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Koshmar schauderte. „Ja, Gefahren überall. Ich sagte dir ja, daß ich das da töten wollte.“

„Aber es hat dir doch nichts getan.“

„Und den Insekten, deren Burg es zerstört hat?“

Torlyri lächelte. „Koshmar, denen bist du keinen Gefallen schuldig.

Alle Geschöpfe müssen essen, sogar ekelhafte Wurmstricke. Komm weg, lassen wir es sein Frühstück in Ruhe beenden!“

„Es gibt Augenblicke, da vermute ich, daß du weit weniger sanftmütig und mild bist, als es den Anschein hat, Torlyri.“

„Alle Wesen müssen essen“, sagte Torlyri.

Koshmar überließ Torlyri ihren Pflichten, der Beendigung der Morgenrituale, die sie unterbrochen hatte, und kehrte zu der Stelle zurück, wo der Stamm lagerte. Inzwischen war es weit über die Stunde des Sonnenaufgangs hinaus, und sämtliche Stammesmitglieder waren auf den Beinen.

Koshmar hielt auf einem Hügelchen an und spähte gen Westen. Die Wärme der Morgensonne war angenehm auf dem Rücken und den Schultern.

Das vor ihr liegende Land flachte zu einer weiten nicht sehr tiefen Senke ab, ohne Bäume und nahezu ohne irgendwelche Merkmale. Es war hier sehr trocken, Sandboden, keine Seen, keine Flüsse, nur äußerst schmale Rinnsale. Ab und zu sah man die Buckel niederer Hügel, die aussahen, als wären sie von etwas gewaltig Starkem zerquetscht und dann glattpoliert worden, was höchstwahrscheinlich der Fall gewesen war. Koshmar versuchte sich vorzustellen, wie es gewesen sein mochte: tiefe Lagen von Eis überall auf dem Land, Eis, das so schwer war, daß es wie ein Strom dahinfloß. Eis, das in Berge schnitt und sie zu Geröll zermahlte, sie dann in den Hunderten Tausenden von Jahren des Langen Winters davonfegte. Dies, so hatte Thaggoran gesagt, war geschehen in der Welt, während der Stamm sicher eingenistet im Kokon überwinterte.

Koshmar wünschte, Thaggoran könnte jetzt bei ihr sein. Es hätte keinen schmerzlicheren Verlust geben können als durch seinen Tod. Erst als er dahin war, hatte sie sich bewußt gemacht, in wie hohem Maß sie sich auf ihn gestützt und verlassen hatte. Er war das Gehirn des Stamms gewesen und seine Seele — und die Augen überdies auch noch. Ohne ihn waren sie wie Blinde, die hierhin und dorthin schwanken und nichts von den tiefen Geheimnissen wissen, die sie auf allen Seiten umgeben.

Sie verscheuchte die Vorstellung. Ja, Thaggoran war wichtig gewesen, aber nicht unersetzlich. Keiner war das. Sie hatte sich dagegen gewehrt, sich von seinem Tod entmutigen zu lassen. Thaggoran oder nicht, sie würden weiterziehen, weiter und weiter und weiter, bis sie Pfade über den ganzen runden Bauch der Welt gezogen hatten, sofern das sich als notwendig erweisen sollte, denn es war ihre Bestimmung, weiterzuschreiten, bis sie erreicht hatten, wozu immer sie in die Welt gerufen worden waren. Sie waren besondere Leute, dieser ihr Stamm. Das wußte Koshmar. Und sie — sie war eine besondere Führerin. Auch dessen war sich Koshmar gewiß. Und nichts würde sie von dieser Überzeugung abbringen können.

Manchesmal hatte sie auf diesen langen Märschen — wenn sie auch nur ein bißchen schwankend wurde, wenn Übermüdung und Sonnenglast und die trockenen kalten Winde Zweifel und Furcht und Schwäche in ihre Seele trugen — den Geist Thaggorans aus dem Tod heraufbeschworen in ihrem Herzen und ihn dazu benutzt, ihre Entschlossenheit zu bestärken. „Was sagst denn du dazu, Alter Mann?“ fragte sie den Geist Thaggorans dann. „Sollen wir umkehren? Sollen wir irgendwo einen sicheren Berg suchen und uns einen neuen Kokon graben?“

Und Thaggoran grinste sie dann an. Er neigte sich ganz nah zu ihr, und seine wäßrigen rotlidrigen alten Augen blickten forschend in die ihren, und er sagte dann meist: „Du redest törichtes Zeug, Weib.“

