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Hresh versuchte sich auszumalen, wie sie aussehen würden. Vielleicht hatten sie gelbe Augen und einen grünen Pelz. Und vielleicht gab es Männer, die noch größer waren als Harruel. Und ihr Führer würde keine Frau sein, sondern ein junger Knabe. Und warum auch nicht? Es war doch ein andersartiger Stamm, oder? Die würden natürlich alles anders machen. Anstelle eines Alten Mannes im Stamm würden die drei Alte Frauen haben, die auf hellen Bögen von Grasglas die Chronik führten und unisono redeten. Hresh lachte. Und andere Namen als wir, ja, die würden sie auch haben. Sie heißen so irgendwie Migg-wungus und Kik-kik-kik und Pinnipoppim, entschied er, eben Namen, wie sie noch keiner je in Koshmars Stamm gehört hatte. Ein andrer Stamm! Sagenhaft!

Hresh bewegte sich inzwischen weniger vorsichtig weiter. In seiner Begierde, zum Ursprung der Stimmen vor ihm vorzustoßen, begann er sogar leicht zu traben und lief weiter in die dichter werdende Dunkelheit hinein.

Ein anderer Stamm, jawohl ja! Die Stimmen wurden nun deutlicher.

Er stellte sich vor, wie sie um ein qualmendes Lagerfeuer hockten, gleich dort, dort hinten, hinter dem nächsten Haufen Felsbrocken. Er sah sich selbst kühn in ihre Mitte schreiten. „Ich bin Hresh aus Koshmars Kokon“, würde er sagen, „und mein Stamm lagert gleich dort drüben. Es ist unsere Absicht, der Welt einen Neubeginn zu geben, denn jetzt ist der große Frühling angebrochen!“ Und sie würden ihn in die Arme schließen und ihm Samtbeerwein zu trinken anbieten, und sie würden zu ihm sagen: „Auch wir wollen der Welt einen neuen Anfang geben. Führe du uns zu deinem Häuptling!“ Und er würde lachend und rufend zum Lagerfeuer zurücklaufen und aus vollem Hals schreien, daß er andere Menschliche gefunden habe, einen ganzen Stamm davon, Männer und Weiber und Knaben und Mädchen, und sie hätten Namen wie Wigg-wungus und Kik-kik-kik und.

Plötzlich blieb er wie erstarrt stehen. Seine Nüstern bebten, sein Sensororgan stand stocksteif und bebend aufgerichtet. Etwas war falsch.

In der stillen Nacht hörte er die Laute des anderen Stammes nun inzwischen sehr deutlich. Und das waren sehr seltsame Laute: ein hohes pfeifendes, schnappendes Quieken, vermischt mit einem gedämpften röchelnden Schnüffeln. ein eigenartiges Lautgemisch, häßlich.

Nein, das war nicht die Stimme eines anderen Stammes. Nein!

Das waren überhaupt keine menschlichen Laute.

Hresh schickte sein Zweites Gesicht aus, so wie Thaggoran es ihn gelehrt hatte. Kurze Zeit blieb alles verschwommen und trübe, doch dann stimmte er seine Wahrnehmungen exakter ein, und das Tonbild wurde scharf. Dicht hinter den Felsbrocken da vor ihm hielt sich ein Dutzend Lebewesen auf. Ihre Leiber waren etwa so lang wie der eines Menschen, aber sie gingen auf allen vier Gliedmaßen, und von ihren Muskeln bekam er den Eindruck, als wären sie stark und schnell beweglich. Die starren, funkelnden roten Augen waren klein, hell und wild, die Zähne lang und scharf und ragten wie Dolche aus den schnurrbärtigen Schnauzen hervor. Auf der Haut trugen sie einen dichten grauen Pelz, und ihre Sensororgane ragten gerade an ihrem Hinterteil hervor und zuckten dort wie lange dünne rosafarbene und fast haarlose Peitschenschnüre.

Nicht-Menschliche. Oh, ganz bestimmt!

Sie bewegten sich in einem Kreis, um und herum, kriechend und gleitend, und ab und zu hielten sie inne, richteten die Schnauzen in die Höhe und schnüffelten. Hresh verstand die Sprache nicht, die sie sprachen, aber die Bedeutung wurde ihm von seinem Zweiten Gesicht klar genug nahegebracht:

„Fleisch-Fleisch-Fleisch-Fressen-Fressen-Fleisch-Fressen...“

Wie hatte der Hjjk-Mann gesagt? Die Rattenwölfe sammelten sich im Tal. Und sie gieren nach eurem Fleisch, denn ihr seid ein Fleischvolk, und sie haben großen Hunger. Koshmar hatte dabei nicht besonders aufgeschreckt gewirkt. Vielleicht hatte sie angenommen, der Hjjk-Mann lüge, vielleicht nahm sie an, daß es Geschöpfe wie Rattenwölfe gar nicht geben könne. Aber was sonst sollten denn diese schnüffelnden, raschelndhuschenden helläugigen Langzähne sonst sein? Wenn es nicht diese Rattenwölfe waren, vor denen der Hjjk-Mann sie zu warnen versucht hatte?

