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Dennoch gab es diesmal kleine Momente des Zögerns und der verfehlten Kontakte, auf die Torlyri nicht vorbereitet gewesen wäre. Koshmar war ungewöhnlich angespannt und starr; ihre ganze Seele schien froststarr zu sein, wie ein Stab aus einem biegsamen Metall, der lange an einem kalten Ort verweilte. Vielleicht kommt es nur daher, daß wir so lange nicht mehr getvinnrt haben, dachte Torlyri. Doch wahrscheinlicher war, daß das Problem vielschichtigere Ursprünge hatte als nur bloße Enthaltsamkeit. Sie öffnete sich für Koshmar, und während ihre Seelen sich mischten, mühte sie sich, aus Koshmars Seele zu lösen, was immer an Dunklem, Bedrückendem dorthin eingedrungen war.

Es handelte sich um eine viel intimere Verschmelzung als sie bei der bloßen Kopulation üblich ist; ein Akt, den Koshmar stets verabscheut und vermieden hatte und den Torlyri im Verlauf der Jahre nur zwei-, dreimal ausprobiert hatte, ohne dabei sehr viel davon zu haben. Die meisten Stammesangehörigen kopulierten nur selten, denn die Kopulation führte oftmals zu Befruchtung, und die Austragung einer Frucht mußte notwendig selten sein, da das Bedürfnis, Nachwuchs für den Stamm zu schaffen, im Kokon sich so selten ergab. Aber Tvinnr — ach, Tvinnr, die Dopplung, das war etwas anderes! Es war eine Methode der Liebe, ja, und eine Methode der Heilung, und zuweilen war es auch eine Methode, Wissen zu erwerben, das anders nicht gewonnen werden konnte; aber es war noch vieles andere außerdem.

Ihre Leiber hielten einander umschlungen, und ihre Seelen umfingen einander, und gemeinsam sanken sie tiefer und tiefer hinab, durch alle Schichten ihrem Ziel entgegen, der warmen dunklen Vereinigung, sie wehten wie Daunenflaum in warmen Windschüben, schwerelos, mühelos dahingetragen, glitten mit Leichtigkeit an den felsigen Abstürzen und scharfkantigen Steinsedimenten der Seele vorbei, meisterten mit arglos reiner Schlichtheit die hinterhältigen Klüfte und Kloaken der Vernunft. Bis sie schließlich völlig ineinandergefügt waren und eins im ändern zur Einheit verschmolzen, eins das andere umfassend und einschließend, völlig geöffnet für das Fluten und Ebben der anderen Seele. Torlyri suchte den Ursprung für Koshmars Beklommenheit, konnte ihn aber nicht finden; und dann — fortgerissen von der Wonne der Tvinnr-Vereinigung — vermochte sie sich nur noch dem Tvinnr selbst hinzugeben.

Hinterher lagen sie in warmer Erfülltheit dicht beisammen.

„Ist es jetzt fort aus dir?“ fragte Torlyri. „Der Schatten, die Wolke, die auf dir lasteten?“

„Ja, ich glaube.“

„Was war es? Magst du es mir sagen?“

Koshmar antwortete eine Weile nicht. Sie schien nach Worten zu ringen, um dem inneren Schmerz Ausdruck zu verleihen, der Qual, die Torlyri während des Tvinnr nur als harte dunkle Verknotung hatte wahrnehmen können, in den sie weder vorzudringen vermochte, noch ihn begreifen oder zur Auflösung veranlassen konnte.

Dann, einige Zeit später, vergrub Koshmar sacht die Finger in Torlyris dichtes schwarzes Fell und sagte wie von sehr weit her: „Weißt du noch, was der Hjjk-Mann sprach? Seine letzten Worte an uns? Es gibt keine Menschlichen, Frau aus Fleisch, das hat er gesagt.“

„Ja, ich erinnere mich daran.“

„Es haftet in meiner Seele, Torlyri, und es brennt mich. Was kann er damit gemeint haben?“

Torlyri wandte sich ihr zu, so daß ihre Augen dicht vor den Koshmars intensiv leuchtenden Augen waren. „Er sprach so nur aus reiner übermütiger Bosheit. Er wollte unsere Seelen betrüben, mehr nicht. Er war ungeduldig, es verdroß ihn, daß wir ihn nicht vorüberziehen lassen wollten. Also sagte er etwas, von dem er annahm, es würde uns schmerzen. Es war nur eine Lüge.“

„Aber er sprach die Wahrheit über die Rattenwölfe“, warf Koshmar ein.

„Dennoch. Das bedeutet ja nicht, daß auch alles übrige, was er sagte, Wahrheit gewesen ist.“

„Aber wenn es nun doch so wäre? Wenn wir die einzigen wären, Torlyri?“ Koshmar schien die Worte aus der Tiefe ihrer Brust herauf zupressen.

