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Aber jeder Tag brachte irgendwelchen neuen Ärger mit sich. Es gab vielerlei Arten von stechenden Insekten, kleine und schwierige und hartnäckige. Es gab giftige kleine Eidechsen, die leise zischten. Es gab Vögel mit spitz zulaufenden durchsichtigen Flügeln und zierlichen zartblauen Schnäbeln, die auf hohen Wipfeln aufbäumten und jeden, der unter ihnen vorbeikam, mit einem schimmernden klebrigen Speichel beschossen, der auf der Haut schmerzhafte Striemen hervorrief.

Doch alles in allem war die Stadt kein unangenehmer Aufenthaltsort. Es gab sogar Leute, die sagten, das Leben hier sei beinahe so angenehm wie damals im Kokon. Und andere erklärten gar, trotz all der kleinen Ärgernisse und der Existenz unter dem furchtbaren freien Himmel sei das Leben hier doch wahrlich jenem in den alten Tagen im gemütlichen engen Bau im Bauch des Berges vorzuziehen.

An einem Tag in der fünften Woche nach dem Einzug in Vengiboneeza rief Koshmar Hresh vor sich und sprach zu ihm: „Morgen sollt ihr, du und Konya, beginnen die Stadt zu erforschen.“

„Konya? Warum Konya?“

„Ja hast du etwa gedacht, ich würde dich allein ausschicken? Wir können nicht Gefahr laufen, dich zu verlieren, Hresh.“

Das war verdammt ärgerlich. Er hatte sich vorgestellt, daß er sich nach eigenem Belieben werde umsehen können, wenn Koshmar ihn endlich in die Stadt hinaussandte, daß er ungestört denken könne und seine Nase überall hineinstecken, wo er Lust dazu empfand, ohne dabei beständig Rücksicht auf einen klobigen großen Klotz von reizbarem Krieger nehmen zu müssen, der auf ihn aufpassen sollte. Hresh brachte Einwände vor, doch umsonst. Die Saphiräugigen, sagte Koshmar, konnten möglicherweise die Stadt mit tödlichen Fallen übersät haben; oder vielleicht wären die weiter außerhalb gelegenen Bezirke von den Brüllaffen besetzt, oder von einer unbekannten Art gemeiner Insekten oder Reptilien mit giftigem Biß. Hresh sei für den Stamm zu wertvoll. Nein, sie wolle da keinerlei Risiko eingehen. Einer der Krieger müsse mit ihm ziehen. Entweder dies, beschied sie Hresh, oder er müsse in der Siedlung bleiben und ältere, kräftigere Männer würden ohne ihn die Erkundungen durchführen.

Hresh war inzwischen klug genug geworden und wußte, wann der Versuch sich lohnte, gegen Koshmars Entscheidungen zu opponieren, und wann man sich am besten ihren Wünschen fügte. Er verzichtete.

Am Morgen des bestimmten Tages war es warm und hell, die tiefkriechenden Bodennebel wurden rasch von der Sonne aufgesogen. Konya und er standen auf dem Platz vor dem Großen Turm. „In welche Richtung willst du gehen?“ fragte Konya.

Hresh hatte keinen Plan. Doch er spähte äußerst ernsthaft nach rechts und nach links, ganz so, als sei er mit tiefen Überlegungen beschäftigt, dann streckte er den Zeigefinger geradeaus und deutete auf einen breiten eindrucksvollen Boulevard, der zu einem der grandiosesten Teile der Stadt zu führen schien.

„Da lang“, sagte er.

Anfangs schritt Konya vor ihm her und stampfte mit den Beinen auf das Pflaster, um zu prüfen, ob es ihr Gewicht tragen werde, spähte in Türöffnungen und Seitengassen nach verborgenen Feinden, pochte mit dem Ende seines Speeres gegen die Mauern von Gebäuden, um sich zu vergewissern, daß sie nicht zusammenfallen würden, wenn er und Hresh daran vorbeigingen. Aber als es nach einer Weile deutlich wurde, daß nirgends wilde Bestien sprungbereit lauerten, daß die Straßen unter ihnen nicht einbrechen, daß die Häuser nicht zusammenstürzen würden, eilte Hresh voraus und wandte sich allem zu, was seine Neugier erregte, und Konya erhob dagegen keine Einwände.

Hresh war es, als betrete er eine verzauberte Welt. Er war vor Erregung ganz benommen, und seine Augen zuckten dermaßen hastig von einem Ding zum anderen, daß ihm der Kopf zu dröhnen begann. Er wollte alles mit einem einzigen gewaltigen gierigen Schluck in sich hineintrinken.

Überall sah er Bauten, deren Großartigkeit und massige Gestalt ihm den Atem verschlugen. Fast schien die Große Welt noch zu leben. Jeden Augenblick, stellte er sich vor, konnten aus diesem Bau da Saphiräugige oder Vegetalische oder Seeherren auf die geschwungenen Zinnen strömen, oder aus jenem anderen dort, das in zarten Filigranbögen aufstieg, die wie gefrorene Musik wirkten, oder jenem dort mit seinen gelben Türmen und weitgespannten Flügeln.

