres Wort setzte er sich in Bewegung, um an ihnen vorbeizugehen, als habe er damit dem Volk das Maß an Aufmerksamkeit geschenkt, das dieses verdiene.

„Warte“, sagte Koshmar und stellte sich ihm in den Weg. „Sag uns, Hjjk-Mann, was für Gefahren vor uns lauern.“

„Das werdet ihr sehen.“

„Sag du es uns jetzt, oder du wirst in diesem Leben keinen Schritt mehr weiterwandern.“

Kühl antwortete der Hjjk: „In diesem Tal versammeln sich die Rattenwölfe. Sie gieren geifernd nach deinem Fleisch, denn du bist ein Volk aus Fle isch, und sie sind sehr hungrig. Laß mich vorbeiziehn.“

„Warte nur ein wenig“, sagte Koshmar. „Sag mir noch eins: Hast du bei der Durchquerung des Tals andere Menschliche gesehen? Stämme wie den unsrigen, die aus ihren Kokons hervorgehen, nun, da die Frühlingszeit gekommen ist?“

Der Hjjk-Mann vollführte ein summendes Geräusch, das möglicherweise Ungeduld ausdrücken sollte. Es war der erste Anflug einer Gefühlsregung, die er zeigte. „Wieso sollte ich dort Menschliche gesehen haben?“ fragte das Insekten-Geschöpf. „Dieses Tal ist kein Ort, an dem man Menschliche findet.“

„Du hast überhaupt keine gesehen? Nicht einmal einige wenige?“

„Du sprichst ohne Sinn und Bedeutung“, sagte der Hjjk. „Ich habe keine Zeit, sie mit solcher Zwiesprache zu verschwenden. Ich bitte dich nun noch einmal, laß mich vorbeiziehn.“ Thaggoran fing einen seltsamen Duft auf, ganz plötzlich, süß und scharf. Er sah auf dem gestreiften Abdomen des Hjjk-Männchens ein tröpfchenartiges braunes Sekret austreten.

„Wir sollten ihn lieber ziehen lassen“, sagte er leise zu Koshmar. „Er wird uns nichts weiter verraten. Und er könnte gefährlich werden.“

Koshmar ließ die Finger über den Speerschaft gleiten. Harruel, der dicht bei ihr stand, verstand dies als Stichwort, ergriff seinen eigenen Speer fester und fuhr mit den Pranken den Schaft auf und ab. „Ich spieß ihn auf, ja?“ murmelte er. „Ich ramme ihm den Speer genau mitten in den Leib. Soll ich, Koshmar?“

„Nein“, sagte Koshmar. „Das wäre ein Fehler.“ Langsam umschritt sie den Hjjk-Mann, den dieser Wortwechsel anscheinend völlig unberührt gelassen hatte. „Ein letztes Mal“, sagte Koshmar. „Sag mir, befinden sich keine weitere Menschenvölker in dieser Gegend? Es würde uns gewaltige Freude bereiten, sie aufzufinden. Wir sind herausgekommen und ausgezogen, um der Welt einen neuen Anfang zu geben, und wir sind auf der Suche nach unseren Schwestern und Brüdern.“

„Du wirst gar nichts Neues beginnen, denn die Rattenwölfe werden dich binnen Stundenfrist zerfleischen“, antwortete der Hjjk-Mann gleichmütig. „Und ihr seid Narren. Es gibt keine Menschlichen, Weib aus Fleisch.“

„Was du da sagst, ist widersinnig. Du siehst Menschen vor dir in eben diesem Augenblick.“