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Höher und höher türmte sich das Ding und stieß aus dem See empor bis zu einer Höhe, die zehn- oder fünfzehnmal größer war als der längste Mann. Dort hielt das Geschöpf inne, schwebte über ihnen, hielt sich mit weitgespreizten Beinen im Gleichgewicht auf der oberen Seite des Wassers, auf dem es kaum eine Störung zu bewirken schien. Aus einer reihenartig angeordneten Zahl starrer strahlender grüngoldener Augen spähte es zum Volk herunter und nahm es irgendwie betrübt und mißmutig in Augenschein.

„Du da! Du Wasserläufer!“ brüllte Hresh hinauf. „Sag uns, wie wir die Stadt der Saphiräugigen finden können!“

Und erstaunlicherweise gab das gewaltige Geschöpf sogleich in der wortlosen Rede der Gedanken Antwort und sprach: „Ach, das ist nicht weit, nur zwei Seen und einen Fluß weiter drüben, Richtung Sonnenuntergang. Aber das weiß doch schließlich jeder! Bloß, was habt ihr davon, wenn ihr dort hingeht?“ Der Wasserschreiter lachte, scheußlich scheppernd, schrill und hysterisch und begann sich Stück um Stück zusammenzufalten und wieder in den See zu tauchen. „Was habt ihr? Was? Habt? Ihr? Davon? Heh?“ Und dann noch einmal das Gelächter, und dann verschwand das Ding im schwarzen Wasser.

5. Kapitel

Vengiboneeza

Am Nachmittag des Tages des Wasserschreiters kam Threyne mit in die Flanken gepreßten Händen zu Torlyri und verkündete, daß ihre Zeit gekommen sei. Und Torlyri konnte erkennen, daß dem so war: Das Ungeborene stieß eifrig gegen den hochgewölbten Bauch der jungen Frau, und es gab auch andere Anzeichen dafür, daß die Geburt unmittelbar bevorstehe.

„Wir können nicht so rasch weiterziehen“, beschied Torlyri Koshmar. „Threynes Zeit ist gekommen.“

Ganz kurz blitzte Verdruß in Koshmars Augen auf. Torlyri wußte, daß Koshmar danach fieberte, eilends nach Vengiboneeza zu gelangen, nun, wo sie erfahren hatte, daß die große Stadt so nahe lag. Doch sie würde warten müssen. Die Geburt eines Kindes besaß Vorrang vor allem anderen. Man mußte Threyne versorgen; das Kind mußte heil geboren werden.

In den Tagen im Kokon war die Geburt jedes neuen Kindes nicht nur von Freude, sondern auch von einem versteckten dunkleren Gefühl begleitet gewesen, denn man gestattete nur dann einem neuen Leben den Eintritt in die Welt, wenn ein anderes sich dem Zeitpunkt näherte, an dem es sie zwangsläufig verlassen mußte. Innerhalb des Kokons war kein Platz für Zuwachs und Erhöhung der Zahl, und so war Geburt unlösbar mit dem Tod verschlungen. Deswegen hatte man das Grenzalter oder die Altersgrenze eingeführt, auf daß das Volk wählen müsse zwischen einer Existenz in unerträglicher bedrückender Enge und dem praktischen Verbot neuer Geburten. Aber hier draußen, wo so vieles für den Stamm völlig neu war, brauchte man eine Übervölkerung nicht zu fürchten. Ganz im Gegenteiclass="underline" Das Volk hatte jedes Neugeborene dringend nötig, das man produzieren konnte. Aber das war nicht alles: Keiner würde mehr sterben müssen, um Platz zu schaffen für die Nachkommenschaft. Alle mit der Befähigung zum Kindertragen, dachte Torlyri, sind es dem Stamm schuldig, ein Ungeborenes auszutragen. Und sie begann auch für sich selbst mit dieser Vorstellung zu spielen.

Sie zogen so weit wie möglich von dem Sumpf und dem schwarzen See weg. Niemand wollte, daß der Wasserschreiter wieder auftauche und die Luft mit seinem entsetzlichen Lachen erfülle, während Threyne ihr Kind gebar.

Ein paar Männer schnitten Schößlinge, um ihr eine Laubhütte zu errichten. Minbain und Galihine und ein paar weitere ältere Frauen wuschen sie und hielten ihr die Hände, als ihre Wehen heftig wurden.

Preyne, der Kindesvater, kauerte eine Weile an ihrer Seite und berührte mit dem Sensororgan das ihre, um ihr einen Teil der Beschwernis abzunehmen, wie es seine Pflicht und sein Privileg war. Torlyri bereitete das Geburtsopfer vor für Mueri in ihrer Verkörperung als Trösterin und für Yissou, den Beschützer, und auch für Friit, den Heiler, für nach der Geburt. Die Wehen dauerten lang, und Threyne stöhnte stärker, als die meisten Frauen sonst es taten. Die Mühen des Trecks machen es ihr so schmerzlich, dachte Torlyri.