Hresh machte kehrt und rannte.

Um weitklaffende Felsenmäuler herum, an sandigen Bodenerhebungen vorbei und hinab zum ausgetrockneten Seegrund. er stolperte verzweifelt durch die Finsternis, verlor unterwegs in der Hast den Korb mit dem Brennholz und rannte, so schnell er nur konnte, zum Lagerfeuer seines Stammes zurück. Die Fremdheit des Dunkels griff nach ihm. Etwas Großes mit Flügeln und vorquellenden grüngoldnen Augen surrte um seinen Kopf. Er verscheuchte es mit einem Schlag und rannte weiter. Etliche hundert Schritte weiter erhob sich ein neues Etwas, das aussah wie drei lange schwarze Seile nebeneinander, vor ihm und wand und ringelte sich in dem kalten dünnen Licht der Sterne. Hresh schoß zur Seite, aber er blickte sich nicht um.

Außer Atem und keuchend stürzte er in die Mitte des Lagers.

„Die Rattenwölfe!“ schrie er und deutete mit der Hand in die Nacht. „Die Rattenwölfe! Ich hab sie gesehen!“ Und erschöpft fiel er fast vor Koshmars Füßen zu Boden.

Er fürchtete, daß sie ihm keinen Glauben schenken würden. Schließlich war er ja nur der wilde Hresh, der Mistbalg Hresh, Hresh-voller-Fragen, oder? Doch ausnahmsweise achteten sie diesmal auf ihn.

„Wo waren sie?“ verlangte Koshmar zu wissen. „Wieviele? Wie groß?“

Harruel gab alle — außer an die kleinsten Kinder — Speere aus. Thaggoran hockte am Feuer und richtete sein Sensororgan über den Trockensee, um die Ausstrahlung der Rattenwölfe zu ertasten.

„Sie kommen“, rief er Alte. „Ich spüre sie, sie kommen auf uns zu!“

Koshmar, Torlyri und Harruel bezogen Schulter an Schulter mit den griffbereiten Speeren an der westlichen Flanke des Lagers Stellung. Großartig sehen sie aus, dachte Hresh: die Stammesführerin, die Priesterin, der gewaltige Krieger. Neun weitere standen hinter ihnen, und hinter diesen eine weitere Reihe von neun Kämpfern, in deren Mitte sich die Kinder und die schwangeren Frauen drängten.

Hresh hörte, wie Koshmar die Fünf Himmlischen anrief, sah, wie sie die Fünf Zeichen schlug und danach das Zeichen Yissous des Beschützers immer und immer wieder von neuem. Auch er selbst murmelte ein Stoßgebet zu Yissous. Er als einziger im Stamm hatte die Rattenwölfe gesehen, ihre langen Schnauzen, die wilden kleinen Augen, die klingenscharfen Zähne.

Es trat ein langer Moment ein, in dem nichts geschah. Die Krieger, die den Zugang zum Lager bewachten, stapften in dichten Kreisen herum. Hresh begann sich zu fragen, ob er dort draußen in der Finsternis die Rattenwölfe vielleicht nur geträumt habe. Und er überlegte sich auch, wie streng Koshmar ihn bestrafen würde, sollte sich die Sache als ein falscher Alarm erweisen.

Aber dann war plötzlich der Feind über ihnen. Hresh hörte entsetzliche schrille pfeifende Schreie, und er roch einen merkwürdigen abscheulich dumpfigen Gestank; und einen Augenblick darauf, war der Feind ins Lager eingebrochen.

„Yissou!“ brüllte Koshmar. „Dawinno!“

Die Rattenwölfe kamen gleichzeitig von allen Seiten heran, sie heulten gellend, sie sprangen, sie knurrten, ihre Zähne blitzten.

Frauen begannen zu kreischen, auch ein paar der Männer. Keiner hatte je solche Tiere gesehen, Tiere, die sich von lebendigem Fleisch nährten und ihre Zähne als Waffe benutzten. Und keiner vom Volk hatte jemals vorher auf diese Weise kämpfen müssen, in einem echten Kampf, nicht nur eine kleine gesellschaftliche Rangelei unter Freunden, sondern ein Kampf ums Überleben. Im Kokon war es so einfach gewesen, so leicht, so sicher. Doch sie waren nicht länger im Kokon.

Das Wolfsrudel kreiste und kreiste um sie, als versuche es, die schwächeren Stammesangehörigen auszusondern und von den anderen zu trennen. Der säuerlich-faule Gestank der Feinde hing schwer in der Luft. Im flackernden Feuerschein sah Hresh die roten Knopfaugen, die langen kahlen Sensororgane, und sie sahen genauso aus, wie er sie im Zweiten Gesicht vor kurzem gesehen hatte, nur vielleicht noch widerwärtiger und abstoßender. Was für scheußliche Wesen, was für Ungeheuer!