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Die ganze Nacht hindurch sang das Volk die Totenklagen über den zwei gefallenen Stammesmitgliedern, und beim ersten Schimmer des Morgengrauens trugen sie die Leichname eine kleine Strecke nach Osten, hinauf in die Hügelhänge und sangen die Worte Dawinnos über ihnen und sangen die Worte von Friit und Mueri für sich selber. Und dann gab Koshmar das Zeichen, und sie brachen das Lager ab und zogen hinaus auf die weiten Ebenen, die westlich lagen. Koshmar wollte ihnen nicht sagen, wohin sie zögen, sie sagte nur, daß es der Ort sei, zu dem zu gelangen ihnen bestimmt sei. Und keiner wagte es danach, weitere Fragen zu stellen.

3. Kapitel

Eine Landschaft ohne Grenzen

Ein beißender Wind fegte schneidend über das trockene Flachland, riß den leichten Sandboden mit sich und wirbelte ihn zu dunklen Wolken auf. Hier wuchs beinahe überhaupt nichts: Es war, als hätte eine gewaltige Klinge die Oberfläche der Erde bis an die Wurzeln kahlgeschoren und alle fruchtbare Krume und alle kümmerliche Frucht davongekarrt.

Rechts von der Marschkolonne, nicht übermäßig weit entfernt, erstreckte sich ein Strang von blaugrünen niedrigen kahlen runden Hügeln. Links breitete sich ein endlos erscheinendes flaches Land bis zum Horizont. Es lag eine Schärfe in der Luft, und ihr Geschmack war ätzend. Aber der Tag war merklich wärmer als irgendeiner vordem. Es war in der dritten Woche des Auszuges.

In der nachmittäglichen Stille erhob sich ein seltsames Knurren, ein dumpfer Laut, wie keiner vom Volk ihn je vernommen hatte.

Staip wandte sich an Lakkamai, der an seiner Seite ging. „Die Berge dort reden zu uns.“

Lakkamai zuckte nur stumm die Achseln.

„Sie sagen: Kehrt um, kehrt um, kehrt um“, sagte Staip.

„Wie willst du das wissen?“ fragte Lakkamai. „Es ist doch bloß ein Geräusch.“

Auch Harruel hatte es gehört. Er blieb stehen, wandte sich dem Geräusch zu und beschattete die Augen gegen den Glast. Nach einer Weile beugte er sich dem Wind entgegen, schüttelte den Kopf, lachte und wies zu den Bergen hin.

„Mäuler“, sagte er.

Seine Augen waren außergewöhnlich scharf. Auch die anderen Krieger beschatteten die Augen wie er, doch sahen sie nur die Berge. „Was soll das heißen — Mäuler?“ fragte Staip.

„Vor den Bergen. Große sonderbare Tiere hocken dort und machen dieses Gebell. Sie haben keine Leiber, nur Mäuler“, sagte Harruel. „Seht ihr’s denn nicht?“

Inzwischen hatte auch Koshmar es gesehen. Sie trat neben Harruel und sprach: „Schau dir das an! Meinst du, sie sind gefährlich?“

„Ach, die sitzen bloß da“, sagte Harruel. „Und wenn sie sich nicht von der Stelle bewegen, dann können sie uns ja nichts tun, nicht wahr? Aber ich geh da mal rüber und inspiziere sie mal aus der Nähe.“ Er drehte sich um. „Staip! Salaman! Ihr kommt mit mir!“

„Darf ich auch mit?“ bat Hresh.

„Du?“ Harruel gluckste. „Dich werfen wir einem ins Maul und warten was passiert.“

„Bitte nicht“, sagte Hresh. „Aber darf ich mit?“

„Wenn es schon sein muß! Aber halt dich zurück, damit dir nichts geschieht.“

Sie gingen in langen Schritten über die Ebene auf die Berge zu, die drei Krieger und Hresh, und er hatte arge Mühe, mit ihnen mitzuhalten. In dichterer Nähe war das grunzende Bellen bedrückend laut, es ließ den Boden leise erbeben, und nun begriffen sie alle, daß Harruel sich über den Ursprung nicht getäuscht hatte. Am Fuße der Bergkette hockten in einer Reihe an die zehn, zwölf riesige schwarzblaue höckerförmige Wesen in gleichem, weitem Abstand zueinander. Es sah aus, als besäßen sie überhaupt keine Gliedmaßen oder Leiber, sondern wären nur unbewegliche riesenhafte Schädel mit stumpf glotzenden Augen. Und in regelmäßigem Rhythmus rissen sie die weiten Maulhöhlen auf und stießen ihre wummernden Unkenrufe aus.