Die eisige Vorstellung war wie ein Echo auf Torlyris eigene unheilvolle Grübelei vor einiger Zeit. Düster bekannte sie: „Mir ist der gleiche Gedanke gekommen, Koshmar. Aber auch der Gedanke, was für eine Verantwortung wir tragen, was für eine Verpflichtung zum Überleben, falls wir sechzig Leute die einzigen Menschlichen sind, die es noch auf der Welt gibt, wenn alle anderen in des Langen Winters Wüten untergingen.“

„Verantwortung, ja.“

„Wie schwer dich dies bedrücken muß, Koshmar!“

„Aber nun bin ich nicht mehr gar so voll Sorge. Ich fühle mich stärker, Torlyri, seitdem wir Tvinnr waren.“

„Wirklich?“

Koshmar lachte. „Vielleicht brauchte ich weiter nichts, als mit dir zu doppeln, wie? Ich war so voller Trübsal, voll düsterer Ahnungen, so überwältigt von einem Gefühl, daß ich eine wahnwitzige Torheit begangen hätte und daß die Strafe für Dummheit stets schrecklich ist. — und ich wußte, daß ich allein verantwortlich sein würde, weil ich es war, die entschied, daß wir den Kokon verlassen müßten, und daß Thaggoran Zweifel hegte, und auch du.“ Sie schüttelte den Kopf. „Wie immer hast du mich getröstet und froh gemacht, Torlyri. Du hast mir von deiner Kraft gegeben und mich befähigt, weiterzuhandeln. Das Hjjk-Männchen hat also gelogen, was? Wir sind nicht allein. Wir werden die anderen suchen und finden, und gemeinsam werden wir die Welt neu aufbauen. Ist es nicht so? Gewiß. Ganz gewiß. Wer könnte daran zweifeln! Ach, Torlyri, Torlyri, wie sehr lieb ich dich!“

Und sie umarmte Torlyri stürmisch. Doch Torlyri ging darauf nur halbherzig ein. Während der letzten paar Augenblicke hatte sie gespürt, wie etwas sich in ihrer Seele veränderte, etwas, das ihr Gemüt wie ein grimmiger, schwerer Schatten umdüsterte. Die Unruhe und Unsicherheit des Vortages waren wieder in sie zurückgekehrt. Wieder schien es ihr, daß das Schicksal des Volkes auf höchst unsichere Weise über einem unendlich tiefen Abgrund hinge. Und nun war sie in Zweifel und Verzweiflung verstrickt, als wäre bei ihrer Vereinigung mit Koshmar deren Seelenpein auf sie übergegangen.

„Bist jetzt du in deinem Herzen betrübt?“ fragte Koshmar nach einer Weile und zog die Hand zurück.

„Vielleicht.“

„Das lasse ich nicht geschehen. Sollst du mir das Herz leichter machen, nur um deines zu beladen?“

„Wenn ich dir deine Befürchtungen nehmen konnte, freut mich das sehr“, sagte Torlyri. „Aber ich fürchte, jetzt lastet deine Furcht und Sorge schwer auf mir.“ Sie schaufelte mit beiden Händen die sandige Erde auf und verstreute sie gereizt wieder. Schließlich sagte sie: „Koshmar, was wird, falls wir wirklich die einzigen Menschlichen sind?“

„Na und? Wenn wir es wären?“ sagte Koshmar großspurig. „Dann werden wir unser Erbe antreten und die Erde beherrschen, wir sechzig! Wir werden uns unser Königreich bauen auf dieser Erde. Wir werden sie mit Leuten unseresgleichen neu besiedeln. Wir müssen nur sehr achtsam und vorsichtig sein, mehr nicht, denn wir sind etwas Seltenes und Kostbares, wenn wir die einzigen überlebenden Menschen sind, die es noch gibt.“ ..

Der plötzliche Überschwang Koshmars wirkte unwiderstehlich auf Torlyri. Beinahe sogleich spürte sie, wie die düstere Bedrückung sich von ihr zu heben begann.

„Dennoch bleibt sich das gleich“, fuhr Koshmar fort. „Ob wir nun die einzigen überlebenden Menschlichen sind oder nur ein Häufchen unter Millionen. Wir müssen uns dennoch stets höchst vorsichtig verhalten auf unserem Zug und tunlichst allen Gefährdungen ausweichen, die diese Welt für uns bereithält. Denn vor allem anderen haben wir die Pflicht, einander zu beschützen und zu erhalten und.“

„Oh! Schau doch, schau, Koshmar!“ rief Torlyri plötzlich.

Sie deutete auf die Insektenburg. Das seilartige Geschöpf hatte sich mit einem Ende völlig vom Erdboden losgerissen. Es war unmäßig lang, dreifach oder gar vierfach mannslang. Hochgekrümmt und niederstoßend schlug das Ding wieder und wieder gegen die kunstvollen Mauern und Türmchen des Bauwerks. Das ausdruckslose, augenlose Vorderende öffnete sich zu einem klaffenden Schlund. Und sobald das Geschöpf eine Bresche in die Burg gebrochen hatte, begann es die kleinen roten Insekten und ihre zerschmetterten Wehrwälle mit gierigen Schlucken zu verschlingen, so daß bald keine Spur mehr von den Erbauern und ihrem Werk mehr übrigbleiben würde.