Koshmar, die den ganzen Nachmittag über gereizt umhergestapft war, kam zu der Hütte, als die Sonne untergehen wollte, und blickte starr auf Threynes pralle Leibesmitte herab. Zu Torlyri sagte sie nur: „Also? Läuft alles, wie es sein soll?“

Torlyri winkte Koshmar beiseite, wo Threyne sie nicht hören konnte, und sprach: „Es dauert zu lange. Und sie hat große Schmerzen.“

„So soll doch Preyne ihr die Schmerzen nehmen.“

„Er gibt sich alle Mühe.“

„Wird sie sterben?“

„Nein, das glaube ich nicht“, sagte Torlyri. „Aber sie leidet sehr. Und wenn sie es überlebt, wird sie über Tage hin noch sehr schwach sein.“

„Was sagst du da, Torlyri?“

„Wir werden eine Weile nicht weiterziehen können.“

„Aber Vengiboneeza.“

„. hat siebenmal hunderttausend Jahre auf uns gewartet“, unterbrach Torlyri. „Es kann gut noch ein paar Wochen länger warten. Wir dürfen nicht wegen deiner Ungeduld Threynes Leben aufs Spiel setzen. Und Nettins Kind ist ebenfalls bald fällig, in zwei, drei Tagen. Also bleiben wir am besten hier, bis die zwei wieder kräftig genug sind weiterzuziehen. Sonst aber teile den Stamm und sende Harruel und ein paar der Männer voraus und laß sie ausspähen nach der Stadt, und wir rasten hier und versorgen die Kindsmütter.“

Koshmar blickte verärgert drein. „Wenn Threyne etwas geschähe, ich würde es mir niemals verzeihen. Aber kannst du nicht begreifen, wie mir zumute ist, wo die Stadt so nahe vor uns liegt?“

Sanft legte Torlyri Koshmar die Hände auf die Schultern und drückte sie kurz an sich. Leise sagte sie: „Ich weiß. Du hast so schwer gekämpft, um uns bis hierher zu führen.“

Aus Threynes Hütte drang in diesem Augenblick ein neuer Laut, ein schriller, schärferer.

„Es ist soweit“, sagte Torlyri. „Ich muß zu ihr. Wir ziehen bald wieder weiter. Ich verspreche es dir.“

Koshmar nickte und stapfte davon. Kopfschüttelnd blickte Torlyri ihr nach. Es erstaunte sie, daß sie der sonst so klar und abwägend denkenden Koshmar hatte sagen müssen, daß man hier für eine Weile würde haltmachen müssen, und daß Koshmar vielleicht sogar jetzt noch Mühe hatte, die Notwendigkeit zu akzeptieren. Andererseits fehlte es Koshmar aber auch an jeglicher Einsicht und Fähigkeit für solche Frauensachen. Nie hatte sie einem Mann erlaubt, ihre Schenkel mit Händen zu berühren; sie hatte niemals auch nur kurz daran gedacht, ein Kind zu tragen; sie hatte sich von Kindheit an nur auf ein Ziel ausgerichtet, auf die Führerschaft und nichts sonst, und das schloß in ihren Augen jeden Gedanken an Mutterschaft aus. Führer hatten keine Kinder, so war es der Brauch. Aber, dachte Torlyri, das war doch bestimmt nur deshalb so, weil man die Volkszahl im Kokon so strikt beschränken mußte. Alle möglichen festen Bräuche bezüglich des Verbots und der Erlaubnis, Kinder zu haben, waren im Verlauf der Jahrhunderte entstanden, aber ihnen lag doch stets die Furcht zugrunde, daß die unbeschränkte Fortpflanzung den Kokon ersticken und den Stamm vor der richtigen Zeit in die grausame Unbill des Winters treiben müßte.

Minbain rief nach ihr. Das Kind wollte kommen.

Torlyri eilte gerade noch rechtzeitig zur Hütte zurück. Zwischen Threynes Schenkeln zeigte sich bereits das winzige Köpfchen. Torlyri lächelte. Koshmar hatte es noch nie ertragen können, bei der Geburt eines Kindes dabei zu sein, doch für Torlyri war es ein Moment der Schönheit. Sie kniete am Fuß des Lagers und umfaßte Threynes Fußknöchel mit festen Händen, während sie die Gebete zu Mueri-der-Mutter sprach.

„Ein Knabe!“ verkündete Minbain.

Er war sehr klein, sehr laut, sehr verhutzelt und sehr rosig am ganzen Leib, mit dünnen fahlgrauen Pelzbüscheln, die mit der Zeit über den ganzen Körper wachsen würden. Das kleine Sensororgan bewegte sich steif hin und her und zuckte durch die Luft: ein gutes Anzeichen, ein Zeichen von Kraft und Leidenschaft. Torlyri erinnerte sich, wie sie vor neun Jahren Minbain bei deren Entbindung geholfen hatte, als Minbain den Hresh geboren hatte, und wie damals Hresh mit seinem Sensororgan wütend die Luft gepeitscht hatte. Und der hatte doch wahrlich das Omen voll bestätigt, dieser Hresh.