Über die ganze Weite her nahten sich kleine Tiere, als wären sie von diesen dumpfen quäkenden Lauten mit unwiderstehlicher hypnotischer Kraft angezogen. Eins nach dem anderen trippelten oder krochen oder hüpften oder glitten sie ohne Zögern auf die großen Schädel zu und über den Rand der dunkelroten Unterkiefer und hinab in den schwärzlichen Schlund dahinter.

„Haltet euch zurück!“ befahl Harruel scharf. „Wenn wir zu dicht herangehen, werden wir vielleicht ebenfalls da hineingezogen.“

„Ich spüre kein Ziehen“, sagte Staip.

„Ich auch nicht“, versicherte Salaman. „Nur so ein winziges Kitzeln, vielleicht. Aber — Hresh! Hresh, komm zurück!“

Der Junge hatte sich immer weiter nach vorn geschoben, bis er vor den Kriegern stand. Und jetzt schritt er merkwürdig ruckartig über die Ebene auf die Kopfmäuler zu; mit zuckenden Schultern, und die Knie sausten bei jedem Schritt fast bis in Hüfthöhe empor. Das Sensororgan hatte er wie eine Schärpe um den Leib geschlungen.

„Hresh!“ brüllte Harruel.

Hresh befand sich inzwischen nicht weiter als fünfzig Schritt von dem nächsten Kopfmaul entfernt. Er bewegte sich wie ein Schlafwandler. Der Rhythmus des dröhnenden Brüllens beschleunigte sich. Der Erdgrund schwankte heftig. Harruel warf ärgerlich den Kopf zurück und stürzte vorwärts. Er faßte den Jungen um den Leib und hob ihn vom Boden hoch. Hresh starrte ihn blicklos an.

„Früher oder später wird dir deine Neugier den Hals kosten“, knurrte Harruel grimmig.

„Was? Was?“

„Der Junge ist ganz benommen“, sagte Staip. „Das Gedröhn — das hat ihn regelrecht reinziehen wollen.“

„Ich spür es jetzt auch“, sagte Salaman. „Wie eine Trommel, die uns ruft. wumm — wumm — wumm...“

Harruel blickte glotzäugig in fasziniertem Entsetzen zurück. Salaman hatte recht: der Lärm übte eine irgendwie magnetische Kraft aus und zog über die ganze Ebene her Lebewesen an sich, die von den Kopfmäulern verschlungen wurden. Abrupt bückte sich Harruel, packte einen Steinbrocken so groß wie seine Faust und warf ihn heftig auf das klaffende Maul zu. Aber der Wurf war um fünf oder zehn Schritte zu kurz geraten.

„Kommt!“ krächzte er laut. „Verziehen wir uns von hier und weg von dem Zeug da, bevor es zu spät ist!“

Und sie rannten wieder zurück zur Marschkolonne. Harruel trug Hresh unterm Arm, auf daß der nicht noch einmal unter den hypnotischen Zwang gerate und etwa wieder in sein Verderben zu stürzen versuche. Das Brüllen der gewaltigen Kopfmäuler in ihrem Rücken wurde lauter und fordernder, aber nur kurz, dann schwächte die Entfernung es ab.

Als die Männer wieder beim Stamm angelangt waren, fanden sie dort alles in Wirrwarr und Wirrsal Es hatte ein erneuter Angriff von Blutvögeln eingesetzt. Plötzlich waren die wildwütigen weißäugigen Wesen in einem dichten Schwarm aus der Düsternis im Osten herangekommen und wirbelten nun kreischend über den Köpfen der Menschen, auf die sie mit ihren rasiermesserscharfen Schnäbeln niederstießen. Delim kämpfte gegen eine Bestie an, die ihren ganzen Kopf mit hämmernden Flügelschlägen einhüllte, und Thhrouk wehrte sich gegen zwei Vögel gleichzeitig. Lakkamai schoß vorwärts, zerrte den Blutvogel von Delim weg und zerriß ihn in zwei Stücke. Die Frau kauerte auf der Erde und preßte beide Hände übereinander auf eine Augenhöhle, aus der das Blut strömte. Harruel sichelte mit seiner Speerspitze durch die Luft und spießte erst einen, dann einen zweiten Vogel auf. Koshmar befand sich mitten im Kampfgetümmel und brüllte allen ermutigend zu. Noch immer war aus der Ferne das dröhnende Brüllen der Maulköpfler vernehmbar, und darüber schrillten die kreischenden Schreie der Blutvögel.

Der Kampf dauerte zehn Minuten. Dann verzogen sich die Vögel ebenso rasch, wie sie erschienen waren. Der Stamm hatte sechs Verwundete, darunter Delim am schwersten verletzt. Torlyri verband ihr das Auge, aber sie würde damit nie wieder sehen können. Harruel hatte zwei tiefe Schnitte am Speerarm davongetragen. Auch Konya war verwundet worden. Allesamt waren sie erschöpft, bedrückt und mutlos.