„Hier herein“, rief er Konya zu. „Nein, lieber das da! Nein, dies sieht noch besser aus! Was hältst du davon, Konya?“

„Ach, welches du willst“, erwiderte der Krieger stumpfsinnig. „Mir kommen sie alle gleich gut vor.“

Hresh grinste. „Wir werden viele wunderbare Dinge finden. Das steht in den Chroniken. Alles ist erhalten geblieben, die wundersamen Maschinen, die sie in der Großen Welt benutzt haben. Wir werden es alles vorfinden, genau da, wo die Saphiräugigen es zurücklassen mußten, als die Todessterne kamen.“

Aber er fand sehr bald heraus, daß dem leider ganz und gar nicht so war.

Viele der äußerlich so guterhalten wirkenden Bauten waren in ihrem Innern nur noch Trümmer. Manche waren leere Schalen, in denen nichts weiter war als leise rieselnder uralter Staub. Andere waren in sich zusammengestürzt, und die einzelnen Stockwerke lagen chaotisch über- und durcheinander, und man hätte ein Heer von kräftigen Gräbern benötigt, um in diese Schutthügel vorzudringen. Bei wieder anderen Gebäuden scheinbar unversehrten Fassaden und Gehäusen genügte die leiseste Berührung, um sie zu dunklen Dunstwolken zerstieben zu lassen, wenn Hresh ihnen nahekam.

„Wir sollten jetzt aber umkehren“, sagte Konya schließlich, als die purpurnen Schatten des Nachmittages zu wachsen begannen.

„Aber wir haben nichts gefunden!“

„Morgen ist auch noch ein Tag“, erklärte Konya.

Es war ihm arg peinlich, daß er mit leeren Händen von seiner Expedition zurückkehren mußte, und er konnte Koshmar kaum ins Gesicht blicken, als er Bericht erstattete.

„Nichts?“ fragte Koshmar.

„Nichts“, murmelte Hresh kläglich. „Noch nicht.“

„Nun, morgen ist auch noch ein Tag“, sagte Koshmar.

Und er zog beinahe Tag um Tag aus, nur nicht an Tagen, an denen es regnete. Gewöhnlich begleitete ihn Konya, manchmal auch Staip; niemals Harruel, denn dieser war zu riesenhaft und überwältigend, und Hresh erklärte Koshmar unverblümt, daß er niemals etwas Vernünftiges zustandebringen werde, wenn ihm dabei Harruel beständig seinen Atem ins Genick schnaufte. Er hätte auch liebend gern auf Konya oder Staip verzichtet, doch dies untersagte Koshmar ganz strikt, und widerwillig mußte er zugeben, daß sie recht habe, wenn sie ihn nicht allein in die Stadt ziehen ließ. Kaum sonst jemand im Stamm konnte überhaupt lesen, von der Auslegung der Chroniken ganz zu schweigen. Wenn Hresh etwas zustieß, würde das Volk hilflos sein, aller Kenntnis der Vergangenheit beraubt sein und ohne Hoffnung auf Verständnis und Kunde des Künftigen.

Nach einigem, als Koshmars Befürchtungen bezüglich der Gefahren in der Stadt sich ein wenig gelegt hatten, zog Hresh manchmal mit Orbin als Begleiter aus.

Orbin war zwar nicht älter als er, aber er war stets größer und stabiler gewesen, und jetzt wuchs er dermaßen rasch, daß es so aussah, als werde er in wenigen Jahren ebenso gewaltig und stark sein wie Harruel selber. Und noch etwas später wählte Hresh sich Haniman als Gefährten und Leibwächter. Zur allgemeinen Verblüffung wuchs auch Haniman zu einem großen und starken und sogar einigermaßen beweglichen Jüngling heran. Er war nun dem Haniman, den Hresh im Kokon gekannt hatte, ganz und gar nicht mehr ähnlich, der so langsam und feist und tolpatschig und — wie es den Anschein hatte — aufreizend dumm gewesen war. Der Treck quer durch den Kontinent hatte ihn anscheinend verwandelt, oder aber, bedachte Hresh, es hat mehr in Haniman gesteckt von Anfang an, als ich zu erkennen bereit war.

Es machte aber keinen Unterschied, mit wem er auszog — gleich ob Konya oder Staip, Orbin oder Haniman — oder in welcher Richtung er die Stadt durchforschte — nach Nord oder Süd, Ost oder West. Zu seiner beschämten Erbitterung vermochte er nämlich nichts zu entdecken, was von rgendwelchem denkbaren Nutzen gewesen wäre, höchstens gelegentlich ein verbeultes Stück Blech oder Scherben trüben Glases.