„Tu ich das? Wirklich?“

„Du bist geboren, um uns aus dem Kokon herauszuführen. Das fordern die Götter von dir.“

„Die Götter! Wer wüßte den Willen der Götter?“

„Eben“, sagte dann der alte Thaggoran meistens. „Es steht uns nämlich nicht zu, den Versuch zu unternehmen, die Götter begreifen zu wollen. Wir sind nur hierhergesetzt, um ihr Geheiß zu tun, Koshmar. He? Was sagst jetzt du dazu, Koshmar?“

Und dann sagte sie meist: „Wir werden weitergehen, Alter Mann. Du könntest mich nie zum Umkehren überreden.“

„Das würde ich auch niemals versuchen“, sagte der Geist Thaggorans, wurde nebelhaft und durchscheinend und entschwand ihren Blicken.

Koshmar blickte angestrengt nach Westen und versuchte aus dem abweisenden, flachen blauen Himmel die Vorzeichen abzulesen. Im Norden hing ein Zug weicher weißer Wolken, sehr hoch und mit weiten Zwischenräumen. Gut so. Graue, tief und schwer herabhängende Wolken waren schneeträchtige Wolken. Aber solche sah sie jetzt nirgendwo. Diese Wolken da droben bargen keinen Anlaß zu Besorgnis. Nach Süden hin sah sie einen Streifen wirbelnden Staubes über dem Horizont. Das allerdings konnte alles mögliche bedeuten. Stürme, die über das trockene Land herfielen, vielleicht. Oder eine Herde gewaltiger schwerhufiger Tiere, die dort dahindonnerte. Oder aber sogar ein feindliches Heer im Anzug. Es konnte alles sein und jedes.

„Koshmar?“

Harruel war an ihre Seite auf dem kleinen Hügel getreten, ohne daß sie dessen gewahr geworden wäre. Er stand, turmhoch, halb hinter ihr, eine mächtige, kraftstrotzende, breitschulterige Gestalt mit riesenhaften Unterarmen, anderthalb mal so groß wie Koshmar, und warf einen riesigen Schatten zur einen Seite, der sich wie ein schwarzer Mantel über den Erdboden breitete. Sein Pelz war von einem düsteren gelbroten Ziegelton, büschelhaft von den Wangenknochen und dem Kinn zu einem dichten verfilzten wilden roten Bart sprossend, unter dem seine Gesichtszüge nahezu versteckt lagen, so daß man nur noch die scharfen blauschwarzen Augen hindurchfunkeln sah.

Es erzürnte Koshmar, daß Harruel so insgeheim sich ihr genähert hatte und nun so dicht bei ihr stand, stumm — und irgendwie unausgesprochen einen Mangel an Respekt demonstrierend.

Kühl fragte sie: „Ja, was gibt es denn, Harruel?“

„Wie bald werden wir das Lager abbrechen, Koshmar?“

Sie hob die Schultern. „Das habe ich noch nicht entschieden. Wieso fragst du?“

„Sie fragen mich. Dem Stamm gefällt es hier nicht. Die Leute finden es hier zu trocken. zu. tot. Sie wollen zusammenpacken und weiterziehen.“

„Wenn der Stamm Fragen hat, dann sollte er sie vor mich bringen, Harruel.“

„Aber du warst nirgendwo zu finden. Also haben wir angenommen, daß du mit Torlyri unterwegs bist. Und sie haben mich gefragt. Aber ich konnte ihnen keine Auskunft geben.“

Sie blickte ihn fest an. Er hatte eine Färbung in der Stimme, die ihr mißfiel und die sie niemals vordem bei ihm wahrgenommen hatte. Mit dem bloßen Ton der Stimme schien er Kritik an ihr zu unterstellen; es war ein scharfer nörgelhaft-schuldsuchender Ton. Beinahe enthielt er eine Herausforderung.

„Und du hast ein Problem, Harruel?“

„Problem? Ja, was denn für eins? Ich hab dir doch gerade erklärt, die fragen mich, wann wir von hier aufbrechen.“

„Das hätten sie mich fragen sollen.“

„Aber, ich hab dir doch gesagt, du warst nirgendwo zu finden!“

„Ja, eigentlich“, fuhr Koshmar fort, als habe Harruel gar nichts geäußert, „hätten sie gar niemand fragen dürfen, sondern einfach darauf warten sollen, daß man ihnen befiehlt, was sie tun